Wenn die USA den Stecker ziehen

Technologie ist kein Schicksal, sondern eine Entscheidung: Auf der »re:publica« ging es um Alternativen zu den US-Tech-Konzernen

  • Dorte Lena Eilers
  • Lesedauer: 6 Min.
Zuviel Staatsnähe? Der neue Digitalminister Karsten Wildberger versprach eine Balance zwischen Innovation und Datenschutz.
Zuviel Staatsnähe? Der neue Digitalminister Karsten Wildberger versprach eine Balance zwischen Innovation und Datenschutz.

Ein Leben im Netz. Sind wir darauf vorbereitet? Im Netz derjenigen zu zappeln, denen unsere Daten gehören? Die daraus Konsumwissen ableiten? Regulierungswissen, Manipulationswissen und schlimmstenfalls Herrschaftswissen? »Dieser Putsch findet mit Software statt – und nicht mit Panzern«, erklärt Netzaktivist Markus Beckedahl mit Blick auf die unheilige Allianz zwischen Tech-Oligarchie und Regierungsmacht in den USA. Sind wir darauf vorbereitet? Die »re:publica«, Europas größte Digitalkonferenz, die Ende Mai in Berlin stattfand, sagt: Wir müssen es sein. Weil wir noch zu sehr am Stecker der US-Konzerne hängen.

»Leben im Netz« lautete 2007 das Motto der ersten »re:publica«. Was damals wie ein Aufbruch klang, driftet mittlerweile in beunruhigend gegenteilige Richtung. Aus der Euphorie über das Potenzial eines herrschaftsfreien Diskurses im Digitalen ist der Schrecken über die Möglichkeiten der Herrschaft geworden. Wie die Ikonografie eines Kollektivtraumas geistert auf der diesjährigen Konferenz das viral gegangene Foto von Donald Trumps Amtseinführung durch die Vorträge, auf dem zu sehen ist, wie die US-Tech-Oligarchie vor dem US-Präsidenten Spalier steht. Hier ein paar Zahlen: Mit über 50 Prozent ist Facebook laut statista.de nach wie vor die meistgenutzte Plattform in Deutschland. Über 75 Prozent der europäischen Cloud-Daten liegen nach Angaben von Digitalminister Karsten Wildberger auf US-amerikanischen Servern. Unsere Verwaltungen sind, so Markus Beckedahl, mittlerweile zu 99 Prozent abhängig von Microsoft. Das Programm der »re:publica« war somit spürbar versehrt von den derzeitigen Entwicklungen in den USA. Lange fand die alljährlich aus allen Nähten platzende Konferenz – in diesem Jahr waren es laut Veranstalter 1200 Sprecher*innen in über 650 »Programm-Sessions« – nicht mehr in einer derart alarmierenden Gegenwart statt.

Die »re:publica« sei immer auch ein Versprechen gewesen, »dass Technologie kein Schicksal ist – sondern eine Entscheidung«, erklärte Ko-Gründer Johnny Haeusler. Und so fanden sich unter der Vielzahl an Vortragenden zahlreiche Initiativen, Projekte, NGOs, die auf den unterschiedlichsten Ebenen unserer Gesellschaft, privat wie auch staatlich, an Alternativlösungen zu amerikanischen Digitalanbietern arbeiten. Zu erleben waren Diskussionen über den europäischen Digitalpakt »Euro Stack«, eine souveräne Cloud-Lösung für den Kontinent. Es ging um die neue öffentlich-rechtliche Streaming-Plattform von ARD und ZDF, die open source einen Player zur Verfügung stellen will, der als Ersatz für Youtube fungieren kann. Und es ging immer wieder um den Digital Service Act, mit dem die EU den großen Tech-Plattformen rechtliche Rahmenbedingungen setzen will, dessen operative Durchsetzung, so die Befürchtung, derzeit allerdings im Trumpschen Handelsstreit zur Verhandlungsmasse zu werden droht.

