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Haben Schleuser »Urlaub ausgerufen«?

Grüne und Linke kritisieren verschärfte Grenzkontrollen, kein Bundespolizist remonstriert

Warteten am Donnerstag an der Autobahn auf Schutzsuchende zum Zurückweisen: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt und Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident
Warteten am Donnerstag an der Autobahn auf Schutzsuchende zum Zurückweisen: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt und Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident

Seitdem die Polizei an den Grenzen Asylsuchende zurückweist, kommen dort nach Beobachtungen der Gewerkschaft der Polizei (GdP) weniger Schutzsuchende an. Schleuser*innen hätten offenbar »Urlaub ausgerufen«, sagte Sven Hüber, stellvertretender GdP-Vorsitzender für den Bereich Bundespolizei und Zoll, am Donnerstag in einem Mediengespräch. Die Menschen blieben vermutlich eine Zeitlang in Zwischenunterkünften, während ihre Helfer*innen die politische Lage beobachteten.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte am Mittwoch vergangener Woche – wenige Stunden nach seinem Amtsantritt – eine Intensivierung der Grenzkontrollen verfügt. Gleichzeitig ordnete er an, dass künftig auch Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden sollten. Darüber wurden die Botschafter der Nachbarstaaten am 8. Mai durch das Ministerium persönlich informiert.

Seitdem ist die Zahl der Zurückweisungen nach Angaben von Dobrindt um fast die Hälfte gestiegen. In den vergangenen sieben Tagen habe die Bundespolizei demnach 739 Menschen an der Grenze zurückgeschickt, erklärte der Minister bei einem Besuch einer Autobahn-Kontrollstelle an der bayerisch-österreichischen Grenze. Das seien 45 Prozent mehr gewesen als in der Woche zuvor. Von 51 Menschen, die ein Asylgesuch äußerten, seien 32 zurückgewiesen worden, sagte Dobrindt.

Der Polizeigewerkschafter Hüber hält diesen »Ertrag« von Zurückweisungen im niedrigen zweistelligen Bereich pro Tag indes für zu gering. Gänzlich absichern ließen sich 3000 Kilometer ohnehin nicht, gibt der GdP-Vize zu bedenken, eine weitere »Infiltration« durch Geflüchtete sei demnach absehbar.

Prüfung angeblich mithilfe medizinischen Personals

Dobrindts Verfügung soll nicht für Schwangere, Kinder und andere Angehörige vulnerabler Gruppen gelten – diese werden an die zuständigen Stellen oder Erstaufnahmeeinrichtungen weitergeleitet, erklärte das Bundesinnenministerium am Donnerstag auf Nachfrage von Abgeordneten. Um das Vorliegen dieser Fälle zu verifizieren, seien die Bundespolizist*innen »im Zweifel gehalten«, medizinisches Personal zur Beurteilung hinzuzuziehen, sagte Hüber. Zu dieser Praxis werde auch ein »eher großzügiger Maßstab gewählt«, da es sich ansonsten um unterlassene Hilfeleistung handele, erklärt der GdPler.

Voraussetzung für eine Zurückweisung sind Kontrollen direkt an der Grenze. Diese hatte Dobrindts Vorgängerin, Nancy Faeser (SPD), erst nach Druck von Konservativen und Rechtsextremen nach und nach für alle Grenzabschnitte angeordnet. An der Landgrenze zu Österreich gab es solche Kontrollen, die bei der EU-Kommission angemeldet und begründet werden müssen, bereits seit Herbst 2015. Acht Jahre später folgten sie zur Schweiz, Polen und Tschechien. Im September 2024 hat Faeser schließlich die Ausweitung auf alle deutschen Landgrenzen verfügt.

