Wahlen in den Philippinen: Im Würgegriff der Dynastien

Die Philippinen versinken im Populismus: Aus den Halbzeitwahlen gehen die Lager von Duterte und Marcos als stärkste Kräfte hervor

  • Felix Lill, Manila
  • Lesedauer: 7 Min.
Lange Schlangen bildeten sich vor vielen Wahllokalen auf den Philippinen, wo am Montag Halbzeitwahlen stattfanden. Neben einer Vielzahl von nationalen und lokalen Ämtern wurden auch 12 Sitze im einflussreichen Senat neu besetzt.
Lange Schlangen bildeten sich vor vielen Wahllokalen auf den Philippinen, wo am Montag Halbzeitwahlen stattfanden. Neben einer Vielzahl von nationalen und lokalen Ämtern wurden auch 12 Sitze im einflussreichen Senat neu besetzt.

Als Harrold Toledana am Montagvormittag an seinem Wahllokal Navotas ankommt, sieht er auf dem Gelände, das an anderen Tagen eine Grundschule ist, eine sehr lange Schlange. »Wann sind wir ungefähr dran?«, fragt der 32-Jährige bei einem der Wahlhelfer in diesem eher einfachen Stadtteil im Norden Manilas. Die Antwort, die in Europa wohl jeden empört hätte, nimmt Harrold Toledana schulterzuckend hin: »Um die vier Stunden müssen Sie wohl warten, Sir!« Die Auszählmaschine funktioniere gerade nicht.

Im südostasiatischen Land, wo 114 Millionen Menschen leben, haben am Montag Halbzeitwahlen stattgefunden. Auch wenn damit nicht das mächtigste Amt des Präsidenten neugewählt wurde, ist der Tag einer der bedeutendsten der philippinischen Demokratie: Neben dem nationalen Parlament werden diverse Regionalregierungen sowie die für die nationale Politik wichtigen Posten des Senats neu besetzt. Aber dass die Wahlen völlig reibungslos ablaufen würden, hat hier kaum jemand erwartet. Nicht wenige wittern Wahlbetrug.

Die hakenden Auszählmaschinen beunruhigen Harrold Toledana nicht so sehr. Die seit 2010 eingesetzte elektronische Methode hat immer mal wieder Probleme. »Ich hoffe nur, dass die Bongbong nahestehenden Kandidaten gewinnen.« Bongbong, oder BBM, ist der Spitzname von Ferdinand Marcos Junior, seit 2022 Präsident und Sohn des gleichnamigen einstigen Diktators. Toledana ist Gründer der »BBM Youth«, einer Unterstützungsorganisation für Marcos. Zumindest seine Anhänger sind am Montag guter Dinge.

Aber jenseits der Marcos-Fans herrscht Skepsis. Da sind nicht nur die Beschwerden von Auslandsfilipinos, die schon vorab die Möglichkeit hatten, online abstimmen und offenbar wiederholt ungewollt anderen Kandidaten ihre Stimmen gaben, was das Vertrauen in die Abstimmungen nicht erhöht hat. Hinzu kommen notorische Berichte von gekauften Stimmen durch Kandidaten in der Nachbarschaft. Es sind auch Menschen erschossen worden während des Wahlkampfs. Freie und faire Wahlen sehen anders aus.

Formal sind die Philippinen seit 1987, als die blutige Diktatur von Ferdinand Marcos Senior durch eine Revolution beendet worden war, eine Demokratie. Aber gerade in den letzten Jahren hat die freiheitliche Ordnung schwer leiden müssen. Und in einem Land, das schon lange von Politikerdynastien dominiert wird, hat sich diese Wahl zu einem bitteren Zweikampf entwickelt: Das »Marcos-Camp« auf der einen Seite, ihm gegenüber das »Duterte-Lager.« Diese zwei derzeit mächtigsten Familien bekriegen sich öffentlich.

