Neustart für Potsdam – ja oder nein?

Bürgerentscheid zur Abwahl von Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD)

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Muss Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) nach dem Bürgerentscheid am Sonntag gehen?
Muss Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) nach dem Bürgerentscheid am Sonntag gehen?

Von den fast 190 000 Einwohnern der Stadt Potsdam dürfen an diesem Sonntag 143 200 darüber abstimmen, ob Mike Schubert (SPD) Oberbürgermeister bleibt. Es sind die mindestens 16 Jahre alten Wahlberechtigten – Deutsche oder auch Bürger eines anderen EU-Staates. Auf den Wahlzetteln steht: »Stimmen Sie für die Abwahl des Oberbürgermeisters Mike Schubert?« Anzukreuzen gilt es die Felder »Ja« oder »Nein«.

Vorgeworfen wird dem SPD-Politiker, dass er sich kostenlose Eintrittskarten für Sportveranstaltungen hat geben lassen – für teure VIP-Plätze und nicht nur für sich allein, sondern zuweilen auch für seine Frau, die ihn begleitete. Er sei nicht bestechlich, versicherte Schubert, räumte aber ein, sich mit seinem Verhalten angreifbar gemacht zu haben. Die Staatsanwaltschaft sah den Tatverdacht der Vorteilsannahme in 67 Fällen als erwiesen an. Vor Gericht ist die Sache aber nicht gelandet, weil Schubert auf das Angebot der Justiz einging, das Verfahren gegen Zahlung von rund 34 000 Euro einzustellen.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Das allein ist es allerdings nicht, was zu dem Bürgerentscheid geführt hat. »Die Linke ist dafür, dass Mike Schubert abgewählt wird«, sagt der Kreisvorsitzende Jörg Schindler. Es gehe der Linken dabei aber nicht um Eintrittskarten. »Es geht uns um die politischen Verhältnisse in der Stadt. Es geht uns darum, dass die sozialen Errungenschaften in Potsdam erhalten und ausgebaut werden. Das hat Mike Schubert nicht mitgemacht.« Potsdam brauche jetzt einen Neustart.

Während der frühere Linksfraktionschef Stefan Wollenberg zunächst lange zu Schubert gehalten hatte, kritisiert die neue Fraktionsvorsitzende Isabelle Vandré den Versuch des Oberbürgermeisters, einen Kürzungshaushalt durchzusetzen. Sie rügt auch die Schubert angelastete »schlechte Arbeitsatmosphäre« im Rathaus.

Mike Schubert wurde 2018 für acht Jahre zum Oberbürgermeister bestimmt. Er setzte sich damals in der Stichwahl mit 28 803 zu 23 283 Stimmen gegen Martina Trauth (Linke) durch. Nun könnte es am Sonntag wegen der voneinander abweichenden Hürden für die Wahl und die Abwahl von Oberbürgermeistern in Brandenburg zu einer absurden Situation kommen.

Der Landesverband Berlin-Brandenburg des Vereins Mehr Demokratie rechnet vor: Wenn am Sonntag weniger als ungefähr 35 800 Potsdamer für die Abwahl stimmen, dann darf Schubert Rathauschef bleiben – auch wenn sie damit in der Mehrheit wären und sich nur eine Minderheit der Wählenden für seinen Verbleib im Amt aussprechen sollte. Denn mit weniger als 35 800 Stimmen gegen Schubert wäre das für Bürgerentscheide geltende Quorum von 25 Prozent nicht erfüllt. Für die Wahl von Oberbürgermeistern gilt dagegen ein Quorum von nur 15 Prozent. Bei der Stichwahl 2018 lag die mindestens für einen gültigen Wahlsieg erforderliche Stimmenzahl deshalb bei lediglich 21 167. Bekommen hatte Schubert damals 28 803 Stimmen. Die würden nun nicht ausreichen, um ihn abzulösen.

»Das Brandenburger Kommunalwahlrecht sollte daher dringend geändert werden«, findet Oliver Wiedmann, Landesvorstandssprecher von Mehr Demokratie. Er sagt: »Die Ausgestaltung des Wahlrechts muss frei von Widersprüchen sein.« Ein erster Schritt wäre, das Quorum für Bürgerentscheide auf 15 Prozent abzusenken. Darüber hinaus empfiehlt Wiedmann jedoch, zu prüfen, ob Quoren überhaupt notwendig seien. Im Fall von Mike Schubert, der schließlich große öffentliche Aufmerksamkeit erregt habe, hält Wiedmanns Verein das Erreichen des Quorums von 25 Prozent für »durchaus realistisch, aber auch nicht sicher«.

