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- AfD und Social Media in China
Alice Weidel auf Xiaohongshu
Wie die AfD auf den chinesischen Social-Media-Plattformen reüssiert
Ein Video mit einer tanzenden Katze, eine Rezension über eine Gesichtscreme – und dann plötzlich Alice Weidel, in Zeitlupe, mit Filter, schiefem Lächeln und Musik. Tatsächlich stolpert man auf Xiaohongshu, einer der beliebtesten Social-Media-Plattformen in China, des Öfteren über solche Fanvideos. Die Fraktionsvorsitzende der AfD erfährt Aufmerksamkeit in den sozialen Medien des Landes – und das nicht etwa als Hass-, sondern als Kultfigur.
Weidels virale Karriere in China begann im Internet nicht über Nacht. Erste Accounts mit ihren Bundestagsreden, inklusive chinesischer Untertitel, tauchten bereits vor einigen Jahren auf. Richtig Fahrt nahm die Rezeption aber erst im Zuge des jüngsten Bundestagswahlkampfs auf. Die Erzählung ist immer dieselbe: »Starke Frau widerspricht dem Establishment«. Innerhalb der digitalen Sphäre trägt Weidel mittlerweile den Spitznamen »Eiserne Lady«, ein Verweis auf Margaret Thatcher, aber auch auf das idealisierte Bild der kühlen, entschlossenen Frau, die gegen den Strom schwimmt.
Man merkt schnell, dass es sich bei diesen Videos in erster Linie um popkulturelle Projektionen handelt. Nicht zufällig ähneln sie stilistisch den Fanvideos, die in Ostasien über Schauspieler*innen und Musiker*innen veröffentlicht werden.
Dass Alice Weidel als Projektionsfläche taugt, liegt an ihrer Biografie: Sie hat in China gelebt, spricht die Landessprache und schrieb ihre Promotion über das chinesische Rentensystem. Das macht sie bei ihren chinesischen Fans populär als »eine Deutsche, die uns versteht«. In manchen Kommentaren wird sie gar mit »Tugend« assoziiert, einem konfuzianisch geprägten Begriff für moralische Integrität und Aufrichtigkeit. Dass das gleiche Schriftzeichen im Wort Deutschland steckt, wird mitunter augenzwinkernd aufgegriffen.
Dass Weidel eine zentrale Figur der extremen Rechten in Deutschland ist, ihre Partei systematisch gegen Minderheiten hetzt und ein rechtsautoritäres Weltbild vertritt, bleibt in dieser Wahrnehmung oft ausgeblendet. Die meisten chinesischen Weidel-Fans sind keine klassischen Rechten. Viele von ihnen sind weder politisch organisiert noch ideologisch gefestigt. Es sind Einzelpersonen, die Hashtags folgen, Memes weiterleiten, Clips teilen. Doch ihr sozialer Hintergrund ist, sofern man ihre Profile zugrunde legt, durchaus aufschlussreich: Es handelt sich überwiegend um Mitglieder der urbanen Mittelschicht, mit Bildung, internationaler Mobilität und sozialer Absicherung.
In dieser Gruppe gibt es, auch in China, durchaus rechte Aktivist*innen. Für diese ist Weidel nicht bloß ein popkulturelles Symbol, sondern eine Bannerträgerin des Kulturkampfs. Diese Haltung ist bekanntlich kein spezifisch chinesisches Phänomen, sondern Teil einer digitalen Konstellation, in der sich zumeist männlich dominierte konservative und rechtsradikale Milieus über Ländergrenzen hinweg austauschen. In Foren, Telegram-Kanälen und Kommentarspalten treffen sich jene, die sich als Opposition zur vermeintlich »woken Mehrheit« verstehen. Migration, Geschlechterdebatten, Klimapolitik – all das gilt hier als aufdringlich, störend und »neumodisch«. Die Wortführer*innen sind Personen, die sich auf Elon Musk, Jordan Peterson oder eben Alice Weidel beziehen. Diese globale Rechte – ob in Deutschland, den USA, Südkorea oder China – eint weniger eine geschlossene Ideologie als eine geteilte Wahrnehmung: nämlich das Gefühl, ständig belehrt, eingeschränkt oder nicht ernst genommen zu werden.
