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Dirk B. – ein moderner Robin Hood?
»Kino.to – Die verbotene Streaming-Revolution«
Ins Sachsen der Nullerjahre entführt uns der fünfteilige MDR-Podcast »Kino.to – Die verbotene Streaming-Revolution« der Investigativjournalistin Maxie Römhild. Es sind Jahre, in denen die Massenarbeitslosigkeit und die Auswirkungen der sogenannten Hartz-Reformen den Osten prägen. Römhild rekonstruiert die Geschichte der ersten bedeutenden Streaming-Plattform für Kinofilme in Deutschland. Es handelt sich um eine True-Crime-Geschichte. Die Kriminalität in diesem Fall besteht in der massenhaften Verletzung der Urheberrechte der Filmindustrie durch die kostenlose Bereitstellung von Kinofilmen für den einfachen Internetnutzer.
Die Geschichte von Kino.to – to ist die Domain-Endung des Südsee-Archipels Tonga, eines Orts, an dem deutsche Strafbehörden bei der Identifizierung gewisse Probleme hatten – ist kurz gefasst diese: Der arbeitslose Handwerker Dirk B. verbringt viel Zeit vor dem Computer und tauscht auf Plattformen zunächst Musik und später auch Filme aus. Die getauschten Inhalte werden mit sportlichem Ehrgeiz illegal zusammengestellt, zum Beispiel durch das Abfilmen in Kinos. Irgendwann kommt er auf die Idee, daraus ein Geschäft zu machen. So bastelt er 2008 eine Internetseite, voll mit Werbung und Abofallen, über die Nutzer problemlos und ohne technische Vorkenntnisse Filme kostenlos streamen können – wann immer sie möchten. Heute ist dies gang und gäbe, damals jedoch war es noch eine technische Revolution. Bevor Netflix, Amazon Prime und all die anderen Streaming-Dienste nach Deutschland kamen, gab es diese Möglichkeit, weil sie von Cyberkriminellen wie Kino.to und ähnlichen Homepages bereitgestellt wurde. Netflix versuchte 2007 erstmals, den Video-on-Demand-Service zu etablieren, also das Angebot, mit dem jedermann jederzeit Filme im Internet ansehen kann. Als es dem Unternehmen sieben Jahre später gelang, war die Gruppe um den Gründer von Kino.to vom Landgericht Leipzig bereits zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden und deren Internetseite abgeschaltet.
Leider bleibt der MDR-Podcast bei der Frage nach dem geistigem Eigentum im Internetzeitalter an der Oberfläche. Es kommt zwar ein ehemaliger computeraffiner Polizist und heutiger Lobbyist der Filmindustrie zu Wort, es wird jedoch nicht weiter nachgebohrt. Daher fragte der Autor dieser Zeilen die Expertin Sabine Nuss, ob es überhaupt einen Unterschied zwischen geistigem Eigentum und materiellem Eigentum gibt. Ihre Antwort: »Ja, klar. Geistiges Eigentum bezieht sich auf Immaterielles, genauer: auf alle Formen geistig-kreativer Schöpfung, während materielles Eigentum sich auf ›Gegenständliches‹ bezieht. Bei immateriellen Gütern werden für den Gebrauch Nutzungsrechte vergeben.« Wer beispielsweise ein Lied von The Cure kostenpflichtig streamt, hat nur das Recht erworben, The Cure zu hören. Das Lied gehört der Person aber nicht. Bei materiellen Gütern findet in der Regel ein Eigentümerwechsel statt. »Wenn ich ein Fahrrad kaufe, bin ich in der Regel die neue Eigentümerin«, so Nuss.
Eigentum wird dadurch deutlich, dass es die Möglichkeit gibt, von diesem
Eigentum andere auszuschließen, um beispielsweise über eine künstliche Verknappung noch mehr Geld zu verdienen. Wer sich der Ausschlussmöglichkeit nicht beugt, begeht einen Diebstahl. »Ganz unabhängig von der stofflichen Beschaffenheit handelt es sich aus der Perspektive des bürgerlichen Rechts in beiden Fällen um ein Eigentumsdelikt«, erklärt die Politikwissenschaftlerin. Es ist also egal, ob ich ein Fahrrad klaue oder einen Film im Kino mitfilme und dann im Internet hochlade.
Ist die Geschichte von Kino.to aber vielleicht eine Robin-Hood-Story? Ein arbeitsloser Handwerker aus Leipzig, der uns alle an seinen Beutezügen teilhaben lässt, gegen die milliardenschwere Filmindustrie? So sahen es damals viele, und auch die Podcast-Macherin Maxie Römhild ist nicht ganz frei von Sympathie für Dirk B. Sabine Nuss hingegen hat einen klaren Standpunkt zur Frage, ob B.s Handlung subversiv oder gar über den Kapitalismus hinausweisend war: »Weder noch. Es war ein Geschäftsmodell mit der Absicht, Geld zu verdienen, nur war es eben illegal. Das ist nicht per se subversiv.«
Podcast »Kino.to – Die verbotene Streaming-Revolution«, MDR
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