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EU-Wasserstrategie: Kampf ums kühle Nass
EU-Kommission stellt neue Wasserstrategie vor. Im Fokus stehen wirtschaftliche Interessen
Wasser ist ein entscheidender Wirtschaftsfaktor geworden. Neben dem privaten Verbrauch treibt vor allem der Bedarf von Datenzentren, Kraftwerken, Batterie-, Halbleiter- und Automobilfabriken die Nachfrage nach der lebenswichtigen Ressource. Auch die Landwirtschaft, die in der EU etwa 59 Prozent des Wassers verbraucht, spielt eine große Rolle.
Um die Versorgung der knapper werdenden Ressource trotzdem zu sichern, stellt die Europäische Kommission an diesem Mittwoch eine neue Wasser-Resilienz-Strategie vor. »Raubbau, Missmanagement, Verschmutzung sowie Klimawandel und Umweltzerstörung haben den Wasserkreislauf stark beeinträchtigt«, lautet die Diagnose aus Brüssel. Verschiedene Maßnahmen wie neue landwirtschaftliche Methoden sollen die Nachfrage senken, aber auch die Wasserwirtschaft fördern, damit sie für private Investoren attraktiver wird, was auch die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärken soll. Ursprünglich sollte die Wasserstrategie bereits im vergangenen Jahr vorgestellt werden, wurde aber wegen Protesten aus der Landwirtschaft verschoben.
Der Investitionsbedarf in die Wasserinfrastruktur, etwa für Aufbereitungsanlagen und Leitungsnetze, ist groß. Die Kommission schätzt die aktuelle Lücke auf rund 23 Milliarden Euro pro Jahr. Besonders Länder wie Italien, Frankreich und Portugal, wo Leckagen zu Wasserverlusten bis zu 57 Prozent führen, sind betroffen. Auch in Deutschland sind in den kommenden Jahrzehnten erhebliche Investitionen in die Infrastruktur nötig, wie der Verband Kommunaler Unternehmen betont.
Die EU-Kommission plant, Gelder aus ihrem Haushalt bereitzustellen und die Wasser-Strategie im mehrjährigen Finanzrahmen zu verankern, der ab dem Jahr 2027 gelten soll. Zudem sind Förderprojekte aus Mitteln der Europäischen Investitionsbank vorgesehen. Ziel ist eine bezahlbare Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Derzeit haben vier Prozent der EU-Bevölkerung keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser – das sind knapp 18 Millionen Menschen. 2022 waren 41 Prozent von Wasserknappheit betroffen, elf Prozent mehr als zwei Jahrzehnte davor, wie aus Zahlen der EU-Umweltbehörde hervorgeht.
»Die anhaltende Wasserverschmutzung durch Landwirtschaft und Industrie erfordert strengere Vorsorgemaßnahmen und konsequente Verursacherhaftung.«
Iris Strutzmann Arbeiterkammer Wien
Ein zentrales Problem ist die Belastung des Grund- und Trinkwassers mit sogenannten Ewigkeitschemikalien wie PFAS. Diese extrem langlebigen Stoffe, die in vielen Alltagsgegenständen eingesetzt werden und als gesundheitsgefährdend gelten, verschmutzen zunehmend die Umwelt. Auch die Wasseraufbereitung wird dadurch für die meist kommunalen Wasserwerke immer teurer. Umweltverbände hatten gehofft, dass die Wasserstrategie zum Anlass genommen wird, um endlich ernstzumachen mit einem weitgehenden Verbot der Herstellung und des Einsatzes von PFAS. Darüber wird in der EU seit Jahren diskutiert, doch die Lobby der Chemieindustrie hat das Vorhaben, mit dem Europa zum weltweiten Vorreiter werden könnte, bisher erfolgreich blockiert. Auch in der Wasserstrategie werde »der PFAS-Verbotsvorschlag nicht weiter thematisiert«, kritisiert das Verbändebündnis Deutscher Naturschutzring.
Immerhin sind ab 2026 Wasserversorger verpflichtet, regelmäßig zu testen und die Substanzen zu entfernen. Die Kommission sollte die Kosten dafür nach dem Verursacherprinzip regeln, denn ansonsten trügen diese die Wasserversorger und damit letztendlich die Konsument*innen, fordert Iris Strutzmann, Klima- und Umweltreferentin der Arbeiterkammer Wien, gegenüber »nd«. Gemeinsam mit der Europäischen Dienstleistungsgewerkschaft EPSU hat sie eine Stellungnahme zur neuen EU-Strategie erarbeitet.
Ein ähnlicher Ansatz findet sich bereits in der EU-Abwasserrichtlinie von vergangenem Jahr. Dort wurde für die Finanzierung der vierten Reinigungsstufe eine erweiterte Herstellerverantwortung beschlossen. Das bedeutet, dass die Verursacher den Großteil der Kosten zahlen. Ob dies in der Form umgesetzt wird, ist allerdings offen. Denn Unternehmen der Chemie- und Arzneimittelindustrie laufen dagegen Sturm. Und der polnische Staat hat beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen die Herstellerverantwortung erhoben.
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Dass die EU-Kommission laut Wasserstrategie auf öffentlich-private Partnerschaften (PPP) setzen will, wenn kein Verantwortlicher für die Verschmutzung ausgemacht wird, ist umstritten. Kritiker*innen befürchten eine Vergemeinschaftung der Kosten durch die Hintertür. »Die anhaltende Wasserverschmutzung durch Landwirtschaft und Industrie erfordert strengere Vorsorgemaßnahmen und konsequente Verursacherhaftung«, betont Expertin Strutzmann.
Angesichts des Klimawandels und drohender Wasserkrisen fordern Gewerkschaften zudem eine stärkere Kontrolle über die Wasserinfrastruktur. »Öffentliche Wasserversorger können auf Krisen reagieren, ohne Marktmechanismen und Gewinninteressen privater Investoren zu unterliegen«, sagt EPSU-Generalsekretär Jan Willem Goudriaan. Das sieht das Kommissionsvorhaben jedoch nicht vor.
Und auch, dass zunehmende Wasserkonflikte im Strategiepapier zwar angesprochen, aber nicht geregelt werden, stößt auf Kritik. »Wir fordern Vorrang für die Trinkwasserversorgung vor allen anderen Nutzungen«, sagt Strutzmann von der Arbeiterkammer. Auf eine Anfrage zu der Kritik wollte die EU-Kommission bis Redaktionsschluss nicht reagieren. Immerhin sei das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit gestrichen worden, lobt Strutzmann.
Der Vorschlag der EU-Kommission soll indes keinen Gesetzescharakter haben. Dass dabei die meisten Regeln auf Freiwilligkeit beruhen, kritisiert auch Jutta Paulus, grüne EU-Parlamentsabgeordnete. »Angesichts der Dringlichkeit der Wasserkrise wird die Strategie kaum Wirkung zeigen«, meint sie.
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