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Panik an den Berliner Unis

Hochschulen sehen sich von Sparmaßnahmen überfordert

Aus Protest gegen die geplanten Kürzungen verhüllten Studierende der Universtität der Künste im Februar ihre Uni.
Aus Protest gegen die geplanten Kürzungen verhüllten Studierende der Universtität der Künste im Februar ihre Uni.

An den Unis herrscht Angst: »Wir haben berechnet, dass wir 2027 nicht mehr zahlungsfähig sein werden«, sagte Angelika Richter, Rektorin der Weißensee-Kunsthochschule am Mittwochabend bei einer Veranstaltung der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Grund dafür seien die Sparvorgaben des Senats. Acht Prozent des Budgets der Hochschulen sind zurzeit gesperrt. »Wir haben schon längst alles ausgereizt«, so Richter. »Ich wüsste nicht, wo wir jetzt noch den Rotstift ansetzen können.«

Dabei werden die Kürzungsforderungen an die Unis offenbar noch größer: Weitere 27 Millionen Euro sollen zu den bisher schon geforderten Einsparungen in Höhe von 107 Millionen Euro über alle Hochschulen hinweg hinzukommen. Das zeigt eine Anfrage des Linke-Abgeordneten Tobias Schulze. Grund ist eine pauschale Minderausgabe für das Wissenschaftsressort im Nachtragshaushalt, die bislang nicht aufgelöst wurde.

»So etwas ist nicht mal in den schlimmsten Zeiten von Sarrazin vorgekommen«, sagte Schulze in Anspielung auf den harten Sparkurs des ehemaligen Finanzsenators. »Das sind Zustände, wie wir sie uns nicht vorstellen konnten.« Für die Unis gebe es nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie entließen Teile des festangestellten Personals betriebsbedingt – oder sie bauten im Umfang von 15 bis 20 Prozent Studienplätze ab.

Noch vor zwei Jahren sah die Welt ganz anders aus. Da unterschrieben Unis und Senat gerade die Hochschulverträge, mit denen die Finanzierung der Hochschulen festgeschrieben wird – und die Leistungen, die die Hochschulen im Gegenzug erbringen müssen. Diese Hochschulverträge sahen die sogenannnte Dynamisierung vor: Die leistungsunabhängige Grundfinanzierung sollte für vier Jahre lang in jedem Jahr um je fünf Prozent steigen. Darum hatten die Hochschulen lange gekämpft, um ihre Investitionsfähigkeit zu verbessern.

Doch das Vertragswerk erwies sich schnell als Makulatur. Denn der von Schwarz-Rot beschlossene Doppelhaushalt 2024/2025 war finanziell nicht tragbar, wie sich schon kurz nach dessen Beschluss Ende 2023 zeigte. In den Verhandlungen um den Nachtragshaushalt musste das Wissenschaftsressort dann in absoluten Zahlen die meisten Federn lassen, relativ zum Ressortbudget wurde nur der Kulturbereich noch härter getroffen. 200 Millionen Euro mussten auf einmal eingespart werden, davon 107 Millionen bei den Hochschulen. Die Mittel sind derzeit gesperrt, es laufen »Ergänzungsverhandlungen«, mit denen die Hochschulverträge auf die neue finanzpolitische Realität umgeschrieben werden sollen.

»Es ist wie eine Vollbremsung«, sagt Bettina Völter, Rektorin der Alice-Salomon-Hochschule. In den vergangenen Jahren habe die Politik einen massiven Ausbau der auf die Ausbildung von Sozialarbeitern fokussierten Hochschule in Hellersdorf forciert, innerhalb weniger Jahre habe sich die Zahl der Studienplätze um mehr als die Hälfte erhöht. Nun solle die Entwicklung von einen Tag auf den anderen ins Gegenteil verkehrt werden.

Zuletzt machte die Wissenschaftsverwaltung den Unis zumindest Hoffnung auf Linderung. So sollen im Doppelhaushalt 2026/2027 weitere Kürzungen ausbleiben. In den Hochschulverträgen soll die Dynamisierung zwar entfallen, dafür sollen mögliche Tarifsteigerungen künftig vom Land aufgefangen werden. »Es gibt arge Zweifel, ob das haltbar sein wird«, gab sich TU-Präsidentin Geraldine Rauch allerdings skeptisch.

