Akzeptierende Jugendarbeit als Déjà-vu

In Sachsen geraten Strukturen zum Kampf gegen Rechts zunehmend unter Druck

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Junge Nazis nehmen immer häufiger Veranstaltungen zum Christopher-Street-Day ins Visier.
Junge Nazis nehmen immer häufiger Veranstaltungen zum Christopher-Street-Day ins Visier.

Als Andrea Hübler vor einigen Tagen am Chemnitzer Hauptbahnhof ankam, hatte sie das Gefühl, nicht nur eine Zug-, sondern auch eine Zeitreise unternommen zu haben. Am Bahnsteig stand ein Skinhead wie aus dem Bilderbuch: Bomberjacke, Springerstiefel, Glatze. »Als wäre ich zurück in den 1990er Jahren«, berichtete Hübler, Geschäftsführerin der RAA Sachsen, auf einer Tagung des Demokratiezentrums Sachsen: »Man hatte das Gefühl, die Baseballschlägerjahre seien wieder da.«

Indizien dafür gibt es viele. Junge Nazis im historischen Look sind zunehmend auf ostdeutschen Straßen präsent. Sie bilden wieder Kameradschaften, überfallen alternative Jugendclubs, schüchtern CSD-Paraden ein oder verprügeln Wahlkämpfer. So manche der Rechtsextremen dürften dabei Rollenmuster ihrer Väter übernehmen, die vor gut 30 Jahren Ausländer und Linke hetzten. Die Schriftstellerin Anne Rabe stellt mit Blick auf die verstärkte Präsenz von Nazis, das Erstarken der AfD und deren positiven Bezug auf ihre ostdeutsche Herkunft fest, das »Loser-Image der 90er Jahre« sei zu einem »Gefühl der Stärke geworden, das ein ganzes Land verändert hat«. Rechtsextremismus, fügt sie an, sei im Osten »zur Avantgarde geworden«.

Allerdings, betont Hübler, gebe es einen entscheidenden Unterschied zu den Baseballschlägerjahren. Er besteht in der Existenz von Strukturen, die sich um Opfer kümmern, die Kommunalpolitiker, Lehrer oder Polizisten beim Umgang mit Rechtsextremismus beraten und auch ausstiegswillige Szenemitglieder unterstützen. Die RAA Sachsen etwa ist die erste Adresse in Sachsen bei der Opferberatung. »Ich hatte damals niemanden, an den ich mich wenden konnte«, sagt Hübler und spricht von einem »durchaus hart erkämpften Unterschied, an dem wir unbedingt festhalten sollten«.

»Das wäre ein hochproblematischer Weg. Genau so ist der NSU entstanden.«

Andrea Hübler RAA Sachsen

Der Appell kommt nicht von ungefähr. Projekte wie Opfer-, Mobile oder Ausstiegsberatung, die in der Regel von zivilgesellschaftlichen Initiativen getragen und vom Freistaat über Programme wie »Weltoffenes Sachsen« gefördert werden, sind zuletzt stark unter Druck geraten. Wenig überraschend ist dabei, dass sie der AfD ein Dorn im Auge sind. Als diese vergangene Woche in einem offenen Brief der CDU Unterstützung im Ringen um einen Landeshaushalt in Aussicht stellte, gehörte zu den Bedingungen, dass die Ausgaben für »linke Vereine zur ›Demokratieerziehung‹ der Bürger« massiv gesenkt werden.

Doch auch in der CDU gibt es erhebliche Vorbehalte. Sie zeigten sich auf der Tagung des Demokratiezentrums in dem Grußwort von Ministerpräsident Michael Kretschmer, das per Video eingespielt wurde, kaum mehr als 30 Sekunden dauerte und im Wesentlichen aus Floskeln bestand. Wenige Tage zuvor hatte der CDU-Regierungschef in einem Interview der »Zeit« bereits die Arbeit von Demokratieprojekten im Freistaat kleingeredet. Diese seien zwar »gut gemeint«, aber erreichten oft nicht die Menschen, »um die es eigentlich geht«, und zwar solche mit »extremistischen oder autoritätskritischen Einstellungen«. Für erfolgversprechender halte er andere Ansätze: »In den Neunzigerjahren wurde mit Streetwork, Sportprojekten und direkter Ansprache vor Ort viel erreicht.« Hübler warnt eindringlich vor diesem »hochproblematischen« Weg, der als »akzeptierende Jugendarbeit« bekannt war und eher der Festigung rechter Strukturen als ihrer Auflösung gedient habe: »Genau so ist der NSU entstanden«, also das rechte Terrortrio, das später zehn Menschen ermordete. Weil die Täter lange in Chemnitz im Untergrund lebten, wurde dort kürzlich ein Dokumentationszentrum eingeweiht. Der Ministerpräsident kam nicht zu der Veranstaltung, sondern weihte in Ostsachsen eine neue Bundesstraße ein.

Doch Opferberatung & Co. haben in der Landesregierung auch Fürsprecher. »Die Strukturen sind ein Erfolg«, sagte Petra Köpping, die Sozialministerin und Vize-Ministerpräsidentin von der SPD, bei der Tagung. Auch sie spricht angesichts des starken politischen Drucks und der schwierigen Haushaltslage allerdings von einer »riesigen Gefahr, dass sie heruntergefahren werden«. Köpping sicherte zu, sie und ihre Genossen würden »kämpfen wie die Teufel«, damit die weitere Finanzierung gesichert werde. Gleichzeitig appellierte sie an die Vertreter der Initiativen, in der Öffentlichkeit um mehr Rückhalt für ihre Arbeit zu werben: »Man muss begründen, warum das wichtig und kein Gedöns ist.« Ob sich auch der CDU-Ministerpräsident davon überzeugen lässt, bleibt abzuwarten.

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -