- Politik
- Linker Antisemitismusstreit
»Eine Armee ist eine Armee ist eine Armee«
Katharina König-Preuss erklärt warum links der Mitte hart über Israel gestritten wird – und wann sie ihre Partei verlassen würde
Frau König-Preuss, es gibt nur wenige Mitglieder Ihrer Partei, die sich schon so lange und so vehement pro-israelisch äußern wie Sie. Sie sind auch die Vorsitzende des Freundeskreis Israel im Thüringer Landtag…
… zusammen mit Andreas Bühl von der CDU.
Und deshalb, wenn Sie auf die Menschen schauen, die in Gaza durch israelischen Beschuss getötet werden, die hungern: Was macht das mit Ihnen?
Das zu sehen, ist erschreckend, richtig erschreckend. Diese Bilder machen mich traurig, wütend, aber sie machen mir vor allem Angst. Ich kenne Menschen, die hier in Thüringen leben, die 50 Angehörige im Gazastreifen verloren haben. Aus einer solchen Situation kann natürlich auch Hass entstehen.
Hass auf Israel?
Ja, Hass auf Israel. Und das macht mir Angst, weil es diesen Hass teils auch bei Israelis gibt – massiv verstärkt durch den 7. Oktober. Das kann auf beiden Seiten – bei den Palästinensern wie den Israelis – das Gefühl nähren, dass es außer Gewalt nichts gibt zwischen ihnen. Manchmal ist das alles so schlimm, dass mir da auch die Worte fehlen, um das noch irgendwie zu beschreiben. Ich habe einen sehr guten Freund in Israel, mit dem habe ich kurz nach dem Hamas-Terror vom 7. Oktober telefoniert. Der hat mir damals zwei Dinge gesagt: Erstens, dass er sich jetzt freiwillig zur israelischen Armee meldet. Zweitens, und diesen Satz werde ich nie vergessen: »Katharina, mach’ Dir nicht nur Sorgen um uns, mach’ Dir auch Sorgen um die Palästinenser, um das, was jetzt bald im Gazastreifen passieren wird!« Das aus dem Mund eines eher linken Israelis, der schon damals ahnte, wie hart dieser Gegenschlag der Israelis werden würde … Das war richtig krass. Ein bisschen Hoffnung macht mir dann zu sehen, wie viele Menschen in Israel für die Rückkehr der Geiseln und gegen den Krieg auf die Straßen gehen. Und dass es auch in Gaza Proteste gegen den Krieg und gegen die Hamas gibt.
Katharina König-Preuss lebt in Jena, ist seit 2009 Abgeordnete der Linken im Thüringer Landtag, Antifaschistin und Aufklärerin im NSU-Komplex. Bekannt ist die 47-Jährige als vehemente pro-israelische Stimme in der Linkspartei.
Aber warum hat dann Ihre Unterstützung für Israel in den vergangenen Monaten nicht nachgelassen? Inzwischen ist doch zum Beispiel unübersehbar, dass sich auch manche israelische Soldaten auf eine Weise verhalten, die die angeblich moralischste Armee der Welt nie dulden wollte.
Also ich habe nie geglaubt, dass die IDF…
… die Israeli Defense Forces, also die israelischen Streitkräfte…
… die moralisch perfekteste Armee der Welt ist. Die machen manche Dinge besser als andere Armeen, keine Frage. Aber eine Armee ist eine Armee ist eine Armee. Auch dort passieren aus Hass, aus Wut, aus Rachegelüsten Dinge, die absolut falsch sind. Aber dass das so ist, heißt doch nicht, dass meine Überzeugung, für Israel einzustehen, darunter leiden muss.
Warum nicht?
Mein entschiedenes Eintreten für Israel hat nichts mit der Art zu tun, wie Israel Krieg führt oder mit der IDF. Ich bin einfach zutiefst davon überzeugt, dass Israel notwendig ist, als Heimstätte und sicherer Ort für Juden und Jüdinnen, egal in welcher religiösen Ausprägung. Dazu kommt bei mir persönlich noch hinzu, dass ich eineinhalb Jahre in Israel gelebt habe und mich auch deshalb diesem wunderschönen Land so verbunden fühle.
