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DJ Koze: Unbeschreiblich!
Warum es immer schwieriger wird, Töne in Worte zu fassen – DJ Kozes neues Album »Music Can Hear Us«
Früher, als es noch Platten gab, die sich millionenfach verkauften, war das Beschreiben von Musik eine simple Angelegenheit. Wenn die Gitarren heulten, war es Rock. Funk erkannte man daran, dass er direkt in Unterleib und Beine ging. Pop hingegen war das Freudenmädchen, das mit schönen Melodien frohlockte.
Nicht selten waren Musikgenres an gesellschaftliche Verhältnisse gebunden. Gospel nannte man es, wenn fromme Schwarze beim Kirchgesang in Ekstase gerieten. Von Country hingegen sprach man, wenn weiße Kuhhirten am Lagerfeuer ihr Leben erzählten. Mit dem Siegeszug der Populärkultur vermischte sich vieles. Der Sohn des Kuhhirten, der mit Country groß geworden war, aber lieber Punk hörte, verrührte beides zu Cowpunk. Und Rocker wie die Red Hot Chili Peppers machten ihre Musik durch Funkrhythmen tanzbar.
Das Album der Woche. Weitere Texte unter dasnd.de/plattenbau
Bald schon kamen die Rezensenten mit der Etikettierung der Hybridgenres nicht mehr hinterher. Nicht immer fanden sie dabei das passende Vokabular. Wer bei Trip-Hop an Rap denkt, liegt falsch. Denn die Hip-Hop-Beats kommen ohne Sprechgesang aus. Und warum Gitarrenbands wie Oasis unter Britpop laufen (und nicht unter Britrock), ist so rätselhaft wie die dortigen Maßeinheiten.
Bisweilen ist es praktisch unmöglich, die Verästelungen eines Genres nachzuverfolgen. Zur Beschreibung des Stammbaums von Drum and Bass reicht eine Doktorarbeit nicht aus. Wer aus dem Stegreif den Unterschied zwischen 2-Step, Dubstep und Breakstep erklären kann, qualifiziert sich für die Millionenfrage bei Jauch.
Für Musikkritiker entsteht dadurch ein Dilemma: Sie müssen Klänge in Worte übersetzen. Doch wie soll dies gelingen, wenn das Vokabular nicht verstanden wird! Erschwerend hinzu kommt: Bis in die 90er vermengten Musiker die stilistischen Zutaten so, dass sie für eine ganze LP reichten. Es genügte, dass der Rezensent einen einzigen Song analysierte, um das komplette Album zu beschreiben (im Fall von Modern Talking sogar sämtliche Alben).
In Zeiten des Spotify-Song-Hoppings hingegen muss jedes Lied andere Oberflächenreize bieten, um die unterschiedlichen Zielgruppen anzusprechen. Platten von Ed Sheeran oder Miley Cyrus kann man eigentlich nicht am Stück hören, weil die Stilvielfalt einen erschlägt. Kritiker müssen sich daher jeden Song einzeln vornehmen, um den Lesern ein umfassendes Bild zu vermitteln.
Womit wir beim neuen Album von DJ Koze wären. »Music Can Hear Us« ist ein Werk, das jeden Rezensenten in den Wahnsinn treibt. Im weitesten Sinne lässt es sich als rhythmisch unterlegter elektronischer Klangteppich mit analogen Einsprengseln bezeichnen. Ein bisschen vage, oder?
Wer die Rezensionen zu Kozes Album durchforstet, spürt das Bemühen der Kritiker, einer Songzusammenstellung gerecht zu werden, bei der man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Selbst der ehemalige Chefredakteur des »Musikexpress« Albert Koch kapituliert vor »dem manischen Eklektizismus«, der »ein Manifest der Reizüberflutung« hervorgebracht hat.
Auch »Taz«-Rezensent Julian Weber ist ratlos: »Die Musik (…) eignet sich beim Unterwegssein so viel Kultur an, dass dann mehrere Konferenzen bei der Körber-Stiftung über kulturelle Aneignung stattfinden könnten.« Dennoch versucht er dem musikalischen Bastard einen Namen zu geben: »Nennen wir es Songwriter-House, perfekt, um barfuß auf der glühenden Lava eines Vulkans zu tänzeln.«
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Für die englische Tageszeitung »The Guardian« hingegen ist es »ein Album aus flirrenden Elektropop-Songs, durchsetzt mit pumpenden House- und Techno-Tracks«. Dazu passt dann allerdings nicht, dass einzelne Lieder auf »die gehobene Schlagerkarte« (»Rolling Stone«) setzen.
Das bringt einen also auch nicht weiter. Wo die Fachbegriffe versagen, versucht man es mit Metaphern. Für die »Taz« ist das Album wie eine Fahrt »mit der Gondel ins Klanggebirge«. Die Rezensionsplattform »Pitchfork« sieht in ihm »eine geleitete Meditation«. Und der RBB-Sender Radio Eins lässt lieber den Künstler selbst zu Wort kommen: »Seit einiger Zeit arbeite ich an der Idee, den Raumfahrt-Tourismus zu revolutionieren. Konkret: Reisen, ohne sich zu bewegen. Dies ist das, was dem am nächsten kommt.«
Tja, und wie klingt »Music Can Hear Us« nun? Einfach geil. Derart ungewöhnliche Klänge habe ich seit Jahren nicht mehr gehört. Ich weiß, das ist keine Rezension. Aber spricht das gegen das Album?
DJ Koze: »Music can hear us« (Pampa Records)
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