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Versorgung mit Labordiagnostik in Gefahr?
Neue Vorgaben für die Vergütung bringen medizinischen Laboren wirtschaftliche Verluste
Seit dem 1. Januar ist für die Abrechnung vertragsärztlicher Leistung ein neuer sogenannter Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM) bindend. Es handelt sich dabei um die Gebührenordnung der gesetzlichen Krankenversicherung für Ärzte und Psychotherapeuten. Die aktuelle Ausgestaltung sorgt unter anderem bei den Labormedizinern für Kritik, die sie bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Berlin kundtaten.
Mittlerweile liegen den Ärzten (die häufig zugleich Inhaber größerer Laborbetriebe sind) die Abrechnungsdaten des ersten Quartals vor. Diese bestätigen, was unter anderem der Fachverband Akkreditierte Labore in der Medizin e. V. (Alm) schon geahnt oder besser vorab simuliert hatte: Die Reform bringt ihnen finanzielle Verluste. Die kassenärztlich tätigen Einrichtungen, so Alm-Vorsitzender Michael Müller, geraten unter massiven wirtschaftlichen Druck.
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Zudem seien die pauschalen Kürzungen bei Hunderten Laborleistungen betriebswirtschaftlich nicht fundiert. Im Resultat änderten sich sowohl Erreichbarkeit und Verfügbarkeit der Leistungen. Kurierfahrer könnten angesichts nicht voll erstatteter Kosten nur noch seltener kommen. Aus Wirtschaftlichkeitsgründen geben unter anderem kleine Labore bereits Leistungen an andere Einrichtungen weiter. Müller nennt ein Beispiel für die sich verschlechternde Versorgung: »Ein Suchtest zur Erkennung einer akuten HIV-Infektion ist in Deutschland für niemanden mehr kostendeckend. Wer soll diese Tests dann erbringen?« Laborfusionen oder das Verschwinden kleiner Labore seien absehbar.
Wenn aber mit Voranschreiten der aktuellen Krankenhausreform mehr Leistungen ambulant erbracht werden sollen, so Müller, muss eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung erhalten bleiben. Auch kleinere Krankenhäuser oder Folgeeinrichtungen an der Grenze zwischen ambulanter und stationärer Medizin benötigen eine zuverlässige Labordiagnostik.
Welche Wirkungen eine solche Ausdünnung des Angebots haben kann, erläutert Ralf Ignatius. Der Facharzt für Mikrobiologie befürchtet verzögerte Diagnosen und eine »schleichende Verschlechterung der Testqualität«. Mit der Corona-Pandemie gewannen PCR-Tests an Bedeutung. Insbesondere bei (schweren) Atemwegserkrankungen von Kindern kann so eine unnötige Antibiotikatherapie vermieden werden. Laut Ignatius bekommt inzwischen schon jedes dritte Kind, das hustet und fiebert, eine Diagnose auf dieser Basis. Das hat zur Folge, dass die Eltern dann eben nicht mehr Notaufnahmen oder jahreszeitlich überfüllte Praxen aufsuchen müssen. »Die Antibiotika-Verschreibungen gingen aus guten Gründen zurück«, sagt Ignatius, der den Berufsverband der Ärzte für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie vertritt.
Jetzt droht den Laborärzten aber noch zusätzliches Ungemach, nämlich eine neue Gebührenordnung Ärzte (GOÄ). Damit werden die Honorare für niedergelassene Ärzte geregelt, die diese von den privaten Krankenkassen erhalten. Diese Reform ist lange überfällig. Auch wenn sie nur die Versorgung von etwa 10 Prozent der Bevölkerung betrifft, nämlich von privat Versicherten, Beihilfeberechtigten (Beamten) und Selbstzahlern, sind diese Einnahmen für viele Ärzte existenznotwendig. Denn über die deutlich besseren Abrechnungsmöglichkeiten können sie für ihre Praxen einen Gewinn erwirtschaften bzw. einfach nur schwarze Zahlen schreiben. Die neue GOÄ soll Ende Mai beim Ärztetag in Leipzig verabschiedet werden. Aus Sicht der Labormediziner bedarf sie einer dringenden Überarbeitung.
Denn auch diese Reform würde den Druck auf die medizinischen Labore weiter erhöhen. Gefährdet sei das ganze Versorgungssystem: »Rund 70 Prozent aller Diagnosen basieren auf labordiagnostischen Ergebnissen«, so Alm-Vertreter Jan Kramer. »Ohne moderne Labormedizin gibt es keine sichere Diagnostik, keine fundierte Therapieentscheidung, keine effektive Verlaufskontrolle und keine Früherkennung.« Die neue GOÄ werte aber ärztliche Leistungen ab, blende Innovationen aus und vergüte ärztliche Tätigkeiten ungleich. Bei fehlendem Einlenken könnten auch die Labormediziner der neuen Gebührenordnung ihre Zustimmung in Leipzig verweigern.
Wird der überarbeitete GOÄ-Entwurf als Kompromiss zwischen Ärzteschaft und dem Verband der privaten Krankenversicherer dann doch akzeptiert, kann er an das Bundesgesundheitsministerium übergeben werden. Die Bundesregierung würde dann mit Zustimmung des Bundesrates eine entsprechende Rechtsverordnung entlassen.
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