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»Mit ›alle‹ seid ihr gemeint«

Auf der zentralen DGB-Kundgebung erhält die Bundes-SPD dieses Jahr kein Rederecht

  • Felix Saßmannshausen
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf der zentralen Erster-Mai-Kundgebung des DGB in Chemnitz
Auf der zentralen Erster-Mai-Kundgebung des DGB in Chemnitz

Bei seiner zentralen Erster-Mai-Kundgebung in Chemnitz unter dem Motto »Mach dich stark mit uns« gab sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ein bisschen kämpferischer als sonst: Die Bundes-SPD erhielt nach ihrer Zustimmung zur Koalition mit den Unionsparteien keine Redezeit.

»Krise folgt auf Krise. Strukturwandel, Globalisierung, Digitalisierung und internationale Konflikte sind die Herausforderungen unserer Zeit«, rief die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi am Neumarkt den Teilnehmer*innen zu. An einer Demonstration vom ikonischen Karl-Marx-Monument in die Innenstadt hatten zuvor laut Gewerkschaftsangaben rund 3000 Menschen teilgenommen, darunter viele junge Leute.

»Ich bin hier, weil ich möchte, dass die Beschäftigten bessere Löhne bekommen«, sagt Gewerkschafterin Lena im Gespräch mit »nd«. Die zwanzigjährige Studentin hat früher bei VW in Chemnitz gearbeitet und nimmt zum dritten Mal in Folge an der Erster-Mai-Kundgebung teil. Sie macht sich vor allem Sorgen über den gesellschaftlichen Rechtsruck. In der sächsischen Großstadt ist die AfD die größte Partei im Stadtrat und holte bei der jüngsten Bundestagswahl die Mehrzahl der Erst- und Zweitstimmen. »In Sachsen ist es gerade schwierig«, sagt sie. »Aber ich finde, dass wir ziemlich gut dagegenhalten.« Dafür seien auch solche Demonstrationen wichtig. »Es ist schön zu sehen, dass alle so solidarisch sind.«

Zum ersten Mal nimmt dieses Jahr auch Moritz teil, Mitglied der IG Metall und Beschäftigter bei Siemens Energy in Chemnitz. »Ich bin begeistert, wie viele Menschen da sind«, sagt er. Letztes Jahr seien es deutlich weniger gewesen. Die Krise der Industrie mache sich auch bei ihm im Betrieb bemerkbar. Es gab Entlassungen und man verhandle mit der Geschäftsführung. »Aber es geht langsam wieder aufwärts bei uns.« Für ihn stehen die Themen Krieg, Aufrüstung und die nach wie vor bestehende Lohnlücke zwischen ost- und westdeutschen Arbeiter*innen im Vordergrund.

Der liegt laut DGB für Vollzeitbeschäftigte bei 19 Prozent. Innerhalb Sachsens betrage der Unterschied zwischen tarifgebundener und ungebundener Bezahlung 700 Euro im Monat. Sowohl die Zahl der Tarifverträge als auch der Gewerkschaftsmitglieder ist im Vergleich zum Westen – obwohl überall rückläufig – besonders gering. Darum fordert Fahimi von der neuen Regierung die Einführung eines Tariftreuegesetzes. Das würde festschreiben, dass Unternehmen Tarifstandards einhalten müssen, wenn sie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge berücksichtigt werden wollen.

Insbesondere das Vorhaben der schwarz-roten Koalition, den Achtstunden-Tag aufzuweichen, stößt auf scharfe Kritik. Die neue Regierung hat im Koalitionsvertrag angekündigt, statt einer Tages- eine Wochenhöchstarbeitszeit von bis zu 48 Stunden einzuführen. »Dass die neue Bundesregierung an unsere Arbeitszeiten rangehen will, geht überhaupt nicht. Da müssen wir auf jeden Fall gegen vorgehen«, unterstreicht Niels, ebenfalls Beschäftigter bei Siemens Energy in Chemnitz. Auch bundesweit regt sich gewerkschaftlicher Protest dagegen.

Die SPD in Chemnitz stellt das am Ersten Mai vor Probleme. Zwar sprach der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer neben Linken-Parteichefin Ines Schwerdtner bei der Auftaktkundgebung. Beide kritisierten in ihren Reden unter lautem Beifall drohende Sozialkürzungen und Angriffe auf die Rechte von Arbeiter*innen. Doch anders als die Jusos hat sich die Mehrzahl der SPD-Mitglieder am Dienstag für die Koalitionsvereinbarung mit den Unionsparteien ausgesprochen. Dass von der Bundes-SPD sonst niemand auf der Bühne sprach, sei wohl eine Entscheidung des örtlichen DGB-Bezirks gewesen, heißt es – und ein Signal in Richtung Berlin.

»Ich bin kein Fan von dieser Auftaktkundgebung«, sagt dazu der ehemalige Chemnitzer SPD-Bundestagsabgeordnete Detlev Müller, der bei der vergangenen Wahl sein Direktmandat an die AfD verloren hat, im Gespräch mit »nd«. Wenn man sich die Redner*innen anschaue, sagt er mit Blick auf Linken-Chefin Schwerdtner und Juso-Chef Turner, wisse man, wohin die Reise geht. »Ich muss mich nicht auspfeifen lassen«, sagt er. Müller selbst hat der Koalition zugestimmt, wobei auch er die weitere Aufweichung des Achtstundentages kritisch sieht.

Nicht nur die politische Linke, sondern auch DGB-Vorsitzende Fahimi klingt am Donnerstag zwischendurch klassenkämpferisch. Mit Blick auf die Forderung, dass alle den Gürtel enger schnallen müssten, kritisiert sie: »Mit ›alle‹ seid ihr gemeint – nicht die Vermögenden, nicht die Eliten, nicht das Kapital.« Stattdessen brauche es eine grundlegende Reform der Schuldenbremse und mehr Steuern für Reiche: eine Vermögensteuer, eine wirksame Erbschaftsteuer sowie höhere Steuersätze für Spitzenverdiener, fordert sie.

Die seien nötig, um Investitionen in die Industrie zu finanzieren, die sich derzeit auch aufgrund von Überkapazitäten, zunehmenden geopolitischen und Handelskonflikten in einer Krise befindet. In Chemnitz macht sich das in der gewerkschaftlich eigentlich gut organisierten Automobil- und Zulieferbranche bemerkbar. In vielen Unternehmen droht weiterer Arbeitsplatzabbau.

Auch vor diesem Hintergrund wollen die Gewerkschaften in den nächsten Monaten Druck auf die Bundesregierung aufbauen und bereiten sie sich schon mal auf ihre Oppositionsrolle vor.

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