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  • Kolumne: Aus den faschistischen Amerikas

Autoritäres Drehbuch

Daniel Loick über das »Project Esther« der rechtsextremen Heritage Foundation in den USA

Die Trump-Regierung nutzt die Auseinandersetzung um Antisemitismus zum Großangriff auf die Universitäten. Hier: Einsatzkräfte der New Yorker Polizei vor der Columbia University.
Die Trump-Regierung nutzt die Auseinandersetzung um Antisemitismus zum Großangriff auf die Universitäten. Hier: Einsatzkräfte der New Yorker Polizei vor der Columbia University.

In der Bibel handelt das Buch Esther von einer jüdischen Frau, die mit dem persischen König verheiratet ist. Als dessen Großwesir androht, alle Juden im Reich umzubringen, überzeugt Esther ihren Gatten, ihnen die Selbstverteidigung zu gestatten, wodurch sie sich schließlich retten können. Der Grund dafür, dass diese Episode in letzter Zeit häufig Thema in meinem New Yorker Freundeskreis ist, liegt darin, dass Esther auch die Namensgeberin einer politischen Kampagne ist, über die die New York Times im Mai einen längeren Bericht veröffentlicht hat.

Grundidee des Projekts ist, dass sich das Thema Antisemitismus am besten zur Schwächung des politischen Gegners eignet.

Das »Project Esther« wurde von der Heritage Foundation entworfen, dem rechten Thinktank, der mit dem »Project 2025« auch die Eckpfeiler der aktuellen Regierungspolitik Trumps entwickelt hat. Die explizite Grundidee ist dabei, dass das Thema Antisemitismus sich am besten eignet, um den politischen Gegner zu schwächen. In einem Strategiepapier werden detailliert die Ziele, Methoden und Mittel einer Kampagne dargelegt, die nicht nur auf breite Unterstützung der Bevölkerung setzen kann, sondern auch Teile der liberalen Öffentlichkeit mit einbindet. Dies beginnt mit dem Framing öffentlicher Debatten: Das Papier schlägt etwa vor, die gesamte pro-palästinensische Bewegung konsequent als »Hamas-Unterstützungsnetzwerk« zu bezeichnen. Dieses »terroristische« Netzwerk soll durch zahlreiche Maßnahmen bekämpft werden, von der Säuberung von Curricula über polizeiliche Repressionen bis zu Abschiebungen. Das Ziel: die vollständige Zerstörung der progressiven Infrastruktur.

Daniel Loick

Daniel Loick ist Abolitionist und Associate Professor für Politische Philosophie an der Universität Amsterdam. Im Rahmen eines Auslandsaufenthalts schreibt er in seiner Kolumne »Aus dem faschistischen Amerika« alle zwei Wochen über den autoritären Alltag in den USA und Argentinien.

Als ich das 33-seitige Dokument las, hat es mir aus mehreren Gründen den Atem verschlagen. Obwohl man ja weiß, wozu diese Leute fähig sind, war ich verblüfft, wie dreist der Vorwurf des Antisemitismus instrumentalisiert wird, um rechtsextreme Politiken voranzutreiben. Das Projekt, das von vielen evangelikalen Gruppen, aber von keiner jüdischen Organisation unterstützt wird, spricht mit keinem Wort von dem grassierenden Antisemitismus in rechten Kreisen, der sich immer wieder in der republikanischen Propaganda niederschlägt. Außerdem ist erstaunlich, wie effektiv das Project Esther ist: Es hat nicht nur die bedingungslose Unterstützung der USA für den israelischen Genozid bekräftigt, der ganz Gaza in Schutt und Asche gelegt hat, sondern auch die mächtigsten Universitäten in die Knie gezwungen, unabhängige Medien auf Linie gebracht und die Studierendenbewegungen kriminalisiert. Am unheimlichsten ist es, dass es fast so scheint, als seien die Vertreter*innen der liberalen Öffentlichkeit einfach Statist*innen im Drehbuch des Project Esther: »Universitäten, Medien und demokratische Politiker«, ärgert sich eine Freundin, die jüdische Autorin Natascha Lennard, »haben dieses abscheuliche Narrativ, das immer ein Geschenk an die autoritäre Rechte war, von Anfang an leichtgläubig akzeptiert.«

Doch auch wenn es so wirkt, als laufe das liberale Establishment einfach treudoof in die Falle, die ihnen ein Haufen skrupelloser Faschos gestellt hat, liegt das Problem viel tiefer. Es besteht in der auch von vielen Linken vertretenen Vorstellung, Antisemitismus ließe sich durch Repression, Deportation und Okkupation bekämpfen. Eine Gegenstrategie kann sich deshalb nicht damit begnügen, einfach den Masterplan der Heritage Foundation zu entlarven, sondern muss die Vorzeichen der Debatte grundlegender in Frage stellen. Viele jüdische Diaspora-Gemeinden setzen etwa auf »Sicherheit durch Solidarität«, um zu vermeiden, gegen andere marginalisierte Gruppen ausgespielt zu werden. Die Initiative Jewish Voice for Peace – selbst vom Project Esther als »Hamas-Support-Organisation« diffamiert – erinnert an eine andere Lesart des Buchs Esther: Esther ist gerade deshalb eine Heldin, weil sie gegen die Staatsgewalt aufbegehrt, um gegen Genozid und für ein Zusammenleben unter Gleichen einzutreten.

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