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»Ein Spiegel linksradikaler Politik«

Karl-Heinz Schubert über digitale Medienarbeit, Klassenpolitik und das Scheitern von Bündnissen

Online-Zeitung »Trend« – »Ein Spiegel linksradikaler Politik«

Als 1996 die Online-Zeitung »Trend« gegründet wurde, waren digitale Medien ja noch kaum verbreitet. Warum entschieden Sie sich damals für die Veröffentlichung im Internet?

Ursprünglich war »Trend« 1985 als Kreuzberger GEW-Mitgliederzeitung gegründet worden. Im November 1994 wurden Kreuzberger Schüler*innen auf einem Ausflug in Marzahn von rechten Jugendlichen rassistisch beleidigt und angegriffen. Sie setzten sich zur Wehr und wurden zusammen mit ihrer Lehrerin von Zivilpolizisten festgenommen. Wir unterstützten die Jugendlichen und ihre Lehrerin gegen drohende Repressionen durch ausführliche Berichterstattung. Als wir die »Trend«-Ausgabe 2/1995 erstellten, um zu dem Prozess gegen drei dieser Schüler*innen zu mobilisieren, untersagte die GEW-Bezirksleitung uns, die Nummer herauszugeben. Für uns, Günther, Detlef und mich, die wir in der 68er-Revolte und den K-Gruppen politisch sozialisiert worden waren, war dies ein absolutes No-Go, was dazu führte, dass wir die Ausgabe unter eigenem Namen veröffentlichten. Um weiterhin unzensiert publizieren zu können, kam uns nach mehrmonatiger Bedenkzeit das World Wide Web in den Sinn, wo wir im Januar 1996 mit »Trend« als Online-Zeitung starteten.

Interview

Karl-Heinz Schubert studierte Politologie und Soziologie. Anschließend arbeitete er mehrere Jahrzehnte lang in verschiedenen Bildungseinrichtungen. Er ist seit 1966 Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), für die er 1985 zusammen mit Kolleg*innen »Trend« als Zeitung gründete. Seit Januar 1996 erschien sie von ihm redigiert und heraus­gegeben als Online-Zeitung. Seit 2021 verwaltet er den Daten­bestand der Zeitung als digitales Archiv.

»Trend« erschien 25 Jahre lang, bis 2021. Warum haben Sie jetzt ein Buch über diese Zeit herausgegeben?

Das Ende der Online-Zeitung als kollektive Zeitzeugin bedeutete für mich, dass die ungeheure Datenfülle, die von vielen erschaffen wurde und einen authentischen Spiegel linksradikaler Politik darstellt, als Archiv erhalten bleiben musste. Dazu brauchte es eine neue Benutzeroberfläche und eine »aufgeräumtere« Datenstruktur. Während dieser Puzzle-Arbeit kam mir die Idee, ein Begleitbuch zum Archiv zu schreiben, bei dem es mit QR-Codes möglich ist, vom Buchtext aus auf Quellen im Archiv direkt zuzugreifen. Bei dieser Arbeit wurde mir bewusst, dass die Online-Zeitung zunächst ein Bündnisprojekt verschiedener Strömungen gewesen war, bei dem sich dann politische Ambivalenzen zu Antagonismen entwickelten. Diese Ambivalenzen haben wir durch eine klassenpolitische Fundierung von »Trend« überwunden. Dies war ein Schritt, den ich im Sinne von Brecht als Wendepunkt verstehe.

Neben der Online-Zeitung haben Sie auch Konferenzen und Kongresse veranstaltet. Welche Rolle spielte die Online-Zeitung dabei?

In den 25 Jahren waren es, den Benno-Ohnesorg-Kongress 1997 mitgerechnet, rund 120 Veranstaltungen. Aufgrund des Crashs von »Partisan.net« 2004, das heißt des Scheiterns einer kollektiven Internetpräsenz, und der Einrichtung der Infopartisan-Domain für »Trend« formulierten Rolf-Dieter Missbach und ich erstmals verbindliche politische Grundsätze für unsere Internetpublizistik. Sie waren bestimmt durch eine »Rückbesinnung auf den Marxismus als theoretischen Werkzeugkasten«. Dadurch veränderte sich der Charakter unserer Veranstaltungen. Sie blieben zwar strömungsübergreifend ausgerichtet, aber die damit angestoßenen Diskurse bereiteten wir mit klassenpolitischen Texten vor, die zusammengefasst in ständigen Rubriken wie »Betrieb und Gewerkschaft« oder »kapitalistischer Stadtumbau und Stadtteilkämpfe« veröffentlicht wurden.

Warum war der Umzug in den Neuköllner Stadtteilladen »Lunte« wichtig für die Weiterentwicklung der Online-Zeitung?

