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Verfassungsschutz identifiziert Staatsfeinde
Verfassungsschutz hält Gefahren von links und außen für die Demokratie für fast so groß wie die von rechts
Rechtsextremismus, sagte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt im Mai bei der Vorstellung der Statistik zu »politisch motivierter Kriminalität«, sei die größte Gefahr für die Demokratie. Im Verfassungsschutzbericht, den der CSU-Politiker am Dienstag in Berlin präsentierte, lässt sich das gleichwohl ein wenig relativieren. Denn im jährlichen Report des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) stehen »Personenpotenziale« des »Extremismus« verschiedenster Couleur im Mittelpunkt. Also die Zahl von Menschen, die »der Demokratie« gefährlich werden könnten.
Laut dem Report, den Dobrindt zusammen mit dem BfV-Vizepräsidenten Sinan Selen vorstellte, gibt es gut 50 000 Rechtsextremisten, davon 15 300 »Gewaltorientierte«, und 38 000 Linksextremisten, unter ihnen 11 200 Gewaltbereite. Während die Zahl der Straftaten auf beiden gesellschaftlichen Polen zugenommen hat, ging die der Gewaltdelikte von links insgesamt stark zurück: um 26,8 Prozent auf 532, wobei hier auch der sogenannte Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mitgezählt wird. Dies umfasst auch Abwehrbewegungen bei gewaltvollen Polizeieinsätzen. Gleichwohl ging die »linke« Gewalt gegen Polizeibeamte laut Bericht um mehr als die Hälfte zurück. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 5857 (plus 37,9 Prozent) »linksextremistisch motivierter Straftaten« gezählt.
Auf der rechten Seite stieg die Gesamtzahl der Straftaten um 47,4 Prozent an, die der erfassten Gewaltdelikte um 11,6 Prozent auf 1281. Davon waren 1121 Körperverletzungen. Die Zahl der rechts motivierten Brandstiftungen stieg um 44 Prozent auf 23. Der Linke-Bundestagsabgeordnete Ferat Koçak benannte die »zunehmende soziale Spaltung und rassistische Politik auf dem Rücken von Migrant*innen« als wesentlichen Grund für die Zunahme der Zahl der Anhänger extrem rechter Gruppen und rechten Tätern. »Während die Bundesregierung demokratische Initiativen kaputtspart, bekommen Nazis Rückenwind«, sagte Koçak am Dienstag in Berlin und betonte: »Wenn die Bundesregierung gegen Geflüchtete Stimmung macht, wenn sie Gesetze verschärft, Abschiebungen forciert und Menschen entrechtet, dann braucht sich niemand zu wundern, wenn der rechte Terror wächst. Wer Menschenrechte abbaut, macht sich mitschuldig am Rechtsruck.«
»Wer Menschenrechte abbaut, macht sich mitschuldig am Rechtsruck.«
Ferat Koçak
Bundestagsabgeordneter (Die Linke)
Unter den im Bericht des BfV identifizierten extrem Rechten sind indes 20 000 Anhänger der AfD, die mit 151 Abgeordneten die zweitstärkste Fraktion im neuen Bundestag bildet. Gleichwohl bekräftigte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) am Dienstag seine Skepsis zu einem Verbotsverfahren gegen die im Bericht des BfV aufgrund eines laufenden Gerichtsverfahrens weiter als »rechtsextremistischer Verdachtsfall« aufgeführte Partei.
Das 1000-seitige Gutachten des BfV zur AfD reiche »als Grundlage für ein Verbotsverfahren nicht«, sagte er. »Teile, die notwendig sind, um zu einem Verbot zu kommen«, betrachte das Gutachten nicht. Der Minister nahm Bezug auf drei Elemente der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, bei denen das Bundesverfassungsgericht die Haltung der AfD prüfen könnte. Das Gutachten betrachte aber nur eines davon, nämlich die Haltung der AfD und ihrer Funktionäre zur Menschenwürde. Die beiden anderen Bereiche – die Haltung zum Demokratieprinzip und zum Rechtsstaat – seien darin nicht beleuchtet worden, so Dobrindt. Somit könne darüber und über mögliche Verschränkungen zwischen den drei Bereichen keine Aussage getroffen werden.
Dobrindt mahnte einmal mehr eine »politische Auseinandersetzung« mit der AfD an. Es sei die Aufgabe der Bundesregierung, »die Probleme in unserem Land zu lösen«, damit die AfD »aus der politischen Mitte heraus wegregiert« werden könne. Anfang Mai hatte das BfV die AfD als »gesichert rechtsextremistisch« eingestuft. Grundlage dafür war das Gutachten, das die Behörde über mehrere Jahre angefertigt hatte. Die AfD wehrte sich juristisch dagegen, weshalb der Verfassungsschutz die Hochstufung vorerst auf Eis legen musste.
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Derweil widmet sich der BfV-Bericht akribisch jeder linken und vermeintlich gewalt- oder umsturzbereiten linken Gruppe, und sei sie noch so klein. Folgerichtig ist das Linksextremismuskapitel mit 57 Seiten das längste von allen. Darin wird etwa die Rote Hilfe, die politische Gefangene unterstützt, weiter als mit 14 000 Mitgliedern größte »linksextremistische« Gruppe bezeichnet. Unter den als linksextrem beobachteten Medien ist erneut die Tageszeitung »Junge Welt«. Sie hatte sich zuletzt vergeblich vor Gericht gegen ihre Aufführung im Verfassungsschutzbericht gewehrt. Darin werden auch Youtube-Kanäle wie die »Kommunisten Kneipe« mit lediglich knapp 5300 Abonnenten aufgeführt.
Als linksextremistisch stuft das BfV die Befassung mit Themen wie Antifaschismus, Antikapitalismus, Antirepression oder gegen Gentrifizierung, also gegen die Verdrängung ärmerer Bewohner durch steigende Mieten, ein. All das seien »letztlich aber austauschbare Aktionsfelder, die nur der Erreichung der eigenen ideologischen Zielsetzung dienen: der Errichtung eines kommunistischen Systems beziehungsweise einer herrschaftsfreien, anarchistischen Gesellschaft«.
Zugleich sieht der Geheimdienst bei Demonstrationen gegen die brutale Kriegsführung Israels gegen die Bevölkerung im Gazastreifen recht pauschal linken oder aus »auslandsbezogenen« Antisemitismus am Werk. Als auslandsbezogen antisemitisch werden etwa Gruppen wie die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost oder Palästina spricht eingeordnet.
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