Ihnen wird regelmäßig vorgeworfen, blind für das Leid der Palästinenser zu sein.
Ich bin nicht blind für das Leid der Palästinenser. Ich sehe doch die Zerstörung, die Trauer und Verzweiflung. Mein Patenkind lebt in der Westbank, Freunde in den palästinensischen Gebieten – auch von ihnen höre ich, was passiert. Aber ich weigere mich, daraus eine einfache Lagerlogik zu machen. Solidarität mit Israel und Empathie mit Palästinensern und Palästinenserinnen schließen sich nicht aus. Man kann doch das Leid auf beiden Seiten sehen. Ich glaube, die Leute, die mir das vorwerfen, wollen oft gar nicht zuhören, sondern mich in eine Ecke stellen.
Wo verläuft denn aus Ihrer Sicht die Grenze zwischen legitimer Kritik am Staat Israel und Antisemitismus?
Aus meiner Sicht kann und darf man Israel genauso kritisieren wie jeden anderen Staat auch. Antisemitisch wird es dann, wenn jemand das Existenzrecht Israels infrage stellt oder an Israel Standards anlegt, die an andere Staaten nicht angelegt werden oder das, was der Staat Israel oder die Regierung von Benjamin Netanjahu tun, pauschal mit dem gleichsetzt, was Jüdinnen und Juden angeblich tun. Sie sehen: Das ist ganz einfach. Für mich stellt sich eher die Frage, warum so viele Menschen es nicht schaffen, diese Grenze zu ziehen.
Wie meinen Sie das?
Zum Beispiel der Genozid-Vorwurf – der steht ja gerade ziemlich massiv im Raum. Und ich finde das ehrlich gesagt schwierig. Weil: Das ist juristisch ein wahnsinnig harter Begriff. Da geht’s nicht nur um Gewalt oder Kriegsverbrechen, sondern um eine gezielte Vernichtungsabsicht – und die ist, bei allem, was an Israels Vorgehen berechtigterweise kritisiert wird, bisher einfach nicht belegt.
Auch jüdische Genozid-Forscher wie Omer Bartov haben Dinge benannt, die aus ihrer Sicht die bisherigen Ermittlungsergebnisse des Internationalen Strafgerichtshofs und den Genozid-Vorwurf erhärten. Und dann ist da noch die Ankündigung der israelischen Regierung, alle Bewohner Gazas in einem Camp in Rafah zu »konzentrieren« und »umzusiedeln«. So etwas lässt sich doch nicht ignorieren…
Wieso wird mir denn Ignoranz vorgeworfen, weil ich nicht von »Genozid« spreche und für eine differenzierte Debatte eintrete?
Womit Sie implizieren, dass all diese Debatten aus antisemitischen Motiven geführt werden...
Der Verdacht liegt zumindest öfter nahe. Gerade dann, wenn Israel nicht kritisiert, sondern dämonisiert wird. Da frage ich mich schon: Geht es noch um Empörung über das, was in Gaza passiert oder nicht eher um Projektion? Vor allem in Deutschland müssen wir da aufpassen. Antisemitische Übergriffe steigen enorm. Rassismus nimmt zu. Und ich will noch auf eine ganz praktische Sache verweisen, die mir in der deutschen und europäischen Debatte oft untergeht: Ja, natürlich muss dieser Krieg enden. Und dann: Wie geht es weiter? Was soll Israel machen? Das Land, dem viele seiner Nachbarn seit seiner Gründung mit der Vernichtung drohen und das aus der Erfahrung von Vernichtung heraus entstanden ist, aus der Asche von Auschwitz. Welche Optionen, sein Überleben zu sichern, hat dieses Land? Einige der Diskussionen, die hier in Deutschland über Israel geführt werden, sind mir zu losgelöst. Wenn ich im Bunker sitze, weil Raketen auf mich abgeschossen werden, sind meine Möglichkeiten, mich über das Völkerrecht zu unterhalten, doch begrenzt.
