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Naddel: Gestorben für den Boulevard
Der Tod von Nadja Abd el Farrag legt ein paar unangenehme Wahrheiten über Klatschpresse und C-Promis offen
Wer frontal in einen Scheinwerfer blickt, macht eine irritierende Erfahrung. Wiewohl es gleißend hell ist, sieht man fast gar nichts. Diesen Effekt kennt man vom Boulevardjournalismus und von den von ihm angestrahlten C-Promis. Obgleich jede Nische des Privatlebens ausgeleuchtet wird, bleibt das Wesentliche verborgen.
Das liegt im Wesen des C-Promitums begründet. Die traditionelle A- und B-Prominenz muss irgendeine Art von Leistung vorweisen, und sei es nur, dass sie in austauschbaren Vorabendserien mitwirkt oder Fließbandschlager singt. Eine Thekla Carola Wied (»Ich heirate eine Familie«, »Wie gut, dass es Maria gibt«) hat eine ganze Karriere darauf aufgebaut, dass sie im ZDF stets den gleichen Gesichtsausdruck zur Schau stellte.
Der C-Promi hingegen hat nur sich selbst anzubieten. Er ist die Trash-Version des Hochadels, der außer ererbten oder angeheirateten Titeln nichts vorzuweisen hat. Ein Musterbeispiel hierfür war Nadja Abd el Farrag, geboren 1965 in Hamburg als Tochter eines Autohändlers, die in der Öffentlichkeit meist nur als »Naddel« bezeichnet wurde.
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Ihre Tragödie begann bereits vor der Jahrtausendwende, also bevor »Big Brother« den Weg für das Reality-TV freiwalzte. Als Langzeitfreundin von Dieter Bohlen, die zwischenzeitlich für Verona Pooth (geborene Feldbusch) abserviert wurde, hatte Nadja Abd el Farrag von Anfang an die Rolle des Opfers inne. Kennengelernt hatte sie ihn als Backgroundsängerin für Blue System. Fragen wie »Wann heiraten die beiden endlich?« und »Wann bekommt sie ein Kind?« beschäftigten die Klatschpresse die ganzen 90er hindurch. Es waren verlogene Fragen. Denn jeder, der Dieter Bohlen medial erlebte, wusste: Die Antwort würde »nie« lauten.
Ein ehrlicher Artikel hätte sich damit beschäftigt, dass ein ziemliches Ekelpaket eine ziemlich naive Frau über Jahre hinweg hinhielt und vertröstete. Aber im Boulevardjournalismus geht es nicht um Wahrhaftigkeit, sondern um »Drama, Baby, Drama« (Bruce Darnell). Der C-Promi lebt davon, dass seine Existenz wie eine Aneinanderreihung von Verkehrsunfällen wirkt.
Und Naddel lieferte zuverlässig. 2001 ließ sie in einer Sat.1-Quizshow ihre – hier passt dieser Ausdruck mal – Titten wiegen. Die deprimierende Pointe bestand darin, dass das Publikum vorab tippen musste, ob diese so schwer wie eine Mango, ein Bund Brokkoli oder eine kleine Honigmelone waren. In solchen Momenten begriff man: Die Würde des Menschen ist doch antastbar.
Aber Naddel begriff es erst Jahre danach, viel zu spät. Im Feuilleton der Qualitätspresse mochte man darüber räsonieren, inwieweit eine Frau ihre Seele verkaufte, indem sie im Trash-TV ihren Körper feilbot. »Big Brother«, »Ich bin ein Star, holt mich hier raus« und »Promiboxen«. Doch auf dem Boulevard zählte nur der Flakscheinwerfer, der Naddel – den Namen ließ sie 2007 als Marke registrieren – derart grell anstrahlte, dass der Mensch Nadja Abd el Farrag dahinter unsichtbar wurde.
Immer wieder ließen sich »Bild« und Co. über ihre »Abstürze« aus. Der Ausdruck klang spektakulär und war stets gut für Auflage und Klicks. Denn die eigentliche Wahrheit hätte die Leserschaft nur verstört: Die Frau, die als unbekannte Apothekenhelferin vermutlich glücklicher gewesen wäre, war Alkoholikerin. Kein schönes Wort für einen Aufmacher, der sich verkaufen soll. Dass ihre Sucht zeitgleich mit der Beziehung zu Dieter Bohlen begann, hätte Stoff für ein interessantes Porträt bieten können: Weshalb beginnen Frauen, die sich alleingelassen fühlen, zu trinken? Doch auch dieser Text wurde nie geschrieben.
Am 9. Mai lieferte Nadja Abd el Farrag das letzte Mal Schlagzeilen. An diesem Tag starb sie an Leberzirrhose.
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