Champions League: Chanel gegen Versace im Finale

Im Duell der Modemetropolen Paris und Mailand spielen die Klubs PSG und Inter in München um den Champions-League-Titel

  • Lennart Garbes
  • Lesedauer: 6 Min.
Seit dem Wintertransfer von Khvicha Kvaratskhelia ist PSG in der Champions League zum Topfavoriten gereift.
Seit dem Wintertransfer von Khvicha Kvaratskhelia ist PSG in der Champions League zum Topfavoriten gereift.

Wenn an diesem Samstag in der bayerischen Hauptstadt das Endspiel der Champions League steigt, kommt man um das Klischee eines Duells der Gegensätze kaum herum. Mit Inter trifft das älteste Team dieser Königsklassen-Saison auf ein jugendlich unbeschwertes PSG. Während die Mailänder auch ohne die ganz großen Stars seit Jahren zu Europas Besten gehören, musste Paris seine Weltstars Messi, Neymar und Mbappé erst loswerden, um titelreif zu werden. Außerdem spielt italienische Tradition gegen französisch-katarischen Neureichtum. Und im Finale der europäischen Modehauptstädte geht es natürlich auch um Extravaganz und schlichte Schönheit. Aber der Reihe nach.

Schon der Weg beider Teams nach München hätte kaum unterschiedlicher sein können. Inter gehörte während der neu geschaffenen Ligaphase direkt zu den stärksten Teams. Nur Leverkusen konnte die Nerazzurri in der Liga besiegen. Beim 1:0 gegen die Werkself kassierten die Mailänder ihr einziges Gegentor in acht Vorrundenspielen. Am Ende qualifizierte man sich auf Platz vier der Abschlusstabelle souverän direkt fürs Achtelfinale. Paris dagegen stolperte zu Beginn heftig durch das neue Königsklassen-Format. Aus den ersten fünf Ligaspielen holte man vier Punkte. Erst durch ein 4:1 gegen den VfB Stuttgart am letzten Spieltag rettete sich PSG in die Playoff-Runde vor dem Achtelfinale, wo es dann allerdings nach zwei deutlichen Siegen gegen Brest ebenfalls locker ins Achtelfinale ging.

Vertauschte Rollen in der K.o.-Phase

Ab da kamen beide Finalisten dann zunehmend in vertauschten Rollen daher. Während Paris auf seinem rein englischen Weg ins Endspiel gegen Liverpool, Aston Villa und Arsenal deutlich gradliniger auftrat, wurden Inters K.o.-Rundenspiele immer ausgefallener. Schon der Viertelfinalsieg gegen den FC Bayern mit einem Endergebnis von 4:3 nach Hin- und Rückspiel war ein torreiches Spektakel. Seit dem Halbfinale gegen Hansi Flicks FC Barcelona, bei dem ein völlig verrücktes 3:3 in Katalonien von einem noch wahnsinnigeren 4:3 nach Verlängerung im Mailänder Guiseppe-Meazza-Stadion gekrönt wurde, scheint mit diesem Inter alles möglich.

Das mag auch daran liegen, dass die Mannschaft in dieser Besetzung wohl ihre letzte Chance auf einen großen Titel wittert. Seit vier Jahren gibt Simone Inzaghi an der Seitenlinie die Richtung vor. Der Kern seines Teams hat sich seitdem kaum verändert. Italiens bester Innenverteidiger Alessandro Bastoni, die offensivstarken Außenbahnspieler Federico Dimarco und Denzel Dumfries, sowie das ballsichere Mittelfeld um Nicolò Barella und Hakan Çalhanoğlu und Stürmer Lautaro Martínez spielen alle mindestens seit der Saison 2021/22 bei Inter. Gemeinsam gewann man 2023 die Coppa Italia, scheiterte im selben Jahr im Champions-League-Finale mit 0:1 knapp an Manchester City, sicherte sich dafür aber 2024 die 20. italienische Meisterschaft. In Sachen Erfahrung und Eingespieltheit ist Inter nicht zu überbieten. Der Preis dafür sind viele Stammspieler jenseits der 35.

Paris’ neue Transferstrategie geht auf

Dass man auch mit ganz anderen Qualitäten das Finale erreichen kann, hat PSG in dieser Saison mit Nachdruck bewiesen. Eigentlich hatte Paris’ katarische Klubführung die aktuelle Spielzeit zum Übergangsjahr erklärt. Nach dem Abgang von Kylian Mbappé im vergangenen Sommer zu Real Madrid sollte Ex-Barça-Trainer Luis Enrique alle Zeit bekommen, um ein neues Team aus jungen, hungrigen Spielern zu formen. »Der Fünf-Jahres-Plan war ein Fehler, das gebe ich offen zu«, sagte PSG-Boss Nasser el-Khelaifi noch im März und meinte damit seine 2011 ausgesprochene Ankündigung, dass Paris nach der Übernahme durch den milliardenschweren Qatar Sports Investment Fond innerhalb kürzester Zeit mit einem zusammengekauften Starensemble die Champions League gewinnen werde. Stattdessen wolle man nun eine entwicklungsfähige Mannschaft aufbauen. Ausgerechnet dieses Team kann nun schon im ersten Jahr das Triple aus Meisterschaft, Pokal und Champions League holen.

