- Politik
- Präsidentenwahl in Polen
Liberaler Bürgermeister gegen starken Mann
In Polen entscheiden die Präsidentschaftswahlen über den Fortgang der Blockade der Reformregierung
Händeschütteln, Selfies machen und freundlich sein. Die Kandidierenden fürs Amt des polnischen Präsidenten touren durchs Land, von einem Marktplatz zum nächsten, und lassen sich heldenhaft in Szene setzen. Die Bilder, die es auf ihre Social-Media-Kanäle schaffen, zeigen Menschenmengen und tausende polnische Fähnchen. Die Instagram Feeds der beiden Favoriten für das Amt ähneln sich: Sowohl der als liberal geltende Rafał Trzaskowski von der Bürgerplattform – der auch Premierminister Donald Tusk angehört – als auch der rechtskonservative Karol Nawrocki inszenieren sich als Männer des Volkes.
Wahlumfragen führt Trzaskowski an. Als Oberbürgermeister Warschaus bringt er ein solides Standing mit. Politisch gilt er als Verbündeter des Premiers und Vorsitzenden der aktuellen Regierungskoalition. Seine Wahl könnte einen Knoten lösen, an dem die aktuelle Regierung ständig scheitert. Der amtierende Präsident Andrzej Duda steht der PiS-Partei nahe und blockiert Reformen regelmäßig mit seinem Veto – wie etwa den von der EU kritisierten Umbau des Verfassungsgerichts, den die PiS durchgesetzt hatte und den die neue Regierung rückgängig machen will.
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Trzaskowskis Gesicht ist im ganzen Land sichtbar
Tusk ist mit dem Versprechen angetreten, die Demokratie wieder auf Kurs zu bringen. Ohne den Präsidenten auf seiner Seite bliebe der Regierung oft nur der Weg über Verordnungen. Die seien, wie Bastian Sendhardt vom Deutschen Polen-Institut erklärt, teilweise fragwürdig gewesen. Würde Trzaskowski ins Präsidentenamt einziehen, würde er den Kugelschreiber häufiger zur Hand nehmen und den Weg freigeben. »Das wäre der Abschluss dessen, was 2023 mit einer Rekord-Wahlbeteiligung angeregt wurde«, so Sendhardt.
Trzaskowskis Gesicht ist im ganzen Land sichtbar. In Vorgärten, Schrebergärten, an Garagentoren haben Menschen das Banner der Trzaskowski-Kampagne ausgerollt. Auf Privatgrundstücken wirkt das vor allem als Statement. Selbst die Warschauer Verkehrsbetriebe haben sich zum Support ihres Stadtpräsidenten entschieden: Auf dutzenden vorbeifahrenden Bussen erscheint Trzaskowskis Gesicht mit dem Slogan »Ganz Polen nach vorne«. Der 53-Jährige ist aber nicht der Einzige, der plakatieren lässt. Insgesamt sind 13 Kandidat*innen zur Wahl zugelassen. Die absolute Mehrheit wird wohl keiner auf Anhieb erreichen. Trzaskowskis stärkster Konkurrent und Gegner für die Stichwahl dürfte Karol Nawrocki werden.
Die PiS schickt ihn als bürgerlichen Kandidaten ins Rennen. Wohl in der Hoffnung, Wähler*innen außerhalb des eigenen Lagers zu erreichen. Schlagzeilen machte er aber besonders mit Skandalen. So strauchelt sein Team auch kurz vor Ende der Kampagne: Bei der Frage nach Wohneigentum hat Nawrocki gelogen. Statt einer Wohnung hat er, wie Recherchen ergeben haben, zwei. Eine davon soll er im Gegenzug für angebliche Hilfe einem älteren, hilfsbedürftigen Mann abgekauft haben. Nawrocki gab an, den Mann neulich besucht, ihn aber nicht angetroffen zu haben. Selbstlose Motive gelten daher inzwischen als wenig glaubwürdig. Journalist*innen des Portals Onet fanden den Mann schnell: Er lebt in einem Pflegeheim, seine Pflegerin berichtet von einer verwahrlosten Wohnung. Kritiker*innen zeigt das, dass Nawrocki sich die Lebenssituation einer vereinsamten Person zunutze gemacht hat. Die Sache schadet seiner Glaubwürdigkeit, in Umfragewerten legt Nawrocki kurz vor der Wahl aber zu.
Linke Kandidaten mit wenig Chancen
Nawrocki fehle es an »präsidentiellem Format«, so Sendhardt. Der frühere Amateurboxer wirke wenig schlagfertig und inhaltlich blass. Klare eigene Themen bleiben aus. Auch, weil Trzaskowski selbst nach rechts blinkt, etwa mit der Ankündigung, Hilfsleistungen für Ukrainer*innen strenger kontrollieren zu wollen. Entscheidend für die Wahl dürfte die eher konservative Bevölkerung auf dem Land sein. Sie gilt es zu überzeugen – und davon abzuhalten, ihre Stimme Nawrocki oder gar den rechtsextremen Kandidaten zu geben, die zuletzt an Zustimmung gewonnen haben.
Fähnchen und eine jubelnde Menge vor allem junger Menschen gab es in Warschau unweit des Präsidentenpalastes in der Abenddämmerung, wo Adrian Zandberg, Kandidat des linken Lagers, einen Wahlkampfstopp einlegte. Am Rande der Veranstaltung erinnern zwei Wähler*innen daran, dass man vor zwei Jahren »in Massen« zur Wahl gegangen sei. Den »gewünschten Effekt hat das nicht gebracht«. Themen wie die Wohnungsnot werden von Zandberg und Magdalena Biejat, einer weiteren linken Kandidatin, aufgegriffen (beide liegen in Umfragen bei sechs bis sieben Prozent) und brachten immerhin Nawrocki ins Straucheln. Aus Sicht der Wähler*innen müssten solche Anliegen deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen. Die Leiterin von Biejats Kampagne in der Woiwodschaft Pommern sagt »nd«, dass es nun vor allem darum gehe, linken Positionen mehr Gewicht in der Regierung zu verleihen – etwa bei Themen wie eingetragenen Lebenspartnerschaften oder der Reform des Abtreibungsrechts, die nicht am Veto des Präsidenten, sondern an der Koalition selbst gescheitert ist. In der Stichwahl werde dann entschieden, wer wirklich Präsident wird.
Erst mal heißt es aber durchatmen. Freitagnacht beginnt die Wahlstille, die erst endet, wenn die Wahllokale am Sonntag um 21 Uhr schließen. Jegliche Wahlwerbung ist bis dahin untersagt. Es ist die gesetzlich vorgeschriebene Ruhe vor dem Sturm.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.