Was daran aus Demokratieperspektive wohl am bittersten ist: Hierbei geht es kaum um politische Inhalte. »Es geht um Macht«, erklärt Marcos-Unterstützer Harrold Toledana in der Schlange zur Wahlurne. Bei der Präsidentschaftswahl vor drei Jahren waren die Marcoses und Dutertes noch gemeinsam angetreten, hatten als »Einigkeitsteam« die Wahl gewonnen: Marcos Junior wurde Präsident, Sara Duterte, die Tochter des von 2016 bis 2022 regierenden Ex-Präsidenten Rodrigo Duterte, Vizepräsidentin.

»Marcos Junior gibt sich freundlicher als Duterte. Aber auch unter ihm werden Menschen erschossen, Medien unterdrückt, und es wird zu wenig getan, damit die Wahlen sauber ablaufen können.«

Lee Rhiannon Wahlbeobachterin

Durch diese Allianz konnten sich beide Familien vor rechtlicher Verfolgung schützen. Die Marcoses müssten eigentlich noch viel Geld an den Fiskus zurückzahlen, nachdem sie in der Diktaturperiode Milliarden US-Dollar entwendet hatten. Rodrigo Duterte wiederum ist für den Tod von bis zu 30 000 Menschen mitverantwortlich, die – Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen zufolge – im Zuge seines brutalen Drogenkriegs erschossen wurden, mit dem er das Land offiziell hatte sicherer machen wollte. Inzwischen ist die Marcos-Duterte-Allianz längst zerbrochen.

Sara Duterte hat gegen Marcos Junior praktisch Morddrohungen ausgesprochen, derzeit läuft ein Amtsenthebungsverfahren gegen sie. Und dass Ex-Präsident Rodrigo Duterte im März durch einen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshof festgenommen wurde, ist ohne Hilfe von Marcos kaum erklärbar. Duterte, dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden, ist seither in Den Haag, wartet auf seinen Prozess, kandidiert aber in der südlichen Stadt Davao, wo seine Karriere begann, wieder als Bürgermeister.

Die politische Fehde zwischen den Dynastien findet vor dem Hintergrund einer fragilen sozialen Situation statt. Mit einem Wirtschaftswachstum von etwa 5,5 Prozent im Jahr 2024 zählen die Philippinen zwar zu den schneller wachsenden Volkswirtschaften in Südostasien, doch die Früchte dieses Wachstums sind sehr ungleich verteilt. Mehr als 18 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, während eine kleine Elite enormen Reichtum anhäuft. Die Inflation, die im vergangenen Jahr zeitweise zweistellige Werte erreichte, hat besonders Grundnahrungsmittel verteuert und die soziale Not verschärft.

Diese wirtschaftliche Unsicherheit bildet den Nährboden für populistische Versprechen beider politischer Lager. Längst haben sie Medienhäuser für ihre Zwecke vereinnahmt und alle anderen politischen Strömungen an die Seite gedrängt. Sprichwörtlich droht dem Land jetzt sogar eine Spaltung. Die Dutertes und ihre Anhänger, die ihre Machtbasis im Süden der Philippinen haben, erklärten zuletzt wiederholt die Möglichkeit einer Abspaltung der Südregion Mindanao. Das Marcos-Camp hat erklärt, dagegen auch mit dem Militär vorzugehen.

»Ich glaube nicht, dass es so weit kommen wird«, sagt der 61-jährige Taxifahrer Wilfredo Mabaid, während er vorbei an Wahllokalen fährt. Mabaid unterstützt die Dutertes, die Marcoses seien korrupter, während zuvor unter Duterte Ordnung geherrscht habe. Was mit all den Erschießungen im Drogenkrieg sei? »Na ja!«, winkt er ab. »Es wurde vielleicht geschossen, wenn jemand die Polizei bedrohte.« Ein typisches Narrativ, das von Duterte-nahen Influencern und Kanälen gestreut wird – und meist an der Realität vorbeigeht.

