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Jüdischer Mannschaftsarzt unerwünscht
Zwölf Fans des SV Babelsberg 03 recherchierten zur Vereinsgeschichte in der Nazizeit
Am Sportplatz Sandscholle soll in der Nazizeit ein Schild gehangen haben: »Juden ist der Zutritt verboten!« Paul Englisch, damals Geschäftsführer beim SV Babelsberg 03, will es mutig entfernt haben, weil es seiner Ansicht nach nur auf den Mannschaftsarzt Martin Platau gemünzt sein konnte. Weil ihn der Platzwart beobachtet habe, will Englisch zum Selbstschutz beantragt haben, in die NSDAP aufgenommen zu werden – um nicht ins KZ gesteckt zu werden. So versuchte der Vereinsgeschäftsführer 1946 seine ihn belastende Mitgliedschaft in der Partei zu rechtfertigen.
Ob es wirklich so war, können die zwölf Anhänger des SV Babelsberg 03 nicht sagen, die 2020 während des ersten Corona-Lockdowns begannen, die Geschichte des Vereins in der Nazizeit zu recherchieren. Neun Männer und drei Frauen fanden in der Gruppe Recherche 03 zusammen und sie legen nun am 10. Mai ihre Broschüre »Nulldrei im Nationalsozialismus« vor. Sie wird dann für fünf Euro und gern noch einen Solidaritätsbeitrag im Karl-Liebknecht-Stadion verkauft, ist außerdem im Fanshop erhältlich und kann auf der Internetseite des Vereins kostenlos heruntergeladen werden.
»Als Verein mit einer heute traditionell eher linken Fanszene kam uns das längst überfällig vor.«
Aus dem Vorwort
Studierende und auch zwei Abiturienten haben mitgewirkt. Eine Mitstreiterin ist vom Fach, also Historikerin – Carolin von der Heiden. Alle haben sich ehrenamtlich engagiert. Der Verein und die Stiftung SPI halfen in den zurückliegenden Jahren, indem sie Räume für Treffen zur Verfügung stellten oder Geld für den Druck spendierten.
Es ist ein Beitrag zur Erinnerungskultur und zur Aufarbeitung. »Als Verein mit einer heute traditionell eher linken Fanszene kam uns das längst überfällig vor«, heißt es im Vorwort. In den Vereinschronik seien die Jahre 1933 bis 1945 »zwar überliefert, jedoch beinahe ausschließlich mit Bezug auf sportliche Fakten«. Die politischen Hintergründe seien beinahe komplett ausgeklammert worden.
In Babelsberg, das bis 1938 Nowawes hieß, gab es mit Concordia einen Arbeiterfußballverein, den die Nazis verboten. Der heutige SV Babelsberg 03 war ein bürgerlicher Verein, der einfach nur gleichgeschaltet wurde. Seine Mannschaft spielte in diesen Jahren zeitweise in der höchsten Liga, der Gauliga, und traf auf die Teams der Luftwaffe und der SS-Leibstandarte Adolf Hitler. Es gibt Fotos von Spielern, die bereits 1933 geschlossen den Hitlergruß zeigten. Im Protokoll einer Generalversammlung von August 1933 findet sich ein Bekenntnis zum »Volkskanzler Adolf Hitler«. Vereinschefs und Geschäftsführer waren alte Deutschnationale und SA-Männer wie Walter Sehring und Günter Kauerauf.
Von 1936 bis 1938 spielte Karl Bertram im Verein. Er diente in der berüchtigten Legion Condor, die im Spanienkrieg den General Franco im Kampf gegen die Republik unterstützte.
Gespielt haben für Babelsberg während des Zweiten Weltkriegs unter anderen die beiden niederländischen Zwangsarbeiter Gerrit Stroker und Jaap Hordijk, die bei den Babelsberger Filmstudios eingesetzt waren – Hordijk im Kulissenbau. Stroker heiratete 1944 eine Deutsche, mit der er Ende 1945 in seine Heimat zurückkehrte. Dort galt er als Kollaborateur und stieß zunächst auf Ablehnung, stürmte aber von Juli 1946 bis Juni 1947 für Ajax Amsterdam und war auch Nationalspieler. Er starb 2002 im Alter von 85 Jahren.
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Die Recherchegruppe konnte nicht herausbekommen, ob und wie viele Spieler, Vereinsmitglieder und Anhänger von antijüdischen Gesetzen, Repressionen und Attacken betroffen waren. Sie kann nichts vorlegen, was vergleichbar wäre mit der Leistung von Bernd Siegler, der die jahrzehntelang verschollen geglaubte Mitgliederkartei des 1. FC Nürnberg durchforsten durfte und dazu das ausgezeichnete Buch »Heulen mit den Wölfen« schrieb. In diesem Buch schilderte Siegler die Lebenswege vom Verein ausgeschlossener jüdischer Mitglieder.
Was den SV Babelsberg 03 betrifft, so ist in der Broschüre etwas nachzulesen über das Schicksal von Martin Platau, der sich Spiele ansah und bei Sportverletzungen Hilfe leistete, also eine Art Mannschaftsarzt war. 1938 wurde der 1896 in Berlin geborene Platau für einige Wochen ins KZ Sachsenhausen verschleppt. 1939 emigrierte er mit seiner Frau Ottilie und seinem Sohn Gerard über Kuba in die USA, wo er dann noch bis 1975 lebte.
Am 11. Mai gegen 14 Uhr wird der Künstler Gunter Demnig für diese drei Verfolgten des Naziregimes Stolpersteine vor der Rudolf-Breitscheid-Straße 27 verlegen.
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