Kampftag der Arbeitslosen: Urlaub für alle

Hunderte demonstrieren in Berlin gegen den Zwang zur Lohnarbeit

Am Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen wünschen sich die Demonstrierenden die Freiheit, ihre Zeit selbst gestalten zu können, anstatt zur Arbeit gezwungen zu werden.
Am Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen wünschen sich die Demonstrierenden die Freiheit, ihre Zeit selbst gestalten zu können, anstatt zur Arbeit gezwungen zu werden.

»Urlaub für alle, und zwar sofort!« Die etwa 250 Demonstrierenden im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg sind sich einig: Niemand sollte arbeiten müssen. Deshalb protestieren sie nicht am 1. Mai, sondern am 2. Mai, dem Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen, gegen den Zwang zur Lohnarbeit. »Unsere Freunde sind die Roboter«, heißt es vom Lautsprecherwagen auf dem Weg der Demonstration von der Kneipe Baiz über die Schönhauser Allee bis zum Einkaufszentrum Schönhauser-Allee-Arcaden. Schon zum 21. Mal findet die Demonstration der Arbeitsgegner in Berlin statt.

»Das Wort Arbeit stammt vom mitteldeutschen Begriff für Mühsal und auch Beschwernis und Leiden«, sagt ein Redner auf der Demonstration. Arbeit sei für die Mehrheit der Gesellschaft ein »schmerzlicher Zwang, der krank macht«. Pro Jahr würden in Deutschland zwei Millionen durch Arbeit erkranken, sagt der Redner. »Wir verachten keine Arbeiterin und keine Angestellte, aber wir finden, niemand sollte gezwungen sein, Geld zu verdienen, um leben zu können.« Um diesen Zwang etwa durch ein bedingungsloses Grundeinkommen zu beenden, schlägt der Demonstrant ein Sondervermögen vor – »nicht für die Rüstungsindustrie, sondern für alle«.

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Ein bedingungsloses Grundeinkommen fordert auch Demonstrationsteilnehmer Robert Ulmer. »Es ist eine brillante Idee, deswegen setze ich mich hier dafür ein«, sagt er zu »nd«. Ulmer hält die »Religion der Arbeit« für gefährlich, denn es sei die Idee, dass man ein guter Mensch sei, bloß weil man erwerbsarbeite. Dadurch entstehe eine Missgunst gegenüber anderen: »Ich opfere meine Lebenszeit für einen miesen Job, und du weigerst dich.«

Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen sei innerhalb der vergangenen 20 Jahre deutlich bekannter geworden, und es gebe inzwischen auch Studien mit positiven Ergebnissen zu dem Konzept. Doch allzu zuversichtlich stimmt das Ulmer nicht, denn in Zeiten von »Fachkräftemangel und Kriegstüchtigkeit« wirke die Forderung aktuell dennoch »abwegig«.

Auch die Erwerbsloseninitiative Basta nimmt an der Demonstration teil. »Basta ist jedes Jahr mit dabei, ist ja klar. Eine Erwerbsloseninitiative tritt immer für die freie Zeit und gegen den Zwang der Lohnarbeit ein«, sagt Gitta Schalk im Lautsprecherwagen. Basta unterstützt Menschen vor allem in Auseinandersetzungen mit dem Jobcenter. In einem aktuellen Fall hätte eine Familie fast ihre Wohnung aufgrund von Mietschulden verloren.

»Keinen Fußbreit der Arbeit! Wir sind die Brandmauer gegen die Lohnarbeit.«

Arno Arbeitslosengruppe ALG-Vorabendgammeln

»Die Eltern sind krank geworden von der Lohnarbeit und versuchen Erwerbsminderungsrente zu beantragen«, sagt Schalk. Das zuständige Jobcenter habe lange kein Darlehen zur Übernahme der Mietschulden gewährt. »Es ist unheimlich schwer im Moment, die Jobcenter zur Arbeit zu bringen«, sagt Schalk – obwohl diese Forderung gar nicht zum Tag der Arbeitslosen passe. »Müßiggang ist Menschenrecht, ich weiß, ich weiß. Aber Wohnen ist auch Menschenrecht.«

Schon am Vorabend zum 2. Mai haben einige Arbeitsgegner eine kleine Aktion organisiert, sagt Arno von der Arbeitslosengruppe ALG-Vorabendgammeln zu »nd«. Auf dem Kollwitzplatz habe man sich getroffen, um zu zeigen: »Keinen Fußbreit der Arbeit! Wir sind die Brandmauer gegen die Lohnarbeit.« Schon ab der ersten Minute des 2. Mais habe man sichtbar sein wollen, um Arbeitslosigkeit zu enttabuisieren. In Zukunft sollte es »allen ermöglicht werden, selbst über ihr Zeitkontingent zu bestimmen«, sagt Arno.

»Nie, nie, nie wieder Arbeit« und »Wir haben Zeit« rufen die Arbeitsgegner während der Demonstration. Nachdem sie an den Schönhauser-Allee-Arcaden das »Gebet gegen die Arbeit« von Michael Stein gemeinsam aufgesagt haben, laufen sie zurück zur Kneipe Baiz. Dort hören sich die Demonstrierenden bei Sonnenschein und kalten Getränken noch einige Redebeiträge und Livekonzerte von Bernadette La Hengst, dem Chor der Statistik und der Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot an.

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