Die »Lunte« hat ihre Ursprünge in der autonomen Selbstorganisierung der 80er Jahre. Dort werden politische Theorien und Praxiserfahrungen aufeinander bezogen und prägen die strömungsübergreifende Stadtteilarbeit. Hier konnten wir uns unmittelbar einbringen. Anders als in den Buchläden, in denen »Trend« vorher nur postalisch erreichbar war. Wir wurden Teil des »Lunte«-Plenums, nahmen an deren Praxen teil und führten dort zahlreiche Veranstaltungen durch. Gleichzeitig entstand bei »Trend« ein politischer Beirat, in dem auch Genoss*innen aus der »Lunte« mitarbeiteten.

In dem Buch geht es auch öfter um das Scheitern von Bündnissen. Blicken Sie darauf mit Enttäuschung zurück?

Ich denke, von Enttäuschung könnte dann die Rede sein, wenn ein Bündnis an sich selber scheitert. Und zwar deswegen, weil seine Protagonist*innen es nicht verstanden – so wie es Brecht in seinem »Me-ti. Buch der Wendungen« formuliert –, »die Fragen zu stellen, welche das Handeln ermöglichen«, um die Ziele zu erreichen, die sie sich vorgenommen hatten. Dies traf auf uns »Trend«-Macher*innen nicht zu. Kommen wir aber noch einmal auf den Crash des »Partisan.net« zurück. Wir, die wir »Trend« als kollektives klassenpolitisches Projekt betreiben wollten, waren tatsächlich von uns selbst enttäuscht, weil wir es unterlassen hatten, vor dem Crash die richtigen Fragen zu stellen, um ihn erfolgreich zu verhindern beziehungsweise das Bündnis zu erhalten.

Würden Sie rückblickend sagen, die politische Linke hat die Chance, die »Trend« bot, nicht genügend genutzt?

Um diese Frage in der hier gebotenen Kürze zu beantworten, muss ich die »politische Linke« grob in zwei Lager aufteilen: in Milieu- und Klassenlinke. Letztere werden hauptsächlich repräsentiert durch allerlei parteimäßig organisierte »K-Gruppen«, während Milieulinke subjektiv antikapitalistisch und lebensweltlich identitär in flüchtigen Bündnissen aufgestellt sind. Beide Lager pflegen auf ihre Weise die politische Erbschaft der 70er und 80er Jahre: das Sektierertum. Die Chance, die wir ihnen bieten konnten, war, sich für ein kollektives »eingreifendes Denken« im Sinne von Benjamin und Brecht zu öffnen. In welchem Umfang unser Angebot angenommen wurde, wäre allerdings empirisch nur schwer zu verifizieren.

Sie teilten Ende 2020 unter dem Titel »25 Jahre Trend – Time to say Goodbye« mit, dass im Januar 2021 die letzte Ausgabe der Online-Zeitung erscheinen werde. War darin nicht auch Trauer zu spüren?

Es ist für mich sehr wohl nachvollziehbar, dass damals Leser*innen in dieser Ankündigung Wehmut und melancholische Gefühle auf Seiten der »Trend«-Genoss*innen vermuteten. Doch das trifft auf mich persönlich nicht zu, denn die Arbeit an der Online-Zeitung als kollektiver Zeitzeugin war damit für mich keineswegs beendet. Sie hatte sich nur verlagert. Aufbau und Pflege des Archivs sind für mich nun eine andere Form von Öffentlichkeitsarbeit geworden. Des Weiteren bin ich auch immer noch in der »Lunte« aktiv, wo ich weiterhin Veranstaltungen zu aktuellen Themen mit Rückgriff auf das Archiv unterstütze beziehungsweise selber anbiete.

Sie kündigen in Ihrem Buch einen zweiten Teil mit dem Titel »Nachbetrachtungen« an. Worum wird es darin gehen?

Teil 1 wurde als chronologische Erzählung verfasst, die unsere politischen Praxen und die Ziele der Online-Zeitung zum Gegenstand hat. Darin werden Politikfelder wie zum Beispiel die Stadtteil- und Wohnungspolitik, die in den 25 Jahren Zeitungsarbeit meine persönlichen Schwerpunkte bildeten, theoretisch nicht hinreichend behandelt. Sie sollen daher nun als zweiter Teil der »Trend-Geschichte« erscheinen. Der Titel »Nachbetrachtungen« zeigt dies an, und der Inhalt soll verdeutlichen, dass eine marxistische Analyse dieser Felder für die Einhegung des Kapitalismus und seine Aufhebung essenziell ist.

Karl-Heinz Schubert: Bündnisse & Wendepunkte. 25 Jahre »Trend« Onlinezeitung, Teil 1. BoD, 140 S., br., 10 €.

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