Der Weidel-Vibe
Doch wie gelangen Repräsentant*innen der internationalen Rechten in chinesische Timelines? Der Weg führt selten über offizielle Medien, sondern eher über eine lose, digitale Infrastruktur. Dabei werden Inhalte von Youtube, X oder Telegram heruntergeladen, übersetzt, ästhetisiert und auf chinesischen Plattformen neu hochgeladen. Vom politischen Gehalt bleibt dabei wenig, vom Stil hingegen viel.
Dass Alice Weidel und die AfD im chinesischen Internet zunehmend sichtbar sind, ist per se noch kein Beweis für eine ideologische Übernahme ihrer Positionen. Vielmehr überlagern sich in der digitalen Rezeption zwei sehr unterschiedliche Strömungen: Auf der einen Seite steht die popkulturelle Inszenierung Weidels als ästhetisch gefilterte Figur und Projektionsfläche. Diese Lesart blendet Inhalte oft aus und funktioniert vor allem über Bild, Haltung und Soundtrack.
Daneben existiert jedoch auch eine politisch motivierte Rezeption: Einzelne Akteure – etwa nationalistische Kulturkämpfer*innen, tech-nahe Influencer*innen oder aus dem Ausland zurückgekehrte Chines*innen – rezipieren und verbreiten bewusst rechte Narrative aus dem Westen, adaptieren Begriffe wie »woke Ideologie« oder »Meinungsdiktatur« und übersetzen sie in den chinesischen Kontext. In dieser Sphäre ist Weidel nicht nur ein Symbol, sondern auch eine politische Figur, deren Botschaften aufgenommen und in antiliberale Debatten eingespeist werden.
Gerade weil sich beide Rezeptionsmodi in digitalen Räumen visuell kaum unterscheiden, entsteht beim Blick von außen leicht der Eindruck einer homogenen Masse. Doch was als gemeinsamer Trend erscheint, speist sich aus sehr verschiedenen Quellen.
Wer genauer hinsieht, erkennt ein differenziertes Wechselspiel, statt einer Konvergenz von autoritärem Staat und rechtspopulistischer Partei. China sieht sich als Land, das trotz – oder wegen – seines wirtschaftlichen Aufstiegs ständig vom Westen kritisiert wird. Die AfD hingegen ist eine zwar relevante, aber weitgehend machtlose Oppositionspartei, die sich als ewiges Opfer inszeniert. Zwei grundverschiedene Selbstbilder, die wenig miteinander zu tun haben und doch in der Logik digitaler Sichtbarkeit aufeinanderstoßen. Durch algorithmische Verstärkung entsteht daraus ein Missverständnis in Endlosschleife: Fan-Montagen, Untertitel, Tiktok-Soundtracks. Was ursprünglich als Abgrenzung gegenüber westlicher Kritik gedacht war, verwandelt sich durch den Algorithmus in scheinbare Nähe. Deswegen sollten wir vorsichtig sein, aus der Begeisterung für einzelne Personen oder Narrative in sozialen Medien vorschnell auf eine strategische Annäherung zwischen politischen Ideologien zu schließen.
Und so sind denn auch die chinesischen Reaktionen auf Weidel und Co. – jenseits der erwähnten Claqueure des Kulturkampfs – kein Ausdruck eines einheitlichen oder gar staatlich gesteuerten politischen Lagers. Vielmehr spiegeln sie eine digital fragmentierte, vielstimmige Gesellschaft, in der viele Nutzer*innen sich eigenständig mit globalen Themen beschäftigen.
In der Auseinandersetzung mit Figuren wie Weidel zeigt sich aber auch ein Bedürfnis nach Alternativen zum moralischen Überbau des Westens, der in vielen chinesischen Kontexten weniger als Haltung, denn als Hybris empfunden wird. Schließlich bleiben westliche, auch linke, Stimmen oft in einer moralischen Sprache und belehrend wirkenden Tonlage gefangen, und wenn sie über China sprechen, geht es vor allem um Vorhaltungen. Dies zeigt: Die Fan-Kultur rund um Weidel ist kein rein chinesisches, sondern auch ein westliches beziehungsweise deutsches Versäumnis.
