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Wachsender Unmut über deutsche Israel-Politik
Diplomaten und Ex-Diplomaten fordern schärferen Kurs gegen Netanjahu-Regierung, ebenso namhafte SPD-Politiker
In der deutschen Politik mehren sich die Stimmen, die mehr Druck der Bundesregierung auf die israelische Führung und einen Stopp der deutschen Waffenlieferungen an Israel einfordern. Deutschland müsse alle Mittel nutzen, um den Krieg Israels im Gazastreifen zu beenden und damit das Leid von dessen Bewohnern zu lindern, verlangen sie.
Mittlerweile dringen auch der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, und SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf darauf. Auch aus Diplomatenkreisen wird Kritik laut. So haben sich zwölf ehemalige Botschafter*innen mit einem offenen Brief an Außenminister Johann Wadephul (CDU) gewandt. Sie zeigen sich darin »entsetzt und verständnislos«, weil sich die Bundesregierung dem Anfang der Woche von den Außenministern von 28 Ländern veröffentlichten Appell für ein sofortiges Ende des Krieges in Gaza nicht angeschlossen hat. Über das Schreiben berichtete am Donnerstag zuerst Spiegel online.
Die Unterzeichnenden waren unter anderem in den palästinensischen Autonomiegebieten, Iran, dem Irak und Ägypten tätig. Sie halten die Erklärung, die von Großbritannien initiiert wurde und der sich rund 20 EU-Staaten angeschlossen haben, für »wichtig und ausgewogen«. Darin werde auch die »bedingungslose Freilassung der Geiseln durch die Hamas« angesprochen.
Die Ex-Botschafter*innen rufen die Bundesregierung dringend auf, ihre Entscheidung zu revidieren, den Appell nicht mitzutragen. Dem Brief angehängt ist ein Schreiben ehemaliger EU-Botschafter*innen an die EU-Leitungsebene vom Dienstag. Es zeigt Handlungsoptionen auf, wie der Druck auf Israel »hin zu einem Waffenstillstand und zu einem Ende der humanitären Blockade gegen die Zivilbevölkerung in Gaza« verstärkt werden könne.
Rebellen im Auswärtigen Amt
Zuvor war bekannt geworden, dass auch unter aktiven Diplomaten im Auswärtigen Amt der Unmut über die Israelpolitik der Bundesregierung wächst. Rund 130 von ihnen hätten sich zu einer Gruppe zusammengeschlossen, die eine härtere Gangart gegenüber der Regierung Netanjahu fordert, wie der »Spiegel« am Mittwochabend berichtete. Ihr Motto laute: »loyal nonkonform«. Die Mitglieder der Gruppe sind demnach zwischen 30 und 40 Jahren alt, Attachés, Referentinnen und Referenten oder stellvertretende Referatsleiter. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts bestätigte die Existenz der Gruppe. Die Staatssekretäre Géza von Geyr und Bernhard Kotsch seien zu einem »informellen Gedankenaustausch mit der Gruppe zusammengekommen«. Ein Treffen mit Minister Wadephul sei in Planung.
Protest von Israels Botschafter
Derweil hat der israelische Botschafter Ron Prosor die Forderungen aus der SPD nach einer deutschen Unterstützung des internationalen Appells als »unverantwortlich« kritisiert. »Damit wird der Hamas signalisiert, dass es sich lohnt, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen«, sagte er und fügte hinzu: »Das ist ein Verrat an den Geiseln und ein Bärendienst für die Bewohner des Gazastreifens.«
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, nannte die Stellungnahmen aus der SPD-Fraktion zur Situation in Gaza »in ihrer Einseitigkeit verstörend«. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann wies die Forderung der SPD-Fraktionsspitze zurück. »Dieser einseitige Druck auf Israel, das ist doch genau das, was die Hamas will«, sagte er der dpa.
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Adis Ahmetović, bekräftigte indes die Forderung. »Es wäre angebracht, Fehler einzugestehen und diese zu korrigieren, indem man die Erklärung nachträglich unterzeichnet«, sagte er der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Einige SPD-Außenpolitiker fordern auch einen Stopp der Rüstungsexporte an Israel. CSU-Politiker Hoffmann sagte dazu: »Freunde kann man kritisieren, aber Freunde sanktioniert man nicht.« Zudem sei Israel in seiner Existenz bedroht.
Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), erklärte, die Forderungen der SPD-Außenpolitiker hätten ihn »erheblich irritiert«. Man dürfe die »dringend notwendige Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung nicht gegen Israels Sicherheit und die Freilassung aller Geiseln ausspielen«, erklärte er. Erneut behauptete Beck, der Krieg wäre beendet, wenn »die Hamas ihre Waffen niederlegen und die seit mittlerweile 655 Tagen in Gaza festgehaltenen Geiseln freilassen« würde. Zugleich verbreitete er erneut die unbelegte Darstellung, die UN-Hilfswerke seien weder fähig noch willens, humanitäre Hilfe so zu verteilen, »dass sie nicht am Ende bei der Hamas landet«.
Derweil forderten auch die Grünen und Die Linke die Regierung auf, die internationale Erklärung zu unterzeichnen und die Waffenlieferungen an Israel zu stoppen. Die Grünen hatten die Rüstungsexporte in der Ampel-Koalition noch verteidigt. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sprach sich zudem für Sanktionen gegen die israelischen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir aus. »Beide rufen ganz offen zu Gewalt gegen die palästinensische Zivilbevölkerung und zu Vertreibung auf und unterstützen den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau in der Westbank«, begründete Dröge dies gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Die Vorsitzenden der Linken und ihrer Bundestagsfraktion nannten es am Donnerstag einen »Offenbarungseid« der Regierung, dass sie die Erklärung der 28 Staaten nicht unterstütze. Sie müsse dies nachholen und zudem alle Rüstungsexporte an Israel stoppen, heißt es in einem gemeinsamen Statement der Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken sowie der Fraktionsvorsitzenden Heidi Reichinnek und Sören Pellmann. Zugleich brauche es »massive humanitäre Unterstützung«, denn nur so lasse sich »eine weitere Eskalation der Hungerkatastrophe« in Gaza verhindern. Darüber hinaus sollte Deutschland Palästina als Staat anerkennen, finden die Linke-Politiker*innen. Werde die Regierung ihrer Verantwortung weiter nicht gerecht, müsse »der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammentreten«, verlangen sie und betonen: »Für uns ist klar: Die Menschen in Israel haben uns als Verbündete an ihrer Seite, die rechtsextreme Regierung Netanjahus nicht.«
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