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Subjekt statt Identität
Der neue Band »Das Subjekt Frau« will mit dem Erbe der Zweiten Welle der Frauenbewegung in aktuelle feministische Debatten intervenieren
Feministische Theorie steckt in einem Dilemma: Sie muss die Erkenntnis der gesellschaftlichen Verhältnisse vermitteln mit einem Engagement für mehr Gleichberechtigung und gegen gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen. Es geht ihr nicht nur um Worte und Begriffe, sondern um emanzipatorisches Handeln. Dieses gemeinsame Handeln hat jedoch nicht nur zur Emanzipation von Frauen beigetragen, sondern verstrickt sie gleichzeitig in jene sie unterdrückenden Verhältnisse. An dieser Ambivalenz setzt der im Tiamat-Verlag von den Feministinnen Chantalle El Helou und Deborah Eller herausgegebene Sammelband »Subjekt Frau« an und nimmt sich viel vor. Er will Kritik an bisherigen feministischen Versuchen üben, das Frau-Sein allein über einen abweichenden Identitätsentwurf – also das Anders-Sein von Frauen – zu erklären.
Auf gelungene Weise nimmt der Band in drei Teilen immer wieder auch besonders erbittert geführte Debatten in der feministischen Theorie in den Blick. Dafür widmet er sich zunächst jener Grundlage der sexuellen Differenz, den gesellschaftlichen Umständen des Frau-Seins und schließlich den Formen der Ausbeutung von Frauen. Der Band bietet damit einen hochaktuellen und tiefen Einblick in Debatten der feministischen Theorie – und ist entsprechend voraussetzungsreich.
Materialistischer Feminismus
Direkt im Vorwort von Deborah Eller wird deutlich, dass am genannten Dilemma der feministischen Theorie angesetzt werden soll: ihre notwendige Nähe zur Praxis, die sich aus dem Leid und der Kränkung durch das hierarchische Geschlechterverhältnis ergibt. Die Herausgeberinnen verorten sich im Rahmen eines materialistisch-psychoanalytischen Ansatzes und damit in einer feministischen Strömung, die – seit 2010 und als Antwort auf den Queerfeminismus der 1990er-Jahre – mit einer theoretischen Verbindung aus Materialismus, Differenzfeminismus und Psychoanalyse die sogenannte Zweite Welle der Frauenbewegung wiederbelebte.
Die Zweite Welle der Frauenbewegung entstand in Deutschland ab Mitte der 1960er-Jahre im Umfeld der antiautoritären Studentenbewegung. Vor allem sozialistische Studentinnen begannen, sich kritisch mit ihrer Rolle in Gesellschaft und Politik auseinanderzusetzen. Trotz gesellschaftlich weit verbreiteter Ansprüche auf Teilhabe und Selbstbestimmung stießen sie auf männlich dominierte Strukturen – auch in der Linken. Ein zentraler Auslöser für die breite Bewegung war der Protest gegen das Abtreibungsverbot in Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs; der weibliche Körper rückte in den Fokus der Aufmerksamkeit. Während der Differenzfeminismus hier allerdings die Besonderheit weiblicher Erfahrungen und Körper betont, nimmt der materialistische Ansatz die sozialen, und ökonomischen Bedingungen in den Fokus, unter denen Geschlecht geformt wird.
Mit seinem Rückbezug auf diese theoretische Verbindung stellt sich der Band auch in eine Linie mit dem materialistischen Ansatz des Sammelbands »Beißreflexe« (2017), der in der linken Debatte durch seine scharfe Kritik am Queerfeminismus für Aufregung sorgte. Der queeren Theorie und Praxis wurde darin zum Beispiel von der Aktivistin und Autorin Koschka Linkerhand vorgeworfen, durch ihren Fokus auf die Dekonstruktion geschlechtlicher Identitäten gesellschaftliche Grundlagen und ökonomische Zwänge zu ignorieren. Damit würde die Stofflichkeit von Körper und Natur in der feministischen Debatte nicht nur unzugänglich gemacht, sondern auch zu einer erneuten Unsichtbarkeit des Frau-Seins beigetragen.
