- Politik
- Ungarn
Budapest-Komplex: Antifaschist Zaid A. kommt vorerst frei
Entscheidung zur Auslieferung nach Ungarn weiter ungewiss
Am Freitag ist der 21-jährige Zaid A überraschend freigelassen worden. Nach gut dreimonatiger Haft durfte er die JVA Köln-Ossendorf unter Auflagen verlassen, nachdem das zuständige Berliner Kammergericht Haftverschonung verfügte. Der junge Antifaschist saß seit Januar in Auslieferungshaft, nun kann er vorerst zu seiner Familie nach Nürnberg zurückkehren – muss sich jedoch drei Mal wöchentlich bei der Polizei melden.
A. wird von ungarischen Behörden vorgeworfen, im Februar 2023 in Budapest an Angriffen auf Rechtsextreme beteiligt gewesen zu sein. Damals versammelten sich dort Neonazis zum »Tag der Ehre«, einem europaweiten Gedenkmarsch für gefallene Wehrmachts- und SS-Angehörige. Mindestens 18 Antifaschist*innen – darunter A. – sollen mehrere Teilnehmende attackiert und teils schwer verletzt haben. Ungarns Justiz leitete daraufhin eine beispiellose Repression ein. Über Ländergrenzen hinweg wurden in diesem »Budapest-Komplex« Verdächtige ermittelt und mit Europäischem Haftbefehl zur Fahndung ausgeschrieben. Zaid A. und andere Antifas tauchten fast zwei Jahre unter, insgesamt sieben von ihnen stellten sich schließlich am 20. Januar deutschen Behörden.
Brisant ist A.‘s Status als einziger Nicht-Deutscher unter den Beschuldigten. Zwar ist er in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert, besitzt aber lediglich die syrische Staatsbürgerschaft. Bei den sechs anderen, die sich im Januar parallel mit A. den Behörden stellten, erklärte die Bundesanwaltschaft, die Verfahren bezüglich der ungarischen Tatvorwürfe in Deutschland führen zu wollen. Für sie soll demnach keine Auslieferung nach Ungarn erfolgen.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Im Fall A. fühlte sich die oberste deutsche Justizbehörde aber bislang nicht zuständig. Dieser Unterschied sorgt für anhaltende Kritik: »Es ist völlig unverständlich, dass Zaid anders behandelt wird als die anderen im Budapest-Komplex Beschuldigten«, monierte etwa eine Sprecherin der Initiative »Family & Friends« bei einer Kundgebung Ostersamstag vor der JVA.
Die jetzige Freilassung erfolgte offenbar, da die Prüfung des ungarischen Ersuchens auf Auslieferung ungewöhnlich lange dauert. So soll das Kammergericht zuletzt – wie im Fall der im Sommer ausgelieferten Maja T. – von Ungarn Zusicherungen zu menschenwürdigen Haftbedingungen, einem fairen Prozess sowie das Recht, eine Strafe in Deutschland verbüßen zu dürfen. Dieser formaljuristische Austausch ziehe sich nach Angaben von Unterstützenden seit Wochen, dezidierte Zusagen aus Ungarn gibt es demnach nicht, erklären Aktivist*innen »nd«.
Möglich ist aber auch, dass die Justizbehörden nach ihrem kritisierten Vorgehen im Fall Maja T. nun genauer hinschauen müssen, welche Angaben Ungarn zu den Haftbedingungen liefert: Wenige Minuten nach Vollzug der Überstellung von T. an Ungarn entschied das Bundesverfassungsgericht im Eilverfahren, dass diese rechtswidrig sei. Zur Begründung hieß es im später ebenfalls gewonnenen Hauptsacheverfahren unter anderem, dass die deutschen Verfassungsrichter*innen Zweifel an der Menschenrechtslage in Ungarn hegten.
»Wie Zaid selbst haben wir sehr kurzfristig von der Entlassung erfahren«, sagt Hadid vom Kölner Solikreis »Freiheit für Zaid«. Man sei dann sofort zur JVA gefahren, habe ihn dort eingesammelt, sich kurz ausgetauscht und ihn dann direkt in einen ICE zu seinem Wohnort Nürnberg gesetzt. Dort sei er am Abend am Gleis von seinen Eltern, Freund*innen und vielen Unterstützenden in Empfang genommen worden. Noch am Donnerstag hätten Tausende bei der 1. Mai-Demo seine Freiheit gefordert; einen Tag später dann am Gleis zu stehen und seiner Ankunft entgegen zu fiebern, sei »überraschend wie überwältigend« gewesen, sagt Alex Schmidt, Sprecher der Nürnberger Unterstützer*innen.
Was die Entlassung nun bedeutet – ganz klar ist dies an diesem Wochenende noch niemanden. Zwar sei die jetzige Haftverschonung »ein Erfolg und eine Erleichterung«, doch weder die Auslieferung noch eine Anklage durch die Bundesanwaltschaft im Auftrage Ungarns sei vom Tisch, heißt es von der Soli-Initiative. Zaids’ Eltern zeigten sich gegenüber »nd« am Wochenende erleichtert, wenngleich auch weiterhin besorgt. Erst einmal habe ihr Sohn nun viel mit seinen Freund*innen nachzuholen, alles weitere werde dann in Ruhe besprochen.
Die Freiheit von Zaid A. ist also prekär – denn die Entscheidung über seine Auslieferung steht weiterhin aus. Bis zur endgültigen Klärung lebt er mit gepackten Koffern: Jederzeit bereit, erneut vor Gericht zu erscheinen – in Berlin oder womöglich in Budapest. Eine Verurteilung könnte ihm dort eine Strafe von bis zu 24 Jahren einbringen – ohne Jugendstrafrecht, trotz seines jungen Alters.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.