Der dienstälteste Stadtverordnete Hans-Jürgen Scharfenberg (BSW) beurteilt die Lage so, dass Schubert am Sonntag ganz sicher keine Mehrheit für seinen Verbleib im Amt erhalten werde. Das Erreichen des für die Abwahl erforderlichen Quorums hält Scharfenberg für realistisch. Schon seit Mai 1990 gehört der Ende 2023 aus der Linken ausgetretene und 2024 ins BSW aufgenommene Scharfenberg dem Potsdamer Stadtparlament an. »Ich habe das noch nie erlebt, dass es eine solche Übereinstimmung gibt«, sagt der 71-Jährige. Nicht einmal bei dem alten Oberbürgermeister Horst Gramlich (SPD), dessen Abwahl 1998 scheiterte. Hinter Schubert stehe heute, anders als damals, nur die SPD – und die nicht einmal geschlossen.

Würde die Abwahl am Quorum scheitern, wäre das fatal. »Die Stadt braucht einen handlungsfähigen Oberbürgermeister«, sagt Scharfenberg. Mike Schubert wäre seiner Ansicht nach nicht mehr handlungsfähig. Potsdam bliebe dann bis zur nächsten regulären Oberbürgermeisterwahl im Herbst 2026 in einer Krisensituation.

Die SPD stellt es anders dar. Sie plakatierte mit Blick auf den Bürgerentscheid: »Nein aus gutem Grund. Stabilität für Potsdam. Mike Schubert – unser Oberbürgermeister.« Für ein Ja zur Abwahl hängen im Stadtbild Plakate der CDU, der Grünen, der Freien Wähler und der linksalternativen Stadtfraktion Die Andere. So breit ist das Spektrum derjenigen, die Schubert ablösen wollen.

Auf die Stimmen der AfD kam es deshalb im Stadtparlament nicht an, als über den Abwahlantrag entschieden wurde, der zum Bürgerentscheid führte. Aber auch die AfD will Schubert weghaben. Mit 44 zu 9 Stimmen wurde der Abwahlantrag am 2. Februar beschlossen. »Die Tickets sind der Anlass. Die Ursache ist eine andere: dass er seinem Amt nicht gewachsen ist«, sagt Hans-Jürgen Scharfenberg. »Da hat die Stadtverordnetenversammlung die Notbremse gezogen.«

»Die Linke ist dafür, dass Mike Schubert abgewählt wird.«

Jörg Schindler Linke-Kreisvorsitzender

Setzen die Einwohner von Potsdam ihren Oberbürgermeister ab, so übernimmt kommissarisch sein Stellvertreter, der Finanzbeigeordnete Burkhard Exner (SPD). Innerhalb von fünf Monaten ist dann ein neuer Rathauschef zu wählen. Ein Name wird schon genannt: Die frühere Kulturdezernentin Noosha Aubel (parteilos) gilt als eine der Führungskräfte, die Potsdam verlassen haben, weil sie mit Mike Schubert nicht auskamen. Aubel ist seit Juli 2024 Bildungsdezernentin im schleswig-holsteinischen Flensburg und denkt momentan an andere Dinge als eine Rückkehr nach Potsdam. Dennoch sagt sie: »Sollte es jedoch aus dem demokratischen Spektrum heraus, über Parteigrenzen hinweg, den Wunsch nach einer überfraktionellen Kandidatin geben, würde ich mich mit der Thematik durchaus ernsthaft auseinandersetzen.«

Seit 1990 stellte die SPD den Oberbürgermeister von Potsdam. In fünf von sechs Fällen siegten seit 1993 immer die Kandidaten der Sozialdemokraten in der Stichwahl über Bewerber der Sozialisten. In dem einen Fall, in dem 1998 der vorherige Brandenburger Umweltminister und spätere Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) gleich im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit den Durchmarsch schaffte, war die hinter ihm Zweitplatzierte die PDS-Kandidatin Anita Tack.

- Anzeige -

Wir sind käuflich.

Aber nur für unsere Leser*innen. Damit nd.bleibt.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Werden Sie Teil unserer solidarischen Finanzierung und helfen Sie mit, unabhängigen Journalismus möglich zu machen.