USA, Russland, Nahost – ohnehin ist die globale Gemengelage brisanter denn je, was dazu führte, dass es paradoxerweise für die diesjährige »re:publica« ausgesprochen gut lief. Bereits am ersten Tag sendete sie die Breaking News der Stunde: Bundeskanzler Friedrich Merz verkündete im Gespräch mit Markus Preiß, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, überraschend einen Wechsel der deutschen Außenpolitik angesichts der aktuellen Kriegsgeschehnisse in Gaza. Eine Richtung, die Außenminister Johann Wadephul am Folgetag unterstrich. Sowieso gaben sich die Politiker auch in diesem Jahr wieder das Mikro von Hand zu Hand. Ein Fakt, den Netzaktivisten kritisieren, da eine zivilgesellschaftlich orientierte Konferenz wie die »re:publica« ihrer Meinung nach damit zu viel Staatsnähe produziert. Was jedoch – der Verknotungskunst der Dialektik sei Dank – offenbar nicht für Linke-Star Heidi Reichinnek gilt. Die Bundestagsabgeordnete erhielt aus dem berstend vollen Zuschauersaal donnernden Applaus, während der neue CDU-Digitalminister Karsten Wildberger lediglich punktuell Zustimmung erntete, etwa als er verkündete, der Staat wolle sich auch für Open-Source-Lösungen einsetzen.

Aber immerhin: Auch wenn der ehemalige Chef des Handelskonzerns Ceconomy über keinerlei Regierungserfahrung verfügt, gibt es endlich ein eigenes Bundesministerium für Digitales. Ob die von Wildberger versprochene Balance zwischen Innovation und Datenschutz gelingt, wird dann Thema der nächsten »re:publicas« sein. Ko-Gründer Markus Beckedahl und andere Redner jedenfalls machten mit Blick auf die USA immer wieder klar, was passieren könnte, würden gespeicherte Daten auch auf Regierungsebene »zweckentfremdet«. Der Begriff des »digitalen Faschismus« stand mehrfach im Raum.

Nun ist die re:publica indes immer auch ein Ort der Thesen und Gegenthesen, der wissenschaftlichen Studien und deren Falsifizierung. Macht KI die Menschheit dümmer oder schlauer? Beeinflussen die sozialen Medien das Wahlverhalten in Richtung rechts oder links? Erst vor wenigen Monaten stellte die internationale Metastudie »Information Ecosystem and Troubled Democracy« die These auf, dass es derzeit keine empirischen Nachweise für den Einfluss digitaler Desinformation auf demokratische Prozesse gebe. Stattdessen, so Matthias Kettemann, Professor an der Universität Innsbruck und einer der Autoren der Studie, sei es die mediale und politische Thematisierung von Desinformation, die Misstrauen schüre und gesellschaftliche Prozesse destabilisiere. Operiert die re:publica also ebenfalls mit einem mediengenerierten Alarmismus? Sicher nicht, denn dazu sind die Positionen zu vielstimmig.

Den Gegenschuss zur Studie etwa brachte der Journalist und Jurist Torben Klausa von der Agora Digitale Transformation gGmbH mit, der sich mit den Auswirkungen sozialer Medien auf den demokratischen Diskurs beschäftigte. Nach wie vor, so Klausa, kursiere der Mythos, dass Plattformen neutrale Anbieter seien. Das Problem sei nur: Viele Inhalte seien diskursschädlich, aber legal. Sein Plädoyer: Die EU müsse ihre Regulierungsbestrebungen statt an Inhalte an die Funktionslogiken der Plattformen knüpfen. Zum Beispiel, indem jene dazu angehalten werden könnten, Inhalte nicht nach Interaktion zu highlighten, was extreme Inhalte priorisiere, sondern nach Konsensfähigkeit. Auch Wahlmöglichkeiten für Nutzerinnen und Nutzer wären denkbar, um alternative Algorithmen von Drittanbietern zu aktivieren, die nach anderen Regeln die Inhalte sortieren.

Ein weiterer Streitpunkt war der weltweite Erfolg generativer KI. Ute Schmid, Professorin für Kognitive Systeme an der Uni Bamberg, wies auf die Risiken beim frühen Wissenserwerb in Schulen hin. Unreflektiert eingesetzt führten KIs zu einer »McDonaldisierung des Lernens«, da die Belohnung nicht mehr im Wissenserwerb liege, sondern im schnellen KI-Generieren von Antwort-Happen. Sie plädierte daher entschieden für neue fachdidaktische Diskussionen.

Und so ging es auf der diesjährigen »re:publica«, die unter dem Motto »Generation XYZ« den intergenerationalen Dialog suchte, gewohnt diskursiv hin und her. Ein probates Verfahren, um sich einer kompletten »Landnahme des Kognitiven durch das Digitale«, wie es Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke formulierte, zu widersetzen. Oder um die Menschen, wie »re:publica«-Ko-Gründer Andreas Gebhard sagte, schlichtweg ein wenig »aufzuschlauen«.

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