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Neue Generation gegen Springer: Im Namen der Demokratie
Im Rahmen einer Aktionswoche wendete sich die Neue Generation hauptsächlich gegen den Axel-Springer-Konzern
Mittagstrubel in Berlins Supermärkten. Edmund Schultz und Eckart Pscheidl-Jeschke spazieren in einen Rewe-Markt im Bezirk Mitte als gehörten sie zu jenen, die sich eine schnelle Mahlzeit besorgen wollen. Die gefalteten Zeitungen, die sich Pscheidl-Jeschke unter den Arm geklemmt hat, sind kaum zu bemerken.
Anstatt zum Kühlregal mit den Fertigspeisen oder zu den Backwaren steuern die beiden jedoch zielstrebig auf den Zeitschriftenständer neben der Kasse zu. Eine kurze Suchbewegung, dann haben sie ihr Ziel ausgemacht. Schultz zückt sein Handy und beginnt zu filmen, wie sein Mitstreiter sämtliche Ausgaben der »Bild«-Zeitung herausnimmt und durch die Exemplare unter seinem Arm ersetzt.
Diese sehen dem Original kaum ähnlich; die »Bild-Zeitung zur Widerstandswelle« ist in einem auffälligen Orange gehalten. Große Bilder und markante Überschriften sollen dennoch daran erinnern. Der Titel des Ersatzprodukts: »Die Würde des Menschen ist unantastbar«.
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12 Kleingruppen der Neuen Generation sind an diesem Tag in Supermärkten in ganz Berlin unterwegs für einen »Bild-Wechsel«, wie sie die Aktion nennen. Diese findet im Rahmen der sogenannten »Widerstandswelle« statt, der ersten großen Proteste der Gruppe seit dem Ende der Letzten Generation. Am Wochenende zuvor fand bereits ein »Parlament der Menschen« statt, in dem zufällig geloste Sympathisant*innen über die Zukunft der Demokratie diskutierten.
»Es gibt eine große Spaltung in der Gesellschaft durch diese Zeitung«, sagt Pscheidl-Jeschke in die Kamera. Dann bewegt er sich zu den Hygieneartikeln. Der 55-Jährige legt die »Bild«-Zeitungen zum Klopapier und versteckt sie unter einer Packung. Er kommentiert sein Handeln: »Ich sortiere sie jetzt da ein, wo sie, glaube ich, ganz gut aufgehoben ist – wo man sie gut anwenden kann«.
In keinem der Supermärkte entstehen durch die Aktion Probleme. Weder Mitarbeitende noch Kunden bemerken die ungewöhnliche Tauschaktion. Immer wieder verlassen Edmund Schultz und Eckart Pscheidl-Jeschke die Filialen von Rewe, Edeka und Lidl unbehelligt.
Auch die Medien zeigen wenig Interesse an der Aktion. Die Neue Generation mag zwar einen neuen Namen haben, doch viele ihrer Probleme bleiben die alten. Eines davon: Aufmerksamkeit erregt man nicht mit stillen – wenn auch kreativen – Aktionen, sondern durch Störungen, die jedoch oft auf gesellschaftliche Ablehnung stoßen.
Aktionen wie zwei Tage zuvor: Am Sonntagabend, das Parlament der Menschen ging gerade zu Ende, fährt ein Miettransporter vor die Axel-Springer-Druckerei in Berlin-Spandau. Laut der Polizei Berlin sind es etwa 40 Personen, die anschließend versuchen, die Zufahrt zur Druckerei zu blockieren und damit die Auslieferung der »Bild« zu stören. Doch die Polizei ist vorbereitet, nimmt die Aktivist*innen umgehend fest. Auch wenn das Vorhaben scheitert, das Medienecho ist groß. Die Empörung ebenfalls. Die FDP Brandenburg und Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) Berlin-Brandenburg kritisieren die Proteste als Angriff auf die Pressefreiheit.
In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ein neuer Anlauf: Diesmal sind es nur sechs Aktivist*innen, die mit mehreren gemieteten Autos vor die Druckerei fahren, auch Eckart Pscheidl-Jeschke ist unter ihnen. Vor den Zufahrten angekommen, steigen sie auf die Fahrzeugdächer und kleben sich fest. Nach etwa zwei Stunden beginnt die Feuerwehr, die Aktivist*innen von den Dächern zu lösen. Laut DJU Berlin-Brandenburg werden in der Druckerei neben den Axel-Springer-Zeitungen »Bild«, »Welt« und »B.Z.« auch die »Süddeutsche Zeitung« und der »Tagesspiegel« gedruckt. Die Journalistenorganisation schreibt: »Alle Zeitungen wurden rechtzeitig ausgeliefert und den Leser*innen zugestellt.«
Doch warum zielt die Neue Generation mit ihren ersten großen Aktionen seit der Umorientierung so stark auf die »Bild«? Die Aktivist*innen machen die Zeitung mitverantwortlich für die gesellschaftliche Spaltung und den Vertrauensverlust der Bürger*innen in demokratische Institutionen. »Die Bild verbreitet rechte Narrative und leugnet die Klimakrise«, ergänzt Raphael Thelen, ehemaliger Journalist und Mitbegründer der Neuen Generation. Zudem werfen die Aktivist*innen dem Axel-Springer-Konzern vor, parteipolitisch Einfluss zu nehmen. Sie verweisen unter anderem auf die angebliche SMS des Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner an den damaligen »Bild«-Chefredakteur mit der Aufforderung, die FDP zu stärken, sowie auf den Gastbeitrag mit AfD-Werbung von Elon Musk in der »Welt«.
Die Kritik der politischen Einflussnahme richtet sich nicht nur an den Axel-Springer-Konzern. Auch der Einfluss von Finanz- und fossiler Lobby auf den Bundestag sei viel zu groß. Die Neue Generation spricht von einem »besorgniserregenden Zustand unserer Demokratie«. Und so kam es zum Abschluss der einwöchigen Widerstandswelle auch zu einem Blockadeversuch an einer Zufahrt zur Tiefgarage des Bundestags. Wieder war die Polizei vorbereitet und nahm die Aktivist*innen fest, bevor sie stören konnten. Am Ende der Woche steht es 2:1 für die Polizei. Fraglich, ob das auch ein Sieg der Demokratie ist.
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