Instrumentelle China-Politik der AfD
Während Weidels Popularität sich aus digitaler Ästhetik und kulturellen Projektionen speist, zeigt der Fall des AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah, wie außenpolitische Interessen und populistische Strategien ineinandergreifen können. Krah inszeniert sich seit Jahren als »chinafreundlich« und kritisiert die China-Politik der Bundesregierung. Doch inzwischen steht er selbst im Mittelpunkt schwerer Vorwürfe; es laufen sogar Ermittlungen gegen ihn wegen des Verdachts der Bestechlichkeit. Es geht um Zahlungen aus einem Umfeld, das mit Spionagetätigkeit in Verbindung gebracht wird – darunter ein Mitarbeiter aus Krahs Team, der wegen möglicher Spionage für China in Haft genommen wurde.
Diese Affäre wirft ein Schlaglicht darauf, wie einzelne AfD-Vertreter*innen versuchen, Chinas geopolitische Rolle für innenpolitische Raumgewinne zu nutzen – und dabei offenbar nicht einmal vor kriminellen Kontakten zurückschrecken. Krah geht es nicht um chinesische Politik, sondern um die Funktion, die China für den innenpolitischen Kampf der AfD einnehmen soll: als Symbol einer anderen, gegen die »wertegeleitete« Außenpolitik des Westens gerichteten Ordnung. Die Partei verfolgt keine kohärente China-Strategie, sondern bedient sich selektiv jener Motive, die sich innenpolitisch verwerten lassen. Sie versucht, sich als pragmatische Kraft zu präsentieren, und nutzt reale geopolitische Spannungen als Brennstoff für ihre populistische Agenda. Dass die AfD dabei suggeriert, Beijing sei Teil ihres eigenen kulturkämpferischen Kleingartens, ist offensichtlich von großer Überheblichkeit getragen.
Das Image der AfD als vermeintlich chinafreundliche Kraft ist also das Produkt einer lose zusammenlaufenden Medienöffentlichkeit auf beiden Seiten. Einzelpersonen, Fans, Diaspora-Stimmen, Tiktok-Videos, kommentierte Bundestagsreden: Sowohl in Deutschland als auch in der chinesischen Social-Media-Landschaft sind es lose Netzwerke und algorithmische Dynamiken, die das Bild der AfD prägen. Gerade der Mangel an Einordnung öffnet hier Raum für Deutungen: So kann die AfD sich als »vernünftige Alternative« zur Chinapolitik der Bundesregierung inszenieren, die mit erhobenem Zeigefinger auftritt, aber kaum konkrete Gesprächsangebote macht. Und in der Tat verharrt der westliche Diskurs allzu oft in einer moralischen Hybris. Doch was innenpolitisch als moralischer Kompass verkauft wird, wirkt nach außen nicht selten wie starre Verweigerung.
Wenn demokratische und progressive Politik keine Form findet, die erklärend, einladend und klar ist, verliert Glaubhaftigkeit den Resonanzboden. Wer befürchtet, die eigene Deutungshoheit zu verlieren, und deshalb jede Annäherung reflexhaft zurückweist, überlässt der AfD die Bühne. Auch die deutsche Linke hat bislang kaum außenpolitisches Vokabular entwickelt, um mit Staaten wie China differenziert ins Gespräch zu kommen, ohne reflexhaft in Freund-Feind-Schemata zu verfallen.
Vielleicht ist das die eigentliche Brücke: Nicht zwischen der AfD und China, sondern zwischen all jenen Akteur*innen, die verstehen wollen, wie globale Politik funktioniert, ohne sofort in die Falle hegemonialer Selbstbestätigung zu treten. Denn die Aufgabe linker Politik im 21. Jahrhundert lautet nicht Abgrenzung, sondern Anschlussfähigkeit ohne Anbiederung und Arroganz.
Canan Kus und Xiaolu Zhang arbeiten im Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in der chinesischen Hauptstadt Beijing
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