Die verordneten Zurückweisungen würden direkt am Grenzübergang vorgenommen, erklärt der GdP-Vize Hüber. Bei Zurückschiebungen von im grenznahen Raum aufgegriffenen Personen erfolgten diese »in enger Absprache« mit sogenannten Überstellungsdienststellen, die gemäß zwischenstaatlicher Polizeivereinbarungen in Swieczko (Polen) und Petrovice (Tschechien) eingerichtet wurden. Jedoch sei diese Form der Rückübernahme »seit Jahren eine kleine Achillesferse«: Auch Fälle, die es seit dem Dobrindt-Erlass gab, seien schon abgelehnt worden.

Opposition kritisiert Rechtsbruch

Aus dem Bundestag kommt derweil scharfe Kritik an den neuen Maßnahmen. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge kritisiert die Zurückweisungen als »Aufkündigung der europäischen Zusammenarbeit in der Asylpolitik«. Die grüne Opposition bemängelt zudem, dass weder Kanzleramtsminister Frei noch Vizekanzler Klingbeil bislang klären konnten, ob Innenminister Dobrindt mit den Maßnahmen europäisches Recht brechen wolle.

Clara Bünger (Linke) spricht von »simulierter Handlungsfähigkeit« und wirft der Regierung ebenfalls vor, geltendes Recht zu brechen. Die Auswirkungen der Politik seien »lange Staus, genervte Pendler*innen und verzweifelte Geflüchtete, die trotz Asylgesuchs abgewiesen werden«. Die Linke werde Betroffene unterstützen, die gegen »dieses Unrecht klagen«.

Eine diese Woche vorgelegte Studie im Auftrag der Grünen-Europafraktion bestätigt die Bedenken. Die 45-seitige Untersuchung dreier Wissenschaftler*innen kommt zu dem Schluss, dass belastbare Nachweise für die Wirksamkeit der Grenzkontrollen fehlen, während sie gleichzeitig hohe wirtschaftliche Kosten verursachen, den EU-Binnenmarkt behindern und fundamentale Rechte gefährden. Erik Marquardt, asylpolitischer Sprecher der deutschen Grünen im Europäischen Parlament, kritisiert: »Die stationären Binnengrenzkontrollen dienen nicht dem Schutz der Bevölkerung, sondern der politischen Symbolik. Sie sollen Härte demonstrieren, ohne Lösungen zu bieten – auf Kosten von Schutzsuchenden, der Wirtschaft und unserer europäischen Werte.«

Täglich über 11 000 Beamt*innen im Einsatz

Als Problem hinzu kommen absehbar auch Personalengpässe. »So wie die Grenzkontrollen im Moment laufen, lässt sich das höchstens wenige Monate durchhalten«, erklärte Andreas Roßkopf, GdP-Vorsitzender für den Bereich Bundespolizei und Zoll, am Donnerstag. Noch sei der Punkt, an dem an Flughäfen und Bahnhöfen Personal fehlt, nicht erreicht. Die Bundespolizei wird dazu auch von Mobilen Kontroll- und Überwachungseinheiten unterstützt. An der österreichischen und tschechischen Grenze werden die bundespolizeilichen Maßnahmen von der Bayerischen Grenzpolizei flankiert.

Insgesamt setzt die Bundespolizei im Rahmen der intensivierten und vorübergehend wiedereingeführten Binnengrenzkontrollen derzeit pro Tag über 11 000 Beamt*innen ein, wie das Innenministerium im Bundestag erklärte. Diese würden absehbar verstärkt: Mit Stand 1. März sollen in diesem Jahr »sukzessive« weitere rund 4 500 fertig ausgebildete Bundespolizist*innen an den Grenzdienststellen stationiert werden. Ergänzend plant das Ministerium, für die Haushaltsjahre 2025 und 2026 zusätzliche Planstellen für die Kontrollen der Binnengrenzen bei der Bundespolizei einzurichten.

Während im politischen Berlin weiter gestritten wird, ob die Wiedereinführung von Grenzkontrollen überhaupt rechtskonform ist, folgt man bei der Bundespolizei den Anweisungen aus dem übergeordneten Ministerium brav: Remonstrationen habe es bislang nicht gegeben, betonten Roßkopf und Hüber.

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