Von Faschismus und Staub befreit

Ungewöhnliche Aktionen zum 8. Mai am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park und auf dem Friedhof Baumschulenweg

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Grabsteine der Verfolgten des Naziregimes während der Putzaktion am 6. Mai
Die Grabsteine der Verfolgten des Naziregimes während der Putzaktion am 6. Mai

Die Polizei nimmt ihm die Fähnchen zwar nicht weg, aber Berlins Linksfraktionschef Tobias Schulze muss sie am Donnerstag am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park wegstecken. Wie schon in den Jahren 2022 bis 2024 sind hier russische und sowjetische Fahnen am 8. Mai verboten. Schulze hatte zum Tag der Befreiung vom Faschismus Fähnchen mitgebracht, die sich aus den Flaggen der vier alliierten Siegermächte Sowjetunion, Großbritannien, USA und Frankreich zusammensetzen. Aber auch diese Kombination dulden die Beamten nicht.

Wortgefecht um Ukraine-Flaggen

Dagegen werden einige Leute ob ihrer demonstrativ gezeigten ukrainischen Flaggen von der Polizei beschützt. Es kommt am Vormittag immer wieder zu Wortgefechten mit ihnen. Als Provokation werden beispielsweise auch besondere Schirmmützen und T-Shirts empfunden, auf denen steht: »Make Russia small again!« (Mach Russland wieder klein.) Das ist eine Anspielung auf US-Präsident Donald Trumps Wahlspruch »Make America great again!« (Mach Amerika wieder groß.)

»Die Nato ist immer weiter nach Osten ausgedehnt worden, bis an die russischen Grenzen«, erinnert ein alter Mann erregt an die Vorgeschichte des russischen Überfalls auf die Ukraine. Ein jüngerer Mann hält ihm entgegen: »Wir kennen die Geschichte. Es haben alle Schiss vor den Russen – je weiter östlich sie leben, desto mehr!« Das wird mit Hohnlachen quittiert.

Als ein Polizist dazutritt, der die zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj haltenden Leute schützen soll und sich für 30 Minuten abmeldet, winken die nur ab. Sie fühlen sich nicht bedroht. Für die Gegenseite versichert jemand: »Wir werden nicht handgreiflich. Wir bleiben zivilisiert. Machen Sie sich keine Sorgen!« Doch die Gefühle zu kontrollieren, fällt nicht leicht. Ein Ukrainer berichtet, sein Haus in Charkiv sei von einer russischen Rakete zerstört worden.

Die Befreiung in Sibirien erlebt

Gegen Mittag bietet der Ernst-Busch-Chor das einst von KZ-Häftlingen gesungene Lied von den Moorsoldaten dar. Er singt auch das Friedenslied »Sag’ mir, wo die Blumen sind«. Danach berichten elf Redner, wie ihre Eltern 1945 den Tag der Befreiung erlebten. Hans Holm kann nicht kommen, aber es wird vorgelesen, was er über seine Mutter Ruth aufgeschrieben hat, die in der Sowjetunion gelebt und mit den Partisanen gekämpft hatte. Wladislaw Hedeler erzählt selbst von seinem Vater Walter, der als deutscher Kommunist bis 1955 nach Sibirien verbannt war, aber im Zweiten Weltkrieg auch dort weit hinter der Front einen Beitrag zum Sieg über Hitlerdeutschland leisten wollte, indem er Blut spendete.

Diese sehr persönlichen Erinnerungen an die Befreiung hat Ellen Händler vom Treptower Bund der Antifaschisten (BdA) organisiert. Sie ist bereits zwei Tage zuvor auf dem Friedhof Baumschulenweg im Einsatz. Dort glänzen am Dienstag gegen 17.40 Uhr nach anderthalb Stunden emsigen Putzens mehr als 300 Grabsteine aus Granit wie neu in der Sonne. Auf dem weitläufigen Friedhof an der Kiefholzstraße gibt es eine spezielle Anlage für Verfolgte des Naziregimes. Da nicht selten die Namen von Mann und Frau zusammen auf einem Grabstein stehen, lässt sich hochrechnen, dass hier schon an die 500 Menschen ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. So weit zu erkennen, reichen die angegebenen Todesjahre derzeit von 1943 bis 2020.

