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Julian Knoth: Schon tröstend

Das Banale sanft touchiert: »Unsichtbares Meer«, das erste Soloalbum von Julian Knoth, dem Bassisten von Die Nerven

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Aufräumen in der kleinen Form: Julian Knoth
Aufräumen in der kleinen Form: Julian Knoth

Seit 2010 schon singt und ballert die Band Die Nerven Songs über Angst, Zweifel und schwierige Ich-Zustände in die Welt. Die drei Menschen, die die Band sind, gehören zu den produktivsten Rockmusikern hierzulande. Alles muss raus, aber durch verschiedene Kanäle: Im Mutterschiff ist dann doch nicht genug Raum. Und von den dreien ist Bassist Julian Knoth, der in gerade einmal drei Bands nebenher spielt (Die Benjamins, Peter Muffin Trio, Yum Yum Club) und ein etwas peripheres Elektronikprojekt (Ach was!) betreibt oder betrieben hat, der am wenigsten umtriebige. Also im direkten Vergleich zu dem Nerven-Gitarristen Max Rieger (diverse Alben mit dem dunkelschwarzen Elektronik-Gebilde All diese Gewalt!, Black Metal mit Obstler, etwas, das Die Heilsarmee heißt, und Elektronik mit Jauche) und Schlagzeuger Kevin Kuhn (auch Die Heilsarmee, auch mal Karies und Scharping und Wolf Mountains und vor allem die sehr gute Queerpop-Band Shitney Beers).

Das sei hier nur noch einmal eingangs erwähnt, weil all diese Projekte und Bands und Alben etwas verbindet. Man muss das Nerven-Gesamtwerk pophistorisch irgendwann wohl als einen einzigen Korpus ausdeuten. Auch hinsichtlich der Auslagerungen: Im Mutterschiff herrscht zum Beispiel eine auffällige Abwesenheit von Humor, den findet man dann bei der Heilsarmee und bei Scharping wieder.

Plattenbau

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Und auch das erste Soloalbum von Julian Knoth, um das es hier eigentlich geht, ist ernst gestimmt und niemals heiter. Die Texte sind meist in der ersten Person formuliert und handeln von den Irritationen, Reflexionen und überhaupt dem Weltverhältnis des lyrischen Ichs. Das ist dann berührend, wenn man sich in diesen Beschreibungen wiederfindet und sonst halt nicht. Was Knoth singt. ist von einer zwingenden Einfachheit, die, wenn diese Lieder einen auf dem falschen Fuß erwischen, das Banale sanft touchiert.

Am besten jedenfalls: Man hört, dass das betont Einfache hier Programm ist und wirkt, wenn man es zulässt. »Der Regen fällt mir auf den Kopf / Der Wind schlägt mir ins Gesicht / Und der Regen macht die Haare nass / Doch das alles spür ich nicht«. Man kennt es, Regen, Haare, und kann sich insofern mit dieser Stimme gleich verbinden, wenn man möchte. Bei den zehn Songs auf »Unsichtbares Meer« dauert es etwas, und dann verfangen sie doch. Die Distanz schwindet, das »unsichtbare Meer«, das der Albumtitel verspricht, hat nichts Ozeanisches: Julian Knoth singt relativ direkt über das, was man mal grob als depressive Zustände beschreiben könnte. Und das eben nicht im Schreimodus, sondern mit Akustikgitarre, ein paar Ergänzungsinstrumenten und einem kleinen Streicherensemble, dem Trio Abstrich.

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Das Kammermusikhafte bewahrt »Unsichtbares Meer« vorm Lagerfeuerartigen. Und strukturiert. Während Rieger und Knoth bei den Nerven laut die gefühlten Verwüstungen der eigenen Biografien besingen, wird hier in der kleinen Form aufgeräumt und sortiert. Die Nerven erzählen, weil sie eine Noiserockband sind, aus dem Jetzt auch in den Songs, die von früher handeln (»Ein Hoch auf die Jugend / Gott sei Dank ist sie vorbei«). Julian Knoth schaut aus dem Danach auf traurige Begebenheiten, Depressionen und Fragen, die man nicht beantwortet kriegt. »Ich seh nicht viel, weil es dunkel ist / Ich weiß nicht viel, weil ich weiß, wie man vergisst«, aber so gesungen, dass es einen nicht beschwert. Schon tröstend, das alles.

Julian Knoth: »Unsichtbares Meer« (Italic Recordings)

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