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Unterrichten mit Uhr ohne Zeiger
Brandenburgs Lehrer wehren sich gegen befürchtete Erhöhung ihrer Arbeitszeit
Gemeinsam mit dem Brandenburgischen Pädagogenverband (BPV) und anderen Organisationen der Lehrer ruft die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu einer Großdemonstration auf. Treffpunkt für 5000 bis 6000 Kollegen, die der GEW-Landesvorsitzende Günther Fuchs mindestens erwartet, wird am 21. Mai um 16 Uhr der Potsdamer Luisenplatz sein. Von da aus soll es zum Landtag gehen.
Wehren wollen sich die Pädagogen gegen die Absicht, ihre Pflichtstundenzahl um eine pro Woche heraufzusetzen. Grundschullehrer mit voller Stelle müssten dann wieder 28 statt 27 Stunden unterrichten und Lehrer an Oberschulen 26 statt 25 – so wie es bis zum Jahr 2014 war, als eine damals rot-rote Koalition die Belastung der Lehrer reduzierte.
Für Fuchs ist die Rücknahme dieser Entscheidung nicht hinnehmbar. Keinen Glauben schenkt er SPD und BSW, die gebetsmühlenartig beteuern, die Lehrer würden unter dem Strich keineswegs mehr schuften müssen, sondern von anderen Tätigkeiten befreit, um sich aufs Unterrichten konzentrieren zu können. Was da an Entlastungen genannt werde, kommt Fuchs vor wie eine Nummer im Kabarett. Er nennt am Donnerstag Beispiele: Wenn zwei Lehrerkonferenzen im Jahr wegfallen sollen und dafür die Fahrzeit hin und zurück als Ersparnis gerechnet werde, dann wisse die Regierung offenbar nicht, dass solche Konferenzen in der Regel direkt nach dem Unterricht stattfinden und es keine extra Anfahrt gebe. Die Verteilung von digitalen Endgeräten verändere nicht die Arbeitsweise der Lehrer, denn bisher nutzen sie ihre privaten Geräte. Wenn dienstliche E-Mail-Adressen eingerichtet werden, verursache dies nicht weniger, sondern mehr Arbeit.
Auf dem Plakat, mit dem GEW und BPV die Demonstration bewerben, findet sich eine humoristische Zeichnung: Finanzminister Robert Crumbach (BSW) hält eine Uhr ohne Zeiger. Neben ihm deutet Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) auf diese Uhr. Hinter seiner Schulter lugt Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) hervor und sieht alles andere als glücklich aus.
Nach Einschätzung von Günther Fuchs wurde das Bildungsministerium »entmachtet«. Es hatte in den Haushaltsverhandlungen zusätzliche Stellen für Lehrer beantragt, weil es im kommenden Schuljahr voraussichtlich 4000 Schüler mehr geben wird als jetzt und im Schuljahr darauf weitere 3000 Schüler. Mit der Erhöhung der Pflichtstundenzahl spart sich das Land 750 Vollzeit-Lehrerstellen und damit 171 Millionen Euro Personalkosten im Jahr. Doch das Bildungsministerium soll nicht nur keine zusätzlichen Lehrer bekommen. Ihm werden auch noch 1179 Stellen im laufenden Jahr gestrichen und 100 Stellen im kommenden Jahr, rechnet Fuchs vor. »Es geht also nicht nur um die Arbeitszeit der Lehrkräfte«, sagt Fuchs. »Die Qualität der Ausbildung in den Schulen wird sich dramatisch verschlechtern.«
Statistisch komme derzeit auf 14,1 Schüler ein Lehrer. Künftig würden es 16,9 Schüler sein, die nicht im Unterricht eingesetzten Lehrkräfte herausgerechnet sogar 18,9 Schüler. Dabei seien die Bildungsstätten bereits jetzt überlastet. Es gebe viel zu große Grundschulklassen mit 27 bis 31 Schülern.
Warum Finanzminister Robert Crumbach (BSW) so handelt? Da die Einnahmen des Landes nicht so steigen wie ursprünglich gedacht, muss er sparen. Er teilt am Donnerstag mit, in der neuen Mai-Steuerschätzung gebe es gegenüber der Schätzung von Oktober »keine wesentlichen Mehreinnahmen«. Erschwerend komme hinzu, dass CDU und SPD auf Bundesebene vielfältige weitere Maßnahmen planen, die Länder und Kommunen zusätzlich belasten werden. »Dies wird zukünftig noch zu berücksichtigen sein«, bedauert Crumbach.
Das Bittere daran: Im Landtagswahlkampf im Sommer 2024 hatten Crumbach und Ministerpräsident Woidke versprochen, für bessere Bildung zu sorgen. Nun werden die Bedingungen aber schlechter. »Es kann mir niemand erklären, dass der Ministerpräsident nicht wusste, dass es ein Haushaltsdefizit von drei Milliarden Euro gibt«, beschwert sich Fuchs. Er versichert im Namen seiner Gewerkschaft: »Wir haben uns Gesprächen nicht verweigert. Wir sind nicht gefragt worden. Es kam über Nacht.« Dieses sture Durchregieren von oben macht Fuchs Sorgen. Es sei undemokratisch und verprelle Menschen, die Kinder und Jugendliche zur Demokratie erziehen sollen.
Mit der einen Pflichtstunde mehr sei ein organisatorisches Chaos produziert worden, sagt Fuchs. Die einzelnen Schulen müssten ihren Lehrerbedarf nun neu berechnen. Seiteneinsteiger, die ihren alten Job kündigten, um in den Schuldienst zu gehen, werde die versprochene Einstellung plötzlich verwehrt. Durch die höhere Pflichtstundenzahl entstehe an bestimmten Schulen ein Personalüberhang. Wenn alle Kollegen mehr unterrichten, braucht es dort beispielsweise drei Lehrkräfte weniger, rechnet Fuchs vor. Die könnten versetzt werden. Aber das sei gar nicht so einfach. Als in den 90er Jahren einmal 140 Kollegen aus dem Schulamtsbezirk Cottbus versetzt werden sollten, seien tatsächlich nur 35 woanders hingegangen.
So lasse sich das alles gegen die Beschäftigten nicht durchsetzen, prophezeit Fuchs. Er kündigt an, die GEW werde sich gegen die beabsichtigte Erhöhung der Arbeitszeit um 90 Minuten pro Woche juristisch zur Wehr setzen. Die 90 Minuten ergeben sich aus den 45 Minuten für eine Schulstunde sowie 45 Minuten Vorbereitungszeit für den Lehrer.
Dass es vom Finanzministerium heiße, die tatsächliche Arbeitszeit der Lehrer müsse erst einmal gemessen werden, und vom Bildungsministerium, es brauche einen Zählappell, wie viele Kollegen es eigentlich gebe, sei »eine Steilvorlage für eine Auseinandersetzung vor Gericht«, erklärt Fuchs. In einem vergleichbaren Fall sei in Niedersachsen zugunsten der Lehrer geurteilt worden.
»Wir sind nicht gefragt worden. Es kam über Nacht.«
Günther Fuchs GEW-Landeschef
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