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Kakerlaken-Cyborgs kommen per Drohne
Kasseler Start-up entwickelt ferngesteuerte Insekten für Kriegs- und Rettungseinsätze
Die Vorstellung klingt bizarr: Ein Trupp Soldaten wirft einen Koffer voller Kakerlaken in ein umkämpftes Gebäude – oder lässt diese aus einer Drohne krabbeln. Die Insekten, mit winzigen Sensoren ausgestattet, schwärmen aus und liefern Informationen über feindliche Positionen oder den Aufenthaltsort von Geiseln. In Kassel will das Start-up Swarm Biotactics derart manipulierte Kakerlaken entwickeln. Dieser Technologiesprung ist durchaus ernst gemeint – das belegen nicht nur Berichte im »Manager Magazin« oder der »Wirtschaftswoche«, in denen um Finanziers geworben wird.
In einem KI-erstellten Werbevideo der Firma ist die Technik bereits zu sehen. Die Tiere ähneln dabei Cyborgs – der Begriff meint Menschen oder Tiere, deren Körper durch technische Implantate oder Prothesen ergänzt oder erweitert werden, um ihre Fähigkeiten zu steigern oder zu ersetzen.
Anders als bei Säugetieren ist eine solche Forschung an Insekten rechtlich unbedenklich, da sie nicht unter das Tierschutzgesetz fallen. In einem Labor in der nordhessischen Stadt können potenzielle Investor*innen Tests mit den ferngesteuerten Kakerlaken beobachten. Auf dem Rücken der Insekten ist Technik in einem »Rucksack« verbaut, wie Gründer Jörg Lamprecht es gegenüber der »Wirtschaftswoche« erklärt. Drähte daraus leiten Stromimpulse, um die Tiere zu steuern. Je nach Bedarf enthält die 20 Gramm schwere Last neben Batterien auch Kameras, Mikrofone und andere Sensorik.
Auch der »Kölner Stadtanzeiger« berichtet über die fragwürdigen Systeme und weist darauf hin, dass die Idee keineswegs neu ist: Das Pentagon forscht beispielsweise seit zwei Jahrzehnten an ferngesteuerten Insekten für Überwachungszwecke. Forschenden aus Singapur gelang es vor einem Jahr erstmals, einen Schwarm von 20 Kakerlaken mit Rückencomputern fernzusteuern.
»Einen Insektenschwarm zu steuern, ist komplexer als Drohnen – aber wenn es klappt, revolutioniert es die Kriegsführung«, erklärte der Swarm-Biotactics-Gründer den Berichten zufolge auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Dabei müsse der Einsatzführer nicht jede einzelne Kakerlake steuern, sondern gebe lediglich Ziele vor. Lamprecht nennt drei Anwendungsbereiche für die Technologie: militärische Aufklärung, Rettungsaktionen oder die Inspektion von Industrieanlagen. Die Cyborg-Kakerlaken könnten demnach Gaslecks erkennen, Verschüttete lokalisieren oder feindliche Stellungen ausspionieren.
Den Berichten zufolge gibt es ein hohes Investoreninteresse an der Firma, die »Wirtschaftswoche« nennt die deutsche Risikokapital-Gesellschaft Capnamic, die ehemalige Renk-Chefin Susanne Wiegand sowie den Home24-Gründer Philipp Kreibohm als Geldgeber.
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Hinter Swarm Biotactics stehen bereits erfahrene Unternehmer, wie die Wirtschaftsmedien berichten. Lamprecht wurde bekannt durch seine Firma Dedrone, die sich auf Drohnenabwehr spezialisiert hatte und im letzten Jahrzehnt in diesem Segment eine Zeitlang Marktführer war. Das Unternehmen hat er für eine halbe Milliarde Dollar an den Taser- und Bodycam-Hersteller Axon in den USA verkauft.
Angeblich hat der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr – eine 2017 gegründete Einheit für Innovationen – bereits eine Kooperation mit Swarm Biotactics aus Kassel zugesagt und plane noch dieses Jahr Tests mit den ferngesteuerten Kakerlaken.
Dabei bleibt es möglicherweise nicht: Lamprecht plant, künftig auch Tauben und möglicherweise Haie mit Sensoren auszustatten. Der Vorteil der Cyborg-Tiere: Sie werden nicht von Radarsystemen erkannt, sind schneller als militärische Roboter und haben praktisch unendliche Energiereserven. Auf Linkedin nennt Lamprecht seine Technologien eine »neue Ära der lebenden Maschinen«.
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