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Fußball: An der Basis fehlt es am Nötigsten
Das Herz unseres Kolumnisten Christoph Ruf schlägt für den Amateurfußball
Wenn Provinzler eine Reise tun, sollten sie ihren Kopf mitnehmen. Diese Feststellung ist ausdrücklich nicht auf die 100 000 Fans von Arminia Bielefeld gemünzt, die am Wochenende die Hauptstadt ostwestfalisierten. Sondern auf mich selbst, der nach dem Besuch des gottgleichen Hans-Zoschke-Stadions in Lichtenberg eine Verbindung über den Alex wählte. Dort war der Standort des Bielefelder Fanfestes, von wo aus Tausende Richtung Olympiastadion fuhren. Trotzdem nach Spandau zu kommen, gelang nur über Umwege.
Dass dann abends der haushohe Favorit gewann, war keine Überraschung. Wie auch Menschen, die oft zum Fußball gehen, nur mit der Schulter zucken, wenn sie hören, dass sich 100 000 Bielefelder und 30 000 Stuttgarter auch dann nicht in die Haare bekommen, wenn sie sich sardinengleich in vollbesetzten S-Bahnen berühren. Schön auch, dass das U19-Finale zwischen Karlsruhe und Bremen am Freitagabend friedlich blieb. Die KSC-Fans, denen die Polizei zweieinhalb Stunden eingekesselten Weg von Babelsberg bis zum Berliner Hauptbahnhof zumuteten, blieben ruhig. Auch als die friedliebenden Jungs der Spezialeinheit (»Fangt doch endlich an, dann geht’s los!«) das taten, was Berliner Polizisten gerne tun, bevor sie die nächste Meldung über die angeblich ausufernde Fangewalt raushauen.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Wichtiger als den Profizirkus am Berliner Westend fand ich indes eine Veranstaltung, die fast zeitgleich in Berlin-Mitte stattfand: den Kongress der »Hartplatzhelden«, die die Anliegen des Amateurfußballs vertreten. Dort kamen nämlich die Dinge zur Sprache, die gesellschaftlich wirklich relevant sind. Umso überraschender, dass es an der Basis oft am Nötigsten fehlt.
Es ist wirklich nichts Neues, dass immer mehr Kinder und Jugendliche übergewichtig und feinmotorisch wenig begnadet sind. Doch wenn es darum geht, Abhilfe zu schaffen, bleibt die Politik fantasie- und ambitionslos. So nimmt sie hin, dass flächendeckend die Ehrenamtlichen fehlen, die die Karten abreißen oder die C-Jugend trainieren. Dass sich nur noch wenige Menschen ohne direkten Kosten-Nutzen-Bezug engagieren mögen, hat sicher Gründe, die den Fußball übersteigen. Aber mit Steuererleichterungen oder hauptamtlicher Unterstützung ließe sich zumindest ein mittlerer Wasserschwall auf den heißen Stein gießen.
Und wer sagt eigentlich, dass es zwei Jahre dauern muss, bis ein Antrag auf Erneuerung des zerrissenen Fangnetzes hinterm Tor genehmigt wird? Dass in den Sommerferien Turnhallen und Schultrainingsplätze unzugänglich bleiben, weil der Hausmeister Urlaub hat und keinem den Schlüssel überlassen darf? Oder dass der Brandschutz als perfekte Ausgeburt des Bürokraten-Michels sklavischer befolgt wird als das Grundgesetz? All das werden aber offene Fragen bleiben, solange der Profifußball alles andere überlagert.
Fußball verbrennt Kalorien, er führt Menschen zusammen, am Trainingsplatz wie im Vereinsheim. Und er lehrt von den eigenen Eltern verzogenen Ichlingen, dass sie ohne Teamgeist nicht weit kommen. Das alles – und nicht die Gladiatorenkämpfe grotesk überbezahlter Millionäre – macht die eigentliche Kraft des Fußballs aus. Schön, dass wir auch am vergangenen Wochenende nicht darüber gesprochen haben.
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