Handlungsbedarf beim Hitzeschutz

Mehr Prävention ist nötig, aber noch nicht systematisch und flächendeckend geplant

Auch öffentliche Trinkwasserbrunnen wie hier auf dem Neumarkt in Dresden sind bei höheren Temperaturen für viele Menschen hilfreich.
Auch öffentliche Trinkwasserbrunnen wie hier auf dem Neumarkt in Dresden sind bei höheren Temperaturen für viele Menschen hilfreich.

Die Wahrnehmung von hohen Temperaturen ist sicher je nach Typ unterschiedlich. Fällt ein Hitzeaktionstag nun genau in einen Zeitraum mit eher gemischten, teils sogar frischen Temperaturen, ist die Aufmerksamkeit für das Thema geringer – und sogar die Glaubwürdigkeit von Maßnahmen gegen Hitzefolgen kann leiden. So zeigte sich in einer neuen Umfrage, die jetzt vom AOK-Bundesverband veröffentlicht wurde, dass nur ein Drittel der Bevölkerung die zunehmende Hitze und andauernde Hitzewellen für besorgniserregend hält. Knapp 20 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass die zurzeit in der Politik für die Zukunft beschlossenen Hitzeschutzmaßnahmen »stark übertrieben« seien. Mehr als zwei Drittel der Befragten befürworten jedoch laut dieser Befragung Investitionen für einen besseren Hitzeschutz in städtischen Gebieten.

Derartige Maßnahmen könnten aus verschiedenen Gründen durchaus sinnvoll sein. Einige Argumente liefert des Umweltbundesamt (UBA) jetzt mit einer Studie zur hitzebedingten Sterblichkeit. Forschende vom Robert-Koch-Institut und UBA hatten dafür die Berechnung der durch Hitze verursachten Todesfälle präzisiert. Demnach gab es in den Sommern 2023 und 2024 jeweils 3000 dieser Todesfälle in Deutschland. Betroffen waren vor allem Menschen über 75 Jahre mit Vorerkrankungen wie Demenz, Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen.

Zu den neuen Erkenntnissen gehört, dass schon einzelne heiße Tage eine Hitzebelastung darstellen können – nämlich dann, wenn nächtliche Abkühlung ausbleibt. In Temperaturwerten heißt das, dass an solchen Tagen (also jeweils für 24 Stunden) die mittlere Temperatur über 20 Grad Celsius liegt. Folgen mehrere solcher Tage aufeinander, steigt die Sterblichkeit weiter und erreicht nach drei bis vier Tagen ein gleichbleibend hohes Niveau.

Gefährdet sind aber nicht alle Menschen gleichermaßen. Zum einen hängt das von konkreten Möglichkeiten des Hitzeschutzes ab: Ist es möglich, kühle Räume aufzusuchen, oder muss im Freien gearbeitet werden oder in Räumen, bei denen Maschinen oder Öfen noch zusätzliche Wärme erzeugen? Stehen dann Getränke zur Verfügung? Wie sind die Pausen abhängig von der Temperatur geregelt? Andererseits sind die physischen Voraussetzungen jedes Einzelnen unterschiedlich. Bestimmte Altersgruppen haben ein höheres Risiko für Kreislaufversagen, Hitzekrämpfe oder gar einen lebensgefährlichen Hitzschlag – und zwar auch dann, wenn sie ansonsten gesund sind. Das betrifft zum Beispiel Kinder, Schwangere und ältere Menschen. Durch Krankheiten werden die Gefahren höherer Temperaturen verstärkt.

Besonders im Fokus von Hitzeschutzmaßnahmen sind aktuell ältere Menschen, zumal sie häufiger als die anderen genannten Gruppen an Krankheiten leiden. Im Alter lässt das Durstgefühl immer mehr nach, und die rationale Steuerung der Trinkmenge fällt etwa Menschen mit Demenz schwer. Auch die Temperaturregulation des Körpers funktioniert schlechter. Hinzu kommt die Wirkung von Medikamenten, etwa zur Blutdrucksenkung. Sie können bei Hitze, wenn sich die Blutgefäße weiten, schnell überdosiert sein – mit dem Risiko von Schwindel- und Ohnmachtsanfällen.

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Viele Pflegebedürftige können nicht mehr selbstständig für Abkühlung sorgen. Eigentlich müssten Betreuung und Versorgung an Hitzetagen verstärkt werden. In ihren Wohnungen allein lebende und rüstige Ältere fallen aber aus jeglicher systematischer Sorge heraus. Bislang sind Nachbarn und Verwandte in solchen Situationen zu besonderer Aufmerksamkeit aufgerufen.

Dringend nötig wären bauliche Hitzeschutz-Standards für Pflegeheime und Krankenhäuser. Den Einrichtungen fehlen häufig, selbst bei Neubauten, ein außenliegender Sonnenschutz oder effektive Lüftungskonzepte. Bundesweite Standards hierfür gibt es nicht, modernisiert werden müssten schon die Landesbauverordnungen, wie es etwa der Biva-Pflegeschutzbund fordert. Nötig wären gezielte Förderprogramme der Länder zur Nachrüstung von bestehenden Kliniken und Heimen. Auch Stadtumbau mit kühlen, öffentlich zugänglichen Orten, darunter mit Grünflächen, gehört zum Hitzeschutz für alle.

Weiterer Handlungsbedarf für Ärzte, Pflegepersonal und Menschen mit Medikamentenbedarf besteht darin, die Dosis von Entwässerungsmitteln, Blutdrucksenkern, Schlaf- und Abführmitteln anzupassen. Sie alle beeinflussen den Flüssigkeitshaushalt und Abkühlmechanismen des Körpers. Auch durch zu warme Lagerung von Medikamenten könnten diese unbrauchbar werden, warnt etwa die Bundesapothekerkammer. Bei Asthmasprays ändere sich zum Beispiel die Dosiergenauigkeit, wenn sie in der direkten Sonne gelagert werden.

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