Berlin-Neukölln: Letzte Hoffnung Vorkaufsrecht

Die Hausgemeinschaft eines Neuköllner Wohnhauses hofft auf einen Vorkauf des Bezirks gegen drohende Luxussanierung

Die »Richibrauni« soll an einen Investor verkauft werden. Die Bewohner*innen wehren sich, unter anderem mit einer Kundgebung.
Die »Richibrauni« soll an einen Investor verkauft werden. Die Bewohner*innen wehren sich, unter anderem mit einer Kundgebung.

»Wir fühlen uns akut von Verdrängung bedroht«, sagt Thomas Ott zu »nd«. Ott lebt in Neukölln, genauer in der Nähe des S-Bahnhofs Neukölln, in einem Eckhaus an der Braunschweiger und der Richardstraße. Das Haus soll an einen Investor verkauft werden. Ott und die anderen Hausbewohner*innen befürchten, dass das Haus nach einem Verkauf luxussaniert wird, wie es in Neukölln immer öfter passiert. »Wir haben Angst, dass wir durch Schikane aus unserem Zuhause verdrängt werden«, sagt Ott. Aber die Hausgemeinschaft der »Richibrauni«, wie das Haus getauft wurde, will nicht tatenlos zuschauen. Sie haben sich zusammengeschlossen und fordern, dass der Bezirk sein Vorkaufsrecht ausübt. Dafür haben sie am Mittwochabend eine Kundgebung organisiert.

Der Andrang ist groß, zwischenzeitlich sind rund 100 Demonstrant*innen auf der Kundgebung. Einerseits sorgt in der vom Mietenwahnsinn geplagten Hauptstadt jeder Mieter*innenkampf für Aufmerksamkeit. Andererseits ist der Fall der »Richibrauni« mit der Hoffnung verknüpft, das enorm geschwächte bezirkliche Vorkaufsrecht wiederzubeleben. Mit diesem Mittel können unter bestimmten Voraussetzungen Bezirke, nachdem sie über den Verkauf einer Immobilie informiert wurden, in Milieuschutzgebieten einen Vorkauf vornehmen: Entweder sie erwerben das Gebäude selbst oder üben das Vorkaufsrecht zugunsten eines gemeinwohlorientierten Dritten aus.

Bis 2021 war das eine weitverbreitete Praxis in Berlin. Dann aber fällte das Bundesverwaltungsgericht im November ein folgenschweres Urteil. Seitdem ist die Anwendung nur noch in Ausnahmefällen möglich – etwa wenn das zu verkaufende Gebäude enorm sanierungsbedürftig ist oder in Fällen, in denen das Grundstück nicht entsprechend den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahmen verwendet wird. Die Konsequenz: Wurden 2020 in Berlin nach Angaben des Berliner Mietervereins noch 4061 Wohnungen mithilfe dieses Instruments vor Investoren gerettet, waren es 2021 nur noch 2350. Seit dem Urteil wurde das Vorkaufsrecht nur bei zwei Häusern, der Weichselstraße 52 in Neukölln und dem »Tuntenhaus« in Prenzlauer Berg, angewandt, in beiden Fällen wegen großen Sanierungsbedarfs.

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Die »Richibrauni« müsste zwar saniert werden, aber nicht in dem Maße, dass es für das Vorkaufsrecht reichen würde. »Die Wohnungen sind alle in einem sehr schlechten Zustand, aber nicht unbewohnbar«, sagt Bewohner Thomas Ott.Der Bezirk prüft dennoch, ob er eingreifen kann. Denn im Haus wurden eigentlich genehmigungsbedürftige Sanierungsmaßnahmen durchgeführt. Ott berichtet »nd« von ausgetauschten Fenstern und Grundrissänderungen. »Im betreffenden Fall haben wir Hinweise darauf, dass durch nicht genehmigte Sanierungen der Tatbestand vorliegt, dass das Grundstück nicht entsprechend der städtebaulichen Ziele genutzt wird«, teilt Neuköllns Baustadtrat Jochen Biedermann (Grüne) auf Anfrage mit. Darauf stütze sich die Prüfung.

Die Bewohner*innen haben große Hoffnung, sehen sogar, dass das neue Vorgehen ein »Präzedenzfall« sein könnte. Aber das Vorkaufsrecht muss nicht nur gezogen werden, es muss auch ein Drittkäufer gefunden werden. »Jemand, der unser Haus übernimmt, bevor es ein Investor tut«, wie eine Bewohnerin des Hauses auf der Kundgebung sagt. Einen gemeinwohlorientierten Käufer zu finden, der die rund 3,3 Millionen Euro aufbringt, die das Haus mit seinen 30 Wohneinheiten kosten soll, könnte sich als schwierig erweisen. Zwar teilt Baustadtrat Biedermann mit, dass man in Kontakt mit Genossenschaften und landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) sei und diese den Vorkauf prüfen würden. Das heißt aber zunächst wenig. Auf die Frage, ob der Senat erwäge, ein LWU anzuweisen, das Haus zu kaufen, antwortet die Senatsbauverwaltung, die »Prüfung der Wirtschaftlichkeit durch verschiedene potenzielle Dritte« laufe derzeit.

