Sichere Herkunftsländer per Ordre de Mufti

Bundesregierung will bei Einstufung von Staaten als ungefährlich künftig offenbar den Bundesrat umgehen

Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat ermöglicht es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylgesuche von Menschen aus solchen Ländern zügig abzuweisen.
Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat ermöglicht es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylgesuche von Menschen aus solchen Ländern zügig abzuweisen.

Das Konzept der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten dient seit Langem dazu, Asylverfahren zu verkürzen. Bislang muss der Bundestag über die entsprechende Einstufung von Ländern entscheiden, und der Bundesrat muss zustimmen. Denn die Maßnahme betrifft das im Grundgesetz festgelegte Grundrecht auf Asyl. Laut Artikel 16a Absatz 3 dürfen Länder nur mit Zustimmung der Länderkammer durch ein Gesetz als sicher »bestimmt« werden. Es muss demnach »gewährleistet erscheinen«, dass dort »weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet«.

Das Ziel solcher Festlegungen seit jeher: die Chancen von Menschen auf Anerkennung als schutzbedürftig zu minimieren. In der Vergangenheit haben auch Grüne und SPD bereits solchen pauschalen Einstufungen zugestimmt, zuletzt im November 2023. Damals beschlossen die Parteien der Ampel-Koalition ein Gesetz, mit dem Moldau und Georgien für sicher erklärt wurden. Nur Die Linke stimmte seinerzeit dagegen.

Nun plant Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) offenbar, auch das Verfahren zur Einstufung zu verkürzen. Laut Medienberichten könnte das schwarz-rote Kabinett seinen Gesetzentwurf schon diesen Mittwoch beschließen. Dieser sieht demnach vor, dass die Regierung Staaten künftig einfach per Verordnung für sicher erklären kann. Den Bundesrat will man laut Entwurf umgehen, indem die Einstufung von Ländern nur noch mit Bezug auf die sogenannte EU-Asylverfahrensrichtlinie erfolgt und nicht mehr mit Bezug auf das Grundgesetz. Damit wären die Verordnungen nicht mehr in der Länderkammer zustimmungspflichtig.

»In der Praxis bedeuten sichere Herkunftsstaaten weniger gründliche Verfahren, eingeschränkten Rechtsschutz, Arbeitsverbote und Lagerunterbringung – unabhängig vom Einzelfall.«

Clara Bünger Bundestagsabgeordnete (Die Linke)

Bereits im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist zu lesen, man wolle die Ausweisung von Ländern als sicher »durch Rechtsverordnung der Bundesregierung ermöglichen«. Als nächste Staaten, die auf die Liste gesetzt werden sollen, werden dort Algerien, Marokko und Tunesien genannt.

Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) bestätigte gegenüber dem »Tagesspiegel« das Vorhaben. »Um in Zukunft die Migration zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen, können diese Verordnungen ein wichtiger Baustein sein«, sagte er dem Blatt. Sie könnten dazu beitragen, »Rückführungen für Menschen ohne Bleibeperspektive« zu beschleunigen.

Bislang ist die Einstufung von Staaten als sicher mehrfach im Bundesrat gescheitert, vor allem durch die Enthaltung von Ländern, in denen die Grünen an der Regierung beteiligt waren. Entsprechend kam aus den Reihen der Grünen scharfe Kritik an dem Plan der Union. Die Maßnahme sei »für die Bewältigung realer Herausforderungen weitgehend wirkungslos, soll aber Härte und Konsequenz signalisieren«, sagte Grünen-Chef Felix Banaszak. Er nannte das Vorhaben ein »Schauspiel zur Befriedung der Unionswähler«.

Tatsächlich würde die Einstufung der Maghreb-Staaten als sicher wie zuvor die anderer Länder die Zahl der Abschiebungen und abgelehnten Asylanträge nur unwesentlich erhöhen, denn es gibt von Bürgern aus diesen nur wenige Gesuche. So lag die Anerkennungsquote bei Antragstellenden aus Georgien und der Republik Moldau schon im Jahr 2022 laut Bundesregierung bei jeweils nur 0,1 Prozent.

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Für die Linke-Politikerin Clara Bünger ist klar, dass die Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten per Verordnung »politischer Willkür Tür und Tor öffnet«. Der Gesetzentwurf von CDU und CSU zeige »klar ihr Ziel: Ein Asylrecht zweiter Klasse zu schaffen und Menschen schnellstmöglich abzuschieben – ganz unabhängig davon, wie sicher die Herkunftsländer tatsächlich sind«, sagte die Bundestagsabgeordnete. In der Praxis bedeute die Einstufung von Herkunftsstaaten als sicher »weniger gründliche Verfahren, eingeschränkten Rechtsschutz, Arbeitsverbote und Lagerunterbringung – unabhängig vom Einzelfall«. Länder wie Georgien blieben »trotz offener Menschenrechtsverletzungen, etwa gegenüber LGBTIQ-Personen, auf der Liste«.

Bünger kritisierte zudem den ausbleibenden Widerspruch aus der SPD. Einst habe die sich die Menschenrechte »auf die Fahne geschrieben«, heute unterscheide sie sich »kaum noch von der immer weiter nach rechts driftenden Union« und mache sich so zum Erfüllungsgehilfen einer Politik, die »Grundrechte aushebelt«.

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