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Pflegebedürftig und alleingelassen im 10. Stock

Bericht der Pflegebeauftragten zeigt Versorgungslücken auf

Mühsam: Der Ausfall eines Fahrstuhls kann für pflegebedürfitge Menschen schwere Konsequenzen haben.
Mühsam: Der Ausfall eines Fahrstuhls kann für pflegebedürfitge Menschen schwere Konsequenzen haben.

Das Leben in Hochhäusern ist oft nicht nur günstig, sondern gerade für pflegebedürftige Menschen attraktiv, weil die Wohnungen zumeist barrierefrei sind. Doch für sie hat der Wohnort auch eine Schattenseite: »In einem Bezirk haben wir die Rückmeldung bekommen, dass Pflegedienste in einer Siedlung die Versorgung ablehnen, wenn die Person über dem fünften oder sechsten Stock wohnt«, sagt Sinja Meyer-Rötz, die Berliner Landespflegebeauftragte. Denn bei den betroffenen Häusern sei bekannt, dass es oft lange dauere, bis Probleme an den Fahrstühlen repariert werden. »Die Touren würden dann bedeuten, dass eine Pflegekraft in den zehnten Stock steigen müsste, was Zeit kostet, die nicht vergütet wird«, so Meyer-Rötz. Das Ergebnis: Immer wieder lehnten die Dienste die Aufträge ab und die betroffenen Pflegebedürftigen stehen alleine da.

Derartige Versorgungslücken werden dutzendfach im Bericht der Landesbeauftragten aufgezählt, der am Montag im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses vorgestellt wurde. »Wir reden über Lücken im System«, sagt Meyer-Rötz. 88 Personen haben sich im vergangenen Jahr an sie und ihr Team mit Anliegen und Beschwerden gewandt. »Nicht jeder Fall endet mit einer wirklichen Problemlösung«, sagt Meyer-Rötz. Die Zahl der Pflegebedürftigen in Berlin wird auf etwa 300 000 geschätzt. Tendenz steigend, denn mit dem demografischen Wandel steigt auch die Zahl älterer Menschen, die statistisch häufiger pflegefällig werden.

»Mehr Entlastung für pflegende Angehörige ist notwendig«, fasst Meyer-Rötz die wichtigste Erkenntnis ihres Berichts zusammen. »Damit rekurriere ich insbesondere auf die Absicherung der Beratungsstrukturen.« Denn etablierte Strukturen wie etwa die Pflegestützpunkte, wo pflegende Angehörige beraten werden, stünden vor großer finanzieller Unsicherheit. Jährlich müssten sie um ihre Zuwendungen fürchten – und viel Zeit in den Austausch mit Behörden stecken. Das sei »bürokratischer Wahnsinn«, so Meyer-Rötz. »Die Pflegestützpunkte sollen ihre eigentliche Arbeit tun können: Beratung von Bürgern.«

»Nur wenn man gut informiert ist, kann man auch eine kompetente Entscheidung zum Pflegesetting treffen.«

Sinja Meyer-Rötz Landespflegebeauftragte

Diese Beratung sei dringend notwendig, denn viele pflegende Angehörige fühlten sich von ihren Aufgaben überfordert. »Anträge zur Pflege sind sehr bürokratisch«, warnt Meyer-Rötz. Sie schlägt vor, dass die Senatsverwaltung einen Musterantrag veröffentlicht, an dem sich Angehörige orientieren können. Doch auch dann brauche es Beratung. »Nur wenn man gut informiert ist, kann man auch eine kompetente Entscheidung zum Pflegesetting treffen«, so Meyer-Rötz.

Vor allem eine Situation stelle Pflegende immer wieder vor unlösbare Aufgaben: Falle die Unterstützung durch pflegende Angehörige plötzlich weg, weil diese etwa selbst mit einem medizinischen Notfall konfrontiert sind, könne akut zumeist keine Versorgung für die pflegebedürftige Person gefunden werden. »Die pflegebedürftige Person wird dann häufig in die Rettungsstelle mitgenommen, weil es keine Alternative gibt«, erzählt Meyer-Rötz. Doch dort kann sie nicht adäquat versorgt werden – und fällt dem dortigen medizinischen Personal zusätzlich zur Last. Eine schwierige Situation für alle Beteiligten.

»In Hamburg gibt es eine Struktur, die zeigt, wie es gehen kann«, sagt Meyer-Rötz. Dort können sich Angehörige rund um die Uhr an ein »Pflegenottelefon« wenden. Die dortigen Mitarbeiter versuchen, die Angehörigen dabei zu unterstützen, kurzfristig eine Übergangseinrichtung für die pflegebedürftige Person zu finden. »Aus meiner Sicht ist das eine sehr sinnvolle Einrichtung«, sagt Meyer-Rötz. »Wir sollten im Haushalt Mittel vorhalten, um dafür Strukturen aufzubauen.«

Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) glaubt, dass pflegenden Angehörigen viel geholfen wäre, wenn die Antragsverfahren weniger kompliziert wären. »Wir müssen dringend eine Vereinfachung haben«, sagt sie. »Es geht nicht darum, Leistungen zu streichen, sondern es einfacher und transparenter für alle Beteiligten auszugestalten.« Das jedoch sei die Aufgabe der neuen Bundesregierung.

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