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Der französische Rekordmeister gibt dafür zwar immer noch exorbitant viel Geld aus, nach dem 70 Millionen Euro teuren Wintertransfer von Khvicha Kvaratskhelia von der SSC Neapel waren es auch in dieser Saison wieder knapp 240 Millionen Euro. Doch der georgische Dribbelkünstler war mit seinen 24 Jahren der älteste neu verpflichtete Feldspieler. Genauso wie Kvaratskhelia sind auch der von Eintracht Frankfurt geholte Innenverteidiger Willian Pacho (23), Mittelfeldmotor João Neves (20) und das französische Offensivtalent Désiré Doué (19) schon in ihrer ersten PSG-Saison zu Schlüsselspielern des runderneuerten Teams geworden. Aus der Pariser Mannschaft, die 2020 gegen den FC Bayern das Endspiel um den Henkelpott mit 0:1 verlor, sind nur noch Kapitän Marquinhos und der langzeitverletzte Presnel Kimpembe übrig.

Luis Enrique greift durch

Noch beeindruckender als die personelle Erneuerung ist allerdings die taktische Neuausrichtung bei PSG. Nach dem Abschied von Messi, Neymar und Mbappé ist Paris zu einer wahren Pressingmaschine geworden. Ohne die Megastars, die über jegliche Defensivaufgaben erhaben waren, hat das Team seine Balance zwischen Kunst und harter Arbeit gefunden. Die offensive Reihe im fluiden 4-3-3-System von Luis Enrique ist inzwischen ohne Ball auch wieder die erste Verteidigungslinie. Kein Spieler steht mehr über dem Kollektiv.

Dass ihm diese Sportfloskel wirklich wichtig ist, bewies der spanische Coach im Winter, als er Ousmane Dembélé in der Ligaphase gegen Arsenal aus dem Kader strich, weil der Franzose zu spät zum Training gekommen war. Als der Ex-Dortmunder im nächsten Champions-League-Spiel gegen Bayern dann eine unnötige rote Karte sah, ließ Enrique seinen besten Offensivakteur in der französischen Liga noch zwei Partien auf der Bank schmoren. Seitdem spielt Dembélé in der Form seines Lebens. In diesem Kalenderjahr gelangen ihm wettbewerbsübergreifend schon 25 Tore. Das liegt auch daran, dass der 28-Jährige seit dem Transfer von Kvaratskhelia als falsche Neun im Sturmzentrum spielt. Von dort lässt er sich immer wieder tief ins Mittelfeld fallen, ist deswegen für die gegnerischen Verteidiger kaum zu greifen.

Inters unglaubliche Rückstand-Statistik

In München stehen Dembélé und Ko. nun aber vor der Aufgabe, überhaupt in Führung zu gehen. Denn das war gegen Inter in dieser Königsklassen-Saison bisher so gut wie unmöglich. Nur 16 Minuten lagen die Italiener in ihren 16 Duellen in Rückstand. Vier Minuten gegen Leverkusen und jeweils sechs gegen Bayern und Barcelona. Großen Anteil daran hatte der Schweizer Nationaltorhüter Yann Sommer. Der ehemalige Bayern- und Gladbach-Goalie spielt mit 36 Jahren die beste Saison seiner Karriere. »Ich bin nicht mehr der Jüngste und ich darf mit dieser Mannschaft das Champions-League-Finale spielen. Ich könnte nicht glücklicher sein«, erklärte Sommer vor dem Endspiel an seiner alten Wirkungsstätte. Doch auch Paris hat mit Gianluigi Donnarumma einen Weltklasse-Torhüter in seinem Kasten, der aktuell ebenfalls seine beste Spielzeit im PSG-Trikot absolviert.

Im Finale dürften beide Schlussmänner viel zu tun bekommen. Auch das kleinste europäische Pokalendspiel sollte dafür ein gutes Omen sein. Nach Chelseas 4:1-Sieg gegen Betis Sevilla in der Conference League am Mittwoch sollte am Samstag auch endlich die Serie reißen, in der seit 2018 immer nur ein Team im Champions-League-Finale getroffen hat. Immerhin geht es diesmal um die Frage, in welcher Modemetropole der schönste und aufregendste Fußball gespielt wird.

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