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Angriff auf das Arbeitszeitgesetz: Es ist viel schlimmer!
Der Gewerkschafter Taro Tatura über die Verlängerung der Arbeitszeiten
Es ist kein Angriff auf den Acht-Stunden-Tag! Es ist viel schlimmer! Der geplante Angriff aufs Arbeitszeitgesetz durch Union und SPD ist derzeit in aller Munde, und während »die Wirtschaft« den Vorschlag bejubelt, hagelt es von Gewerkschaften und anderen progressiven Kräften Kritik. Doch was wird kritisiert? Es heißt, die Bundesregierung plane, den Acht-Stunden-Tag abzuschaffen. Aber stimmt das? Kurzfassung: Nein! Langfassung: Im Arbeitszeitgesetz steht zwar etwas von acht Stunden und dass zehn Stunden nur im Ausnahmefall mit späterem Ausgleich möglich sind, doch die Debatte übersieht eins: Die erkämpfte Normalität der Fünf-Tage-Woche hat es nie ins Arbeitszeitgesetz geschafft! Die täglichen acht Stunden beruhen darauf, dass diese an sechs Tagen pro Woche gearbeitet werden. Dadurch kommen wir auf die wöchentliche Grenze von 48 Stunden. In der heutigen Normalität sind zum Glück eher 40 Stunden an fünf Tagen die Norm. Es ist also schon jetzt möglich zum Beispiel fünf Tage lang je 9,6 Stunden zu arbeiten. Der Ausgleich, den das Gesetz fordert, kommt ganz automatisch dadurch zustande, dass am sechsten Tag nicht gearbeitet wird. Was will die Bundesregierung nun ändern? Man will im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie, eine wöchentliche statt eine tägliche Höchstarbeitszeit festlegen.
Es werden also die zehn Stunden täglicher Höchstarbeitszeit angegriffen, nicht die acht Stunden. Das könnte man nun kleinlich nennen, doch die Tragweite dieser Veränderung ist größer, als es auf den ersten Blick scheint.
Der designierte Generalsekretär der SPD Tim Klüssendorf sagte im »Bericht aus Berlin«, dass es um Flexibilität gehe, die sich auch die Arbeitnehmer*innen wünschen, um zum Beispiel vier mal zehn Stunden zu arbeiten und dann einen freien Freitag zu haben. Da stellt sich nun allerdings die Frage, ob Klüssendorf das Arbeitszeitgesetz nicht kennt oder ob er die Bürger*innen gezielt zu täuschen versucht. Denn genau sein Beispiel ist schon jetzt möglich. Man will also mit Fällen, für die eine Änderung gar nicht notwendig ist, Akzeptanz für das Vorhaben schaffen.
Doch nicht nur die Regierungsparteien täuschen die öffentliche Meinung, sondern auch wir als Gewerkschafter*innen müssen selbstkritisch überlegen, ob es sinnvoll ist, romantisch über den Angriff auf die erkämpften acht Stunden zu sprechen, wenn es diese seit den erkämpften, aber gesetzlich nicht festgelegten fünf Tagen gar nicht gibt. Für viele Kolleg*innen macht es einen Unterschied, ob es darum geht, auch mal neun oder zehn Stunden zu arbeiten – oder eben 13! Es geht hier eben nicht um die Flexibilität, einmal zwei Stunden mehr zu arbeiten, sondern im Zweifel fünf und auch die nicht nur einmalig.
Warum 13? Ganz einfach: Auch die europäische Arbeitszeitrichtlinie kennt durch die Hintertür eine maximale tägliche Arbeitszeit. Zwar ist diese nicht als solche definiert, aber es sind elf arbeitsfreie Stunden pro Tag festgelegt und 24 minus elf sind 13.
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Die Arbeitgeberseite hat ein großes Interesse an den neuen Möglichkeiten. Zum Beispiel, wenn bei Arbeitsprozessen zu Beginn und Ende der Arbeit unproduktive Rüstzeiten unumgänglich sind. Wenn also auf einer Baustelle Material und Maschinen je 30 Minuten lang bereitgestellt oder weggeräumt und gereinigt werden müssen, ist es deutlich attraktiver, wenn dazwischen maximal zwölf statt maximal neun Stunden produktiv gearbeitet werden kann. Oder im Einzelhandel: Wenn es plötzlich möglich wird, die komplette Öffnungszeit mit einer statt mit zwei Schichten abzudecken. Ein Drei-Schicht-Betrieb, in dem es nun möglich wird, 24 Stunden mit zwei statt mit drei Schichten abzudecken. Unter Einführung von Regelungen zu Saisonalität ist das Ganze sogar mit einer Fünftage-Woche denkbar. Denken wir an die Gastronomie: zwei Monate lang fünf Tage je 13 Stunden und weitere zwei Monate lang, in denen weniger Nachfrage herrscht, fünf Tage à 6,2 Stunden. So wären trotz einer 65-Stunden-Woche innerhalb der zwei Monate Hauptsaison im Schnitt die 48 Stunden pro Woche sichergestellt. Selbst wenn die 13 Stunden nicht vorgeplant genutzt werden, wird in Kombination mit der geplanten Steuerbefreiung von Mehrarbeitszuschlägen, gerade im Niedriglohnsektor, eine über das gesunde Maß hinausgehende Ausbeutung befördert.
Alle denkbaren Optionen klingen nicht nach einer Flexibilisierung im Sinne der Beschäftigten, sondern nach einem massiven Angriff, den wir auch erkennbar als solchen bezeichnen und unseren Kolleg:innen vermitteln müssen! Spätestens mit diesem Vorstoß muss Schluss sein mit falscher Nachsichtigkeit der Gewerkschaften gegenüber der ehemals sozialdemokratischen SPD. Es braucht jetzt massive Gegenwehr an allen Stellen. Ob im Betrieb, dem Parlament oder auf der Straße – diesen Angriff darf unsere Klasse nicht unbeantwortet lassen. Jede und jeder Abgeordnete, die oder der für diese Gesetzesänderung stimmt, ist unser Gegner.
Taro Tatura ist Gewerkschafter und Vorsitzender des Fachbereichs B beim ver.di-Landesbezirk Hamburg.
Wir sind käuflich.
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