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Einzelhaft in Ungarn: Maja T. tritt in Hungerstreik
Antifaschist*in wirft ungarischer Justiz menschenunwürdige Haftbedingungen vor
Aus Protest gegen die Haftbedingungen in Ungarn hat Maja T. angekündigt, sofort in den Hungerstreik zu treten. Eigentlich hätte ein Budapester Gericht am Mittwoch, dem zweiten Prozesstag, über einen Antrag auf Hausarrest entscheiden sollen – doch die Entscheidung wurde auf den 20. Juni vertagt. Als Reaktion darauf schreibt T., die Situation sei nicht mehr tragbar: Seit fast einem Jahr werde T. in »menschenunwürdiger Langzeit-Einzelhaft« festgehalten.
Drei Monate lang sei die Zelle der nichtbinären Person videoüberwacht worden. Über sieben Monate hinweg sei T. außerhalb der Zelle permanent gefesselt gewesen – selbst bei Besuchen, Arztterminen oder Telefongesprächen. Nachts fänden stündliche Kontrollen statt, bei denen jedes Mal das Licht angeschaltet würde. Besuche fänden durch Trennscheiben statt. Intimkontrollen seien an der Tagesordnung. Zudem sei die Zelle von Kakerlaken und Bettwanzen befallen, das Essen mangelhaft, frische Luft kaum vorhanden.
Hinzu komme die psychische Zermürbung durch Langzeit-Einzelhaft. Fast ein halbes Jahr lang habe Maja T. keinerlei Kontakt zu Mitgefangenen gehabt. Auch heute verbringe die Antifaschist*in mehr als 23 Stunden täglich allein. Laut den Nelson-Mandela-Regeln der Vereinten Nationen gilt diese Form der Isolation bereits nach 15 Tagen als unmenschliche Behandlung – als Folter. T. schreibt: »Ich bin lebendig in einer Gefängniszelle begraben.«
Nun also der Hungerstreik als Notbremse. In der Erklärung betont T., unter diesen Bedingungen nicht länger auf Entscheidungen einer Justiz warten zu können, die systematisch gegen das Recht verstößt. Maja T. fordert die Überstellung nach Deutschland und kritisiert die Rolle deutscher Behörden: Das Berliner Kammergericht und die Sonderkommission Linx des LKA Sachsen hätten die Auslieferung »in voller Absicht« durchgesetzt – trotz offener Verfassungsklage, trotz absehbarer Menschenrechtsverletzungen.
T.s Vater sagte gegenüber »nd«: »Als Vater habe ich große Angst um mein Kind, um Majas Gesundheit und Majas Leben. Aber ich verstehe die Verzweiflung, die Maja zu diesem Schritt treibt. Und ich werde alles dafür tun, um Maja zurückzuholen.« Letzteres fordert er auch vom neuen Außenminister Johann Wadephul (CDU): »Holen Sie Maja zurück nach Deutschland und sorgen Sie für die Einhaltung der Menschenrechte und ein faires Verfahren!«
Für den zweiten Prozesstag wurde der Vorplatz des Gerichts am Mittwoch mit einem großen Polizeiaufgebot und Gitterzäunen sowie Einsatzfahrzeugen der Polizei großräumig abgesperrt. Eine Solidaritätsdemonstration für Maja T. musste auf dem Bürgersteig laufen und wurde wenige Meter vor dem Gericht gestoppt. Zahlreiche Unterstützer*innen waren aus Deutschland, Österreich und Italien angereist. Die wenigen anwesenden Neonazis traten deutlich weniger martialisch als beim ersten Prozesstag auf, jedoch fotografierten die rechte Presse und rechte »Influencer*innen« die Zuschauer*innen.
Das Verfahren gegen T. ist Teil des sogenannten »Budapest-Komplexes« – ein Konstrukt ungarischer Sicherheitsbehörden, das auf antifaschistische Proteste rund um den »Tag der Ehre« 2023 reagierte. Damals mobilisierten Antifaschist*innen nach Budapest, um dem europaweiten Treffen von Neonazis entgegenzutreten. In diesem Zusammenhang wirft die ungarische Staatsanwaltschaft Maja T. und anderen vor, für schwere Körperverletzungen mitverantwortlich zu sein. Die ungarische Justiz wertete die antifaschistischen Aktionen als »Terrorakte«. In der Folge kam es zu einer internationalen Welle von Repressionen gegen linke Aktivist*innen – koordiniert unter anderem von Polizeibehörden in Ungarn, Deutschland und Italien.
Mittlerweile wurden verschiedene Verfahren zu einem einzigen zusammengefasst, dazu gehören auch die Fälle von Gabriele Marcesi und Ilaria Salis. Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments empfahl am Mittwoch eine Teilaberkennung von Salis’ Immunität. Diese wurde anlässlich der Europawahl über eine linke Liste im Juni 2024 aus dem Gefängnis gewählt und genießt seitdem Immunität.
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