Abgesprochener Subjektstatus
Die Herausgeberinnen Deborah Eller und Chantalle El Helou etablieren nun den Subjektbegriff Frau wieder und führen ihn gegen das im Queerfeminismus etablierte Verständnis von Frau-Sein als eine Identität unter vielen ins Feld. In der Einleitung »Warum Subjekt Frau?« sowie dem Artikel »Binäre Geschlechtlichkeit« bezieht sich El Helou mitunter streng auf bestehende materialistische und psychoanalytische Theorien, die nach der Rolle der Leiblichkeit bei der Vergesellschaftung von Frauen in einer zweigeschlechtlichen Matrix, der Gebärfähigkeit oder der Mutter-Kind-Beziehung fragen: auf die genannte Koschka Linkerhand, aber auch auf die Soziologin Karina Korecky, die Philosophin Alexandra Colligs oder die Psychoanalytikerin Jessica Benjamin. All jene Feministinnen eint ihre Nähe zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule und die Überzeugung, dass Frauen historisch, politisch und ideengeschichtlich der Subjektstatus abgesprochen wird.
El Helou bestimmt den Subjektbegriff im Gegensatz zum Begriff der Identität: Unter den gegebenen Verhältnissen einer ausbeutenden – mit Theodor W. Adorno und der Frankfurter Schule gesprochen – »falschen« Gesellschaft sei die Kränkung der Subjekte und ihre eingeschränkte Handlungsmacht universell. Frauen seien ein in besonderer Weise gekränktes Subjekt, dessen Ausbeutung vor allem über die spezifische weibliche Leiblichkeit funktioniere. Identität hingegen würde auf eine Selbstbestimmung und Handlungsmacht rekurrieren, die im falschen Leben der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse generell gar nicht eingelöst werden könnten.
Auch hier kommt aber das Dilemma zum Tragen: So kritisiert etwa El Helou die Psychoanalytikerin Jessica Benjamin, die 1988 im Werk »Bonds of Love. Feminism, Psychoanalysis, and the Problem of Domination« eine psychoanalytische Anerkennungstheorie formulierte. Diese besagt, dass alle Menschen auf andere angewiesen sind, um sich selbst als Subjekt zu erkennen. Die Grundlage dafür bildet die Herr-Knecht-Dialektik, die Georg Wilhelm Friedrich Hegel in der »Phänomenologie des Geistes« entwirft. El Helou vermutet im Abschnitt zu Benjamin, es gehe dieser um eine Auflösung der Dialektik in Richtung der Abhängigkeit – ja sogar um eine »Hingabe an die Ohnmacht«.
Benjamin aber intervenierte ihrerseits als Feministin in das Feld der psychoanalytischen Theoriebildung, um zu zeigen, wie tief menschliche Beziehungen allgemein von der Spannung zwischen Abhängigkeit und Autonomie geprägt sind. Sie nutzte das Bild von »Herr und Knecht« als Analyseinstrument zum Verständnis für asymmetrische Verhältnisse – etwa zwischen Mutter und Kind, Therapeutin und Patientin oder Täter und Opfer. Zentral ist für Benjamin die Frage, wie sich Menschen in engen Beziehungen notgedrungen gegenseitig als unabhängige Subjekte anerkennen müssen, und zwar trotz ihrer wechselseitigen Abhängigkeit. Auch kritisiert sie die freudsche Vorstellung einer ursprünglichen Symbiose zwischen Mutter und Kind.
Aus der Sicht Benjamins ist es gerade die Erfahrung von Getrenntheit und Fremdheit, die Mutterschaft prägt. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz, Abhängigkeit und Autonomie sieht Benjamin hier als grundlegend an – und fordert, diesen Konflikt nicht zu unterdrücken, sondern auszuhalten. Man kann an Benjamin nun kritisieren, dass ihr Subjektbegriff nicht zur verändernden Praxis drängt, sondern sich zuvorderst einem Verständnis der Subjektwerdung widmet. Ihr jedoch, wie El Helou es tut, eine Hingabe an die Ohnmacht zu unterstellen, entbehrt der theoretischen Grundlage.