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Außerdem findet Wilfredo Mabaid, wie viele Duterte-Unterstützer, dass die Festnahme von Rodrigo Duterte illegal gewesen sei: »Das haben die Marcoses doch nur gemacht, weil sie alle Macht für sich haben wollen!« Während an der Legalität der Festnahme Dutertes in Wahrheit kaum Zweifel bestehen können, liegt Mabaid mit dem Motiv von Marcos Junior, mit internationalen Behörden in der Causa Duterte zu kooperieren, womöglich dennoch richtig.

Dies würde jedenfalls zu dem passen, was Lee Rhiannon beobachtet, eine ehemalige Parlamentsabgeordnete aus Australien, die als Wahlbeobachterin die Philippinen schon länger verfolgt. Was den einstigen Diktator Marcos Senior und den jetzigen Präsidenten Marcos Junior unterscheide? »Ich erkenne da kaum Unterschiede«, sagt Rhiannon. »Er gibt sich freundlicher als Duterte. Aber auch unter ihm werden Menschen erschossen, Medien unterdrückt, und es wird zu wenig getan, damit die Wahlen sauber ablaufen können.«

Obwohl am Montagabend um 19 Uhr die Lokale geschlossen sein sollten, wurde mehreren Personen erlaubt, trotzdem noch zu wählen. Die Wahlbeobachterin Rhiannon attestiert: »Diese Wahl, wie schon die Präsidentschaftswahl 2022, hat die Kriterien einer freien und fairen Wahl nicht erfüllt.« Rhiannon wäre zudem nicht überrascht, wenn sich Marcos eines Tages wie sein Vater zum Diktator erklärte.

Die Ergebnisse am Dienstag offenbaren dann ein paar Überraschungen. Nicht dazu gehört, dass der in Den Haag inhaftierte Rodrigo Duterte auch ohne einen Wahlkampf in persönlicher Anwesenheit locker zum Bürgermeister von Davao gewählt worden ist. Dass der 79-Jährige den Job kaum wirklich wird antreten können, ist den Menschen in der Stadt, die Duterte schon vor seiner Präsidentschaft regierte, klar. Macht aber nichts: Dutertes Sohn und direkter Amtsvorgänger Sebastian, nun Vize, wird ihn vertreten.

Auch auf nationaler Ebene zeigt sich, dass viele Menschen im Land derzeit eher zum Duterte-Camp halten als zum Marcos-Lager. Bei den zwölf zu vergebenen Plätzen im einflussreichen Senat – dem insgesamt 24-köpfigen Oberhaus des Parlaments – kommen die zwei Kandidaten mit den meisten Stimmen aus dem Duterte-Lager, insgesamt stellen sie vier Abgeordnete. Dem Marcoses werden fünf Personen zugerechnet, drei wiederum dem liberalen Lager, das 2022 die Opposition zur damals noch intakten Marcos-Duterte-Allianz waren.

Die Zusammensetzung des Senats ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil für die Amtsenthebung von Vizepräsidentin Sara Duterte hier eine Zweidrittelmehrheit nötig wäre. Wäre Sara Duterte ihres Amtes enthoben, könnte sie bei der Präsidentschaftswahl 2028 nicht antreten, was dem Marcos-Camp gefallen würde. Ob die für diesen Schritt nötige Mehrheit jetzt aber besteht, ist unklar.

Auch eine Änderung der Verfassung, die Marcos offiziell für eine Erleichterung von Auslandsinvestitionen anstrebt, könnte schwieriger werden. Das beruhigt wiederum diejenigen, die befürchten, Marcos will sich zum neuen Diktator erklären. Marcos-Fan Harrold Toledana ist zwiegespalten. »Bongbong ist ein guter Mann. Wenn er sich selbst zum Diktator macht, werde ich ihn aber nicht mehr unterstützen.« Würde dagegen das Parlament mehr Macht auf den Präsidenten übertragen, dann sei er durchaus dafür.

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