In anderen Fällen scheiterte der Vorkauf aber genau daran, dass kein Käufer gefunden werden konnte. Zuletzt im Januar bei der Schönleinstraße 19 in Kreuzberg. Das Haus ist eine »Schrottimmobilie«, in die seit Jahrzehnten nicht investiert wurde. Die Landeseigenen wollten das Haus aus wirtschaftlichen Gründen nicht kaufen, der Senat kein Geld zuschießen. Im Landeshaushalt seien keine Mittel dafür da, hatte Bausenator Christian Gaebler (SPD) gesagt.

Für Katrin Schmidberger ist das kein Argument. Die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus ist auch zur Kundgebung gekommen. »Wo ein politischer Wille ist, ist auch ein finanzpolitischer Weg«, sagt sie zu »nd«. Schließlich habe der Vorkauf in den Fällen der Weichselstraße und des »Tuntenhauses« auch funktioniert. Unter der rot-grün-roten Vorgängerkoalition habe man bei Vorkäufen Zuschüsse gezahlt, was der schwarz-rote Senat eingestellt habe. »Damit hat er den Vorkauf für die Landeseigenen absichtlich unwirtschaftlich gemacht.«

Schmidberger weist noch auf einen anderen Punkt hin: Pro Vorkaufsfall habe es im Schnitt zwei bis drei Abwendungsvereinbarungen gegeben. Mit diesen können Immobilienkäufer verhindern, dass der Bezirk die Kaufoption zieht – im Gegenzug für Zugeständnisse bezüglich der weiteren Nutzung des Hauses. Das können Mietpreisbegrenzungen sein oder die Verpflichtung zur Schaffung von Sozialwohnungen. »Auch wenn das Vorkaufsrecht immer nur für ein Haus ausgeübt wird, hat es eine große Wirkung auf andere Häuser«, so Schmidberger.

»Wir haben Angst, dass wir durch Schikane aus unserem Zuhause verdrängt werden«

Thomas Ott Bewohner »Richibrauni«

Damit Käufer solche Vereinbarungen unterschreiben, muss das Vorkaufsrecht aber auch tatsächlich ausgeübt werden. »Es muss klar sein, dass der Vorkauf nicht nur eine leere Drohung ist, sondern im Ernstfall auch durchgezogen wird«, sagt Schmidberger. Schon jetzt gebe es Eigentümer, die sich weigerten, Abwendungsvereinbarungen zu unterschreiben. »Der Senat muss aufhören, sich wegzuducken und seiner wohnungspolitischen Verantwortung gerecht werden.«

Bezogen auf die »Richibrauni« sieht Schmidberger noch eine größere Signalwirkung: »Gerade weil hier gegen die Milieuschutzverordnung verstoßen wurde, wäre es wichtig, dass sich die Politik ernst nimmt und das Vorkaufsrecht ausübt.« Man müsse den Investoren zeigen, dass man mit den Häusern nicht einfach machen kann, was man will.

Zumindest auf der Kundgebung ist die Unterstützung dafür groß. Nicht nur Vertreter*innen zahlreicher Initiativen wie Deutsche Wohnen & Co. enteignen, Stop Heimstaden oder das Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn halten Reden. Auch Derya Çağlar von der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus drückt ihre Unterstützung für das Vorhaben aus, genauso wie Carla Aßmann, Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln.

Auch die Bauverwaltung teilt »nd« mit, man begrüße es, dass der Bezirk Neukölln die gesetzlichen Möglichkeiten nutze. Aber taugt der Fall der »Richibrauni« als Präzedenzfall? Und kann das Vorkaufsrecht über die Anwendung bei nicht genehmigten Sanierungen in Milieuschutzgebieten wiederbelebt werden? Baustadtrat Jochen Biedermann ist skeptisch: Das Bundesverwaltungsgericht habe einen sehr restriktiven Rahmen gesetzt. Zwar seien im konkreten Fall diese Bedingungen erfüllt, aber für eine Wiederbelebung werde das nicht ausreichen.

Der Ball liegt jetzt bei der neuen Bundesregierung. Diese hat im Koalitionsvertrag vereinbart, dass das Vorkaufsrecht reformiert werden soll. Das hatte allerdings auch die Vorgängerregierung, ohne dass etwas passierte. Die Senatsbauverwaltung ist zuversichtlich: »Aufgrund der Formulierungen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist das Land Berlin optimistisch, dass die notwendige Reform nunmehr umgesetzt wird. Jegliche Verbesserung wird begrüßt.« Auch Baustadtrat Biedermann teilt mit, er erwarte entsprechende Reformen. »Die entsprechenden Entwürfe zur Änderung des BauGB liegen vor und können vom Bundestag zügig beschlossen werden.«

Mögliche künftige Reformen helfen den Bewohner*innen der »Richibrauni« aber nicht. Die Frist, bis zu der ein Drittkäufer gefunden werden muss, läuft am 19. Mai ab. Bis dahin wollen die Bewohner*innen weiter für einen Vorkauf kämpfen. Für die kommende Woche sind wieder Aktionen geplant. »Wir versuchen alles zu geben, was wir geben können«, sagt Stefan Ott. »Die Alternative ist sehr düster.«

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