Die Debatten, auf die Sie verweisen, gibt es seit Jahrzehnten. Aber sie werden aktuell nirgends so kontrovers diskutiert wie in der politischen Linken. Auf einem Bundesparteitag hat sich eine knappe Mehrheit der Delegierten hinter die Jerusalemer Erklärung gestellt. Warum ist das ausgerechnet für Linke so ein kontroverses Thema?
Die Entscheidung war ein Fehler, ein sehr großer Fehler. Das wird schon klar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass hier quasi per Parteitagsbeschluss in eine wissenschaftliche Debatte eingegriffen wurde. Ich meine, Leute!, Parteitage beschließen doch keine wissenschaftlichen Definitionen – ganz abgesehen davon, dass sich die Partei damit darüber hinweggesetzt hat, wie die meisten Jüdinnen und Juden Antisemitismus verstehen. Die Mehrheit vertritt die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance. Dass ausgerechnet die Linke – die immer für sich in Anspruch nimmt, die Perspektive der Betroffenen zu berücksichtigen – es gewagt hat, sich über deren Köpfe hinweg auf eine Definition von Antisemitismus festzulegen, geht nicht. Man stelle sich mal vor, die Linke hätte sich zu einer Definition von Rassismus bekannt, ohne von Rassismus Betroffene dabei einzubeziehen…
Es gibt auch jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Jerusalemer Erklärung unterzeichnet haben. Mit welchen Jüdinnen und Juden hätte es also mehr Absprachen geben müssen?
Ich bezweifle, dass beispielsweise mit dem Zentralrat der Juden oder auch mit jüdischen Gemeinden vorab dazu gesprochen wurde. Ich hatte es schon gesagt: Die Mehrheit der Jüdinnen und Juden hält die IHRA für die richtige. Und mit diesen Menschen ist eben vor dem Parteitagsbeschluss nicht ausreichend gesprochen worden.
Wenn man Sie so reden hört, kann man Zweifel daran gewinnen, dass Die Linke noch Ihre Partei ist.
Ganz ehrlich: Ich frage mich gerade sehr intensiv, wo ich politisch noch zu Hause bin. Ich diskutiere sehr gerne mit Leuten, die eine andere Position haben als ich. Aber ich habe Grenzen. Und eine dieser Grenze ist erreicht, wenn die Perspektiven von Juden und Jüdinnen nicht ernst genommen oder weggewischt werden. Dass ich diese Grenze ziehe, schließt aber überhaupt nicht aus, dass ich die Perspektiven von Palästinensern und Palästinenserinnen wahrnehme. Im Gegenteil. Aber dieses Schwarz-Weiß-Denken auf allen Seiten, das geht mir so auf den Zeiger. Das steckt mir zu wenig politische Analyse drin, auch zu wenig historisches Wissen, dafür viel zu viel Wischerei über Tiktok-Videos, durch die so viele Leute gerade glauben, innerhalb kürzester Zeit zu Nahost-Experten geworden zu sein.
Helfen die vielen Neueintritte in die Linke bei diesem innerparteilichen Streit?
Es wird auch jeden Fall eine Herausforderung mit den vielen Neumitgliedern eine klare Positionierung zu finden, egal welche, das war ja schon in der Vergangenheit so. Aber ich finde, es ist ganz wichtig, dass wir dabei ganz klar machen, dass wir als linke Partei natürlich an der Seite von Juden und Jüdinnen und damit auch für ihren Staat einstehen. Alles andere würde bedeuten, Erklärungen zum Antisemitismus als Feigenblatt vor sich herzutragen.
Das wäre dann nicht mehr Ihre Partei?
Nein, das wäre dann nicht mehr meine Partei.
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