Grabsteine von Verfolgten geputzt

Der Treptower BdA und die Gruppe »Aufstehen gegen Rassismus« haben dazu aufgerufen, im Vorfeld des 80. Jahrestags der Befreiung die Grabsteine zu säubern. Mehr als 30 Personen beteiligen sich, Frauen und Männer, Kinder und Senioren. Sie waschen mit Wasser den Staub ab, entfernen mit Bürsten hartnäckigen Schmutz, kratzen mit Spachteln Flechten ab. Einige müssen früher gehen, andere stoßen später dazu. Der Linke-Bezirksvorsitzende Moritz Warnke kann nicht bis zum Schluss bleiben. Zum Abschied äußert er noch, die Aktion sei »ein wichtiges Signal angesichts des Angriffs auf Monir Khan«. Der Muslim ist mit der evangelischen Pfarrerin von Baumschulenweg verheiratet und war kürzlich gleich um die Ecke von unbekannten, mutmaßlich rechten Gewalttätern vor seiner Haustür attackiert worden.

Das Erinnern an Opfer des Faschismus und an die Befreiung vor 80 Jahren ist Warnke immer wichtig, aber angesichts des jüngsten Vorfalls noch einmal besonders. »Es ist wirklich schön, wie viele gekommen sind und tatsächlich generationenübergreifend«, freut er sich über die rege Beteiligung.

Auch die BdA-Vorsitzende Ellen Händler strahlt zufrieden. Da die Aktion bei diesem ersten Versuch so erfolgreich ist, könnte in Zukunft eine Tradition daraus werden, sagt sie. Nachdem alles geputzt ist, werden rote Nelken auf den Grabsteinen verteilt, und es wird etwas erzählt über das Schicksal von drei hier beigesetzten Ehepaaren.

Über Vera und Herbert Anspach berichtet Ellen Händler. Als Anfang 1990 das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Park erstmals beschmiert worden war, habe Vera mit anderen den hiesigen BdA gegründet und sei dessen erste Vorsitzende gewesen. Ellen Händler folgte ihr in dieser Funktion nach. 2020 feierte Vera Ansbach ihren 100. Geburtstag, der Bezirksbürgermeister kam und gratulierte. Es sei ein schönes Fest gewesen – zwei Tage später sei Vera gestorben.

Über Irmgard und Fritz Konrad spricht deren Tochter Monika. Irmgard sei ursprünglich im jüdischen Glauben erzogen worden, aber von der Religion schon als Kind abgekommen, als ihr Vater starb. Dies bewahrte Irmgard nicht davor, unter dem Naziregime zwangsweise den Vornamen Sarah und einen gelben Stern tragen zu müssen. Irmgard überlebte die Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück und wurde 1945 auf dem Todesmarsch befreit. Sie ging nach Frankreich und wurde dort 1947 von ihrem Mann Fritz ausfindig gemacht, der jener SPD-Abspaltung Sozialistische Arbeiterpartei angehörte, der sich einst auch der spätere Bundeskanzler Willy Brandt angeschlossen hatte. Das Paar zog nach Leipzig und erst Ende der 80er Jahre nach Berlin. Anfang 1948 heirateten die Eltern und im Oktober kam Monika zur Welt.

Von Walter und Ulla Voßeler berichtet deren Tochter Katrin. Walter war ein kommunistischer Jugendfunktionär aus dem Schwarzwald. Als er während der Weltwirtschaftskrise arbeitslos wurde, zog er in die Sowjetunion und baute in Moskau eine Uhrenfabrik mit auf, arbeitete dann als Lehrmeister in der sowjetischen Hauptstadt. 1937 entschied Walter Voßeler, im Spanienkrieg in den Internationalen Brigaden zu kämpfen. Nach der Niederlage war er in Frankreich interniert und wurde an Deutschland ausgeliefert, wo er im Gefängnis und im KZ Flossenbürg saß. 1945 von US-amerikanischen Soldaten befreit, half Walter Voßeler ihnen mit seinen Russischkenntnissen, Kontakt zu den sowjetischen Truppen herzustellen. Tochter Katrin ist Russischlehrerin geworden.

Am Donnerstag legt die Bundestagsfraktion der Linken am sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten einen Kranz nieder. Dort gab es bereits am 3. Mai eine Veranstaltung mit den Sängern Tino Eisbrenner und Karsten Troyke, bei der sowjetische Fahnen ebenfalls nicht erlaubt waren.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.