Rauer Ton und Melancholie
Schon lange herrscht zwischen den Lagern Differenzfeminismus und Queerfeminismus ein rauer Ton. Während in »Beißreflexe« noch das Bedürfnis bestand, diesen rauen Ton und die schwindende Solidarität zu rechtfertigen, ist das Scheitern der Zusammenarbeit im hier vorliegenden Sammelband schon selbstverständlich. Darüber hinaus bauen die Beiträge zwar häufig argumentativ auf dem Kanon der materialistischen Feministinnen auf, jedoch werden die Vordenkerinnen einmal nicht explizit genannt, dann wieder aufs Schärfste kritisiert oder – mindestens vorschnell – gar mit den Theorien identifiziert, die sie eigentlich infrage stellen.
Das gipfelt zum Teil in Formulierungen, in denen die oben genannten Kritikerinnen des Queerfeminismus selbst mit prominenten Vertreterinnen desselben, etwa Judith Butler, in einen Topf geworfen werden. So unterhaltsam sich solche Polemiken auch lesen, so gut muss allerdings ihr argumentatives Fundament sein. Mitunter entsteht jedoch beim Lesen des Bandes der Eindruck, dass die Theorien, von denen sich die Autor*innen abgrenzen, nicht in ihren unterschiedlichen disziplinären Kontexten interpretiert werden; viele der Artikel scheinen mit der heißen Nadel gestrickt. Hier läuft der Band Gefahr, zu einer unergiebigen Lagerbildung beizutragen.
Beim Lesen verebbt ein wenig der Kampfgeist, den die Einleitung verheißt, und Melancholie breitet sich aus, angesichts des vergeblichen Streits um ein tieferes Verständnis der andauernden Unterdrückung von Frauen. Immer wieder erinnert man sich beim Lesen an die inzwischen über 30 Jahre alte, sogenannte postfeministische Überzeugung, dass der Feminismus eigentlich gescheitert sei. Denn gegenwärtig sind Frauen hierzulande zwar als Bürgerinnen rechtlich und auf dem Arbeitsmarkt gleichgestellt. Gleichzeitig wurde es schwerer, die dennoch währende Unterdrückung von Frauen zu benennen, zu verstehen und konkret politisch gegen sie vorzugehen.
Begünstigt wurde diese Entwicklung auch durch die entpolitisierte Übernahme feministischer Forderungen – zum Beispiel bei der Institutionalisierung des Gender Mainstreaming. Selbstbestimmung und die Teilhabe am Erwerbsleben wurden sinnvollerweise in die staatliche Gleichstellungspolitik übernommen, dienten aber zugleich der neoliberalen Aufweichung von Familienstrukturen. Die resultierenden handfesten Veränderungen des Geschlechterverhältnisses sind begrüßenswert. Doch blieben reale, alltägliche Ungleichheiten im Rahmen der fortwährenden Abwertung von Frauen, der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, der emotionalen Fürsorge oder sexuellen Ausbeutung in weiten Teilen unangetastet.
Diese Lage lässt sich auch an den gegenwärtigen Diskussionen um einen FLINTA*-Waggon um Schutz vor sexualisierter Gewalt in der Berliner U-Bahn beobachten: So nachvollziehbar das Bedürfnis nach Schutz ist, so sehr zeigt sich an einer solchen Maßnahme auch, wie fragil, uneingelöst und aussichtslos das Ringen um basale Rechte wie die körperliche Unversehrtheit im alltäglichen öffentlichen Raum eigentlich bleibt. Frau-Sein ist eben auch schon immer mit einer großen Portion Trauerarbeit verbunden.
Chantalle El Helou und Debora Eller (Hrsg.): Das Subjekt Frau. Geschlechterverhältnis und sexuelle Differenz. Edition Tiamat 2025, 420 S., br., 26 €.
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