Verfassungsschutz gut, Kontrolle besser

Brandenburgs Innenminister wünscht sich für den Geheimdienst ein System von »Checks und Balance«

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Polizisten überwachen den Grenzverkehr an der Stadtbrücke von Frankfurt (Oder).
Polizisten überwachen den Grenzverkehr an der Stadtbrücke von Frankfurt (Oder).

Wann Brandenburgs Verfassungsschutz einen neuen Chef bekommt? Der neue Innenminister René Wilke (für SPD) beantwortet diese Frage am Mittwoch im Landtag mit einem Wort: »Bald.« Er lehnt sich zurück und schmunzelt. Mehr wird er dazu nicht sagen, weitere Fragen wären zwecklos.

Auch bis zur Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts 2024 soll es nun nicht mehr lange dauern. Der Bericht liegt fertig vor und hätte längst präsentiert werden sollen. Doch das verzögerte sich, weil die alte Innenministerin Katrin Lange (SPD) erst den alten Verfassungsschutzchef Jörg Müller abgesetzt hatte und dann zurückgetreten war. Die beiden hatten Differenzen wegen der Hochstufung der AfD vom Verdachtsfall in die Kategorie gesichert rechtsextremistisch. Ende Mai gab der Verfassungsschutz dann eine sogenannte Stillhalteerklärung ab. Damit gilt der AfD-Landesverband bis zu einer ausstehenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts Potsdam wieder maximal als Verdachtsfall.

Unter den früheren Innenministern Karl-Heinz Schröter (SPD), Michael Stübgen (CDU) und Katrin Lange (SPD) ergingen nach Angaben von René Wilke drei verschiedene Dienstanweisungen, wie Einstufungen verfassungsfeindlicher Bestrebungen erfolgen sollen. Minister Stübgen hatte dem von ihm eingesetzten Verfassungsschutzchef Müller freie Hand gegeben. Katrin Lange wollte als Ministerin das letzte Wort haben. So kannte sie es aus ihrer Zeit als Staatssekretärin von Innenminister Schröter.

Nun ist der neue Innenminister René Wilke erst zweieinhalb Wochen im Amt und bittet am Montag im Innenausschuss des Landtags um Verständnis, dass er sich noch keine abschließende Meinung gebildet hat. Ihm scheine aber, dass die Dienstanweisung von Karl-Heinz Schröter am ehesten dem brandenburgischen Verfassungsschutzgesetz von 1991/92 entspreche. Da heiße es nämlich in Paragraf 1, Absatz 2: »Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die Landesregierung und andere zuständige Stellen über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder. Dadurch soll es ihnen insbesondere ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen.« Das bedeute, der Geheimdienst solle nicht selbst Maßnahmen ergreifen. Seine Selbstständigkeit sei per Gesetz eingeschränkt. Gegebenenfalls müsse der Landtag das Verfassungsschutzgesetz noch einmal »anfassen«, meint Wilke. Es sei ohnehin nicht mehr auf dem Stand der Zeit.

Ob der Brandenburger Verfassungsschutz eine Abteilung des Innenministeriums bleiben soll wie es auch in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und anderen Bundesländern der Fall ist, oder ob der Geheimdienst besser ein eigenes Landesamt wäre wie beispielsweise im Freistaat Bayern – auch darüber ist sich Wilke noch nicht klar. Für beide Varianten gebe es gute Argumente. Er denkt aber, der Verfassungsschutz sollte in ein System von »Checks und Balance« eingebunden sein. Ein Korrektiv sei immer notwendig, weil es absolute Objektivität und Wahrheit nicht gebe. Deshalb werde ja die Regierung durch das Parlament kontrolliert, der Abgeordnete durch den Wähler, der dem Politiker am Wahltag notfalls »in den Hintern« trete.

Der Landtagsabgeordnete Erik Stohn (SPD) begrüßt Wilkes Ansatz, keine »Schnellschüsse« zu machen. Nichts übereilen und die Entwicklung abwarten will der Innenminister auch, was die möglicherweise unzulässige oder dann vielleicht doch noch erlaubte Zurückweisung von Flüchtlingen an den Grenzen betrifft. Davon hänge ab, ob und in welchem Maße Brandenburg Ausreisezentren oder eine Abschiebehaftanstalt brauche. Die Erstaufnahme für Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt ist gegenwärtig nur zu 37,5 Prozent belegt. Denn es kommen deutlich weniger Geflüchtete, seit es die an den EU-Binnengrenzen eigentlich abgeschafften Grenzkontrollen in der Bundesrepublik wieder gibt.

Er habe sich nie prinzipiell gegen Grenzkontrollen ausgesprochen, sondern früher als Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) lediglich auf die damit einhergehenden Probleme aufmerksam gemacht, versichert Wilke. Aus der Nachbarstadt Słubice und anderen Teilen Westpolens pendeln täglich Ärzte, Krankenschwestern, Handwerker und andere zur Arbeit nach Brandenburg und Berlin. Die mit den Grenzkontrollen entstehenden Staus an der Stadtbrücke oder auf der Autobahn sind für sie eine große Belastung.

Ob eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin über die Zurückweisung von drei Somaliern nur diese Einzelfälle betrifft, wie der AfD-Abgeordnete Wilko Möller (AfD) behauptet, oder doch generelle Bedeutung hat, wie Minister Wilke glaubt? »Haben Sie das Urteil gelesen?« Das möchte Wilke von Möller wissen und braucht gar keine Antwort. Denn: »Da reicht mir ein Blick in ihr Gesicht!« Möller gibt zu: »Nein.« Nach Ansicht von René Wilke ist die Gerichtsentscheidung eine »Klatsche« für das Bundesinnenministerium. Er möchte dennoch abwarten, wie sich die Lage weiterentwickelt.

Das unterstützt BSW-Fraktionschef Niels-Olaf Lüders. »Auch ich habe natürlich meine Meinung dazu«, gesteht Lüders. »Rechtssichere Grenzzurückweisungen« wären ihm »natürlich« das Liebste. Aber um »Wünsche« gehe es hier nicht. Brandenburg müsse mit dem geltenden rechtlichen Rahmen umgehen.

In einer Sache sorgt Wilke schon für Klarheit. Die bei Küstrin-Kietz in der Oder erst geplante und dann abgesagte Abschiebeinsel bleibt eine fixe Idee. »Ich habe das von außen verfolgt. Ich habe es mir noch nicht angeschaut«, sagt Wilke. »Aber wenn ich das noch mal revidieren wollte, würde das die Leute kirre machen.« Die Einwohner lehnten das auf engstem Raum vorgesehene Containerdorf einhellig ab: Einige wenige, weil den Flüchtlingen die miserablen Lebensbedingungen dort nicht zuzumuten wären, viele andere, weil sie keine Flüchtlinge im Ort haben wollten.

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