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Was bleibt den Unis so noch? Ein viel diskutierter Weg wäre es, dass die Hochschulen den Senat auf Einhaltung der Hochschulverträge verklagen. Eine solche Klage wird bereits von den Universitäten vorbereitet. »Wenn wir die Analyse teilen, warum zögern die Hochschulleitungen dann mit einer Klage?«, fragte die Verdi-Funktionärin Julia Dück. »Man könnte den Senat so zwingen, andere Möglichkeiten aufzutun.«

Doch die Erfolgsaussichten einer solchen Klage sind unklar. Denn unter Juristen ist umstritten, ob es sich bei den Hochschulverträgen überhaupt um Verträge im juristischen Sinne handelt. Zwar setzen die Hochschulpräsidenten und die Wissenschaftssenatorin ihre Unterschriften unter das Dokument, aber strenggenommen handelt es sich nach geläufiger Lehrmeinung nur um Ausführungsbestimmungen zu den im Landeshaushalt beschlossenen Haushaltstiteln.

»Wir müssen uns fragen, ob die Klage die Hochschulverträge gefährden könnte«, gab Weißensee-Rektorin Angelika Richter zu Bedenken. Man müsse einen Gerichtsgang genau abwägen. TU-Präsidentin Geraldine Rauch nannte einen praktischen Grund, warum keine Hochschule den Senat im Alleingang verklagt: »Niemand will es sich mit dem Senat verscherzen.«

»Es ist wie eine Vollbremsung.«

Bettina Völter Alice-Salomon-Hochschule

Im schlimmsten Fall könnte das Verwaltungsgericht das gesamte Instrument der Hochschulverträge als verfassungswidrigen Eingriff in die Haushaltshoheit des Parlaments werten. Für die Berliner Hochschulpolitik wäre das der Super-GAU: Das Konzept der Hochschulverträge ist bei allen Beteiligten geschätzt. Für die Hochschulen bedeuten sie langfristige finanzielle Sicherheit. Und die Politik kann so trotz Hochschulautonomie auf für die gesamte Stadt relevante Bereiche wie Lehrkräftebildung Einfluss nehmen.

So dramatisch die Situation bereits erscheint – in den kommenden Monaten könnte sie sich noch weiter verschärfen. »Die eigentlichen Verteilungskämpfe haben noch gar nicht begonnen«, warnte Weißensee-Rektorin Richter. Zurzeit schlagen sich die Kürzungen an den Hochschulen in der Form nieder, dass befristete Verträge nicht erneuert und laufende Berufungsverfahren auf Halde gestellt werden. Sobald jedoch strukturelle Kürzungen greifen – also etwa komplette Lehrstühle oder Studiengänge gestrichen werden –, könnte die bisherige Einigkeit der Hochschulangehörigen schnell dahin sein.

Ein Beispiel: Im vergangenen Jahr haben Verdi und GEW mit dem Senat einen »Tarifvertrag Hauptstadtzulage« abgeschlossen. Die Gewerkschaften pochen darauf, dass die Zusatzzahlung nun auch an den Hochschulen ausgezahlt werden muss. »Die Hauptstadtzulage gilt einfach auch für die Hochschulbeschäftigten«, sagte Verdi-Gewerkschaftssekretärin Jana Seppelt.

Zwar leiden die Verwaltungsapparate der Hochschulen tatsächlich darunter, dass Azubis nach ihrem Abschluss in die Senatsverwaltungen wechseln, wo die Hauptstadtzulage schon gezahlt wird. Doch für die Personalgewinnung bei den höher tarifierten wissenschaftlichen Mitarbeitern sind die 150 Euro Zulage weitgehend irrelevant. Beim Finanzierungsmodell des Senats ist sie nicht einberechnet. Die Hochschulleitungen warnen daher vor der zusätzlichen Belastung. »Wir kommen da in einen absoluten Konflikt«, sagte Weißensee-Rektorin Richter. »Wir dürfen uns da nicht gegenseitig zerlegen.« Genau das jedoch droht nicht nur bei diesem Thema.

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