G7-Gipfel am Fuße der Rocky Mountains

Klima, Russland, Weltwirtschaft: Das Programm der westlichen Regierungschefs scheint ebenso übervoll wie beliebig

Die Straßen zum G7-Tagungsort sind gesperrt.
Die Straßen zum G7-Tagungsort sind gesperrt.

Die Europäische Kommission hat gerade ihr 18. Sanktionspaket gegen Russland geschnürt. Es sieht Verschärfungen der Strafmaßnahmen insbesondere im Banken- und Energiesektor vor. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist damit kurz vor dem dreitägigen Gipfel der Gruppe der Sieben (G7) in die Offensive gegangen, der am Sonntag im kanadischen Kananaskis beginnt. Brüssel hat dort einen Beobachterstatus. In enger Abstimmung mit den G7-Staaten soll unter anderem der Preisdeckel für russisches Öl weiter abgesenkt werden. Russland unterläuft diese Obergrenze, indem es Schiffe mit undurchsichtigen Eigentümerstrukturen einsetzt. Bisher haben vor allem die EU und die Vereinigten Staaten eine – unterschiedliche – Zahl von Schiffen dieser »Schattenflotte« mit Sanktionen belegt. Mit Spannung wird nun die Reaktion des US-Präsidenten Donald Trump erwartet. Sein Kommen zum G7-Gipfel war bei Redaktionsschluss noch sicher bestätigt.

Doch im idyllischen Vorland der kanadischen Rocky Mountains, wo einst der Film »Brokeback Mountain« gedreht wurde, wird es nicht allein um die Koordinierung der von Land zu Land unterschiedlichen Sanktionen gegen Russland gehen. Hoffnungen der Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und den USA ruhen darauf, dass im kleinen Kreis ein vertrauliches Gesprächsklima entsteht, das im wirtschafts- und geopolitischen Konflikt mit China und den Brics-plus-Staaten wie Brasilien, Russland und Indonesien den kapitalistischen Großmächten einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnte. Die G7-Staaten erbringen ein Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung und sind im Handel eng miteinander verflochten.

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Anlässlich des 50. Jahrestages des ersten Gipfels dieser informellen Runde im französischen Rambouillet, der noch ohne Kanada stattfand, ist der neue, liberale Premierminister Joseph Carney »stolz« darauf, den G7-Vorsitz zu übernehmen. Kanada wolle seine Führungsrolle nutzen, um einen sinnvollen Dialog, gemeinsames Handeln und innovative Lösungen zum Nutzen »aller Völker« voranzutreiben, so der Gastgeber. Die Tagesordnung reicht von Frieden und Sicherheit über globale wirtschaftliche Stabilität und Wachstum bis hin zum digitalen Wandel – die globalen Herausforderungen und auch Chancen von heute verlangten, dass die Gipfelteilnehmer zusammenarbeiten, um gemeinsame Lösungen zu finden, meint Carney.

Dass die Probleme des real existierenden Kapitalismus tiefer liegen, als es Konjunkturoptimisten und Kritiker der Trumpschen Zollpolitik wahrnehmen, hat gerade die Weltbank in ihrem »Global Economic Prospect« aufgezeigt. Zum einen scheint laut dem Bericht der jahrzehntelange Aufholprozess der ärmeren Länder gestoppt, während dem mehr als eine Milliarde Menschen aus der extremen Armut herauswuchsen. Zum anderen sinken seit drei Jahrzehnten die Wachstumsraten. Ein grundlegendes Phänomen, das auch den globalen Norden erfasst hat. Eine Fast-Stagnation der Wirtschaftsentwicklung ist aber für Unternehmen und Konzerne unter den gegebenen Bedingungen ein Problem, und gewerkschaftspolitisch schränkt es die Verteilungsspielräume für abhängig Beschäftigte ein.

Besonderes Augenmerk wird in Kananaskis auf Trump mit seinen cholerischen Anfällen gelegt. Der US-Präsident gehört zwar nicht zu den G7-Novizen, ist aber erstmals in seiner zweiten Amtszeit dabei. Mit Spannung wird erwartet, ob es zu ersten persönlichen Gesprächen mit Carney und auch der linken mexikanischen Präsidentin Claudia Sheinbaum kommen wird. Sie ist genauso als Gast beim Gipfeltreffen dabei wie die Staats- und Regierungschefs aus Indien, Südkorea, Südafrika, Indonesien und möglicherweise der Ukraine. Kanada und Mexiko leiden besonders unter den Strafzöllen des großen Nachbarn USA. Ein echter Neuling ist Bundeskanzler Friedrich Merz. Vor allem Kanada, das besonders unter den Strafzöllen des großen Nachbarn leidet und bereits auf der diesjährigen Hannover-Messe den Schulterschluss mit Deutschlands Wirtschaft und Politik suchte, setzt Hoffnungen darauf, dass die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt dank ihrem 500 Milliarden Euro schweren »Sondervermögen Infrastruktur« wieder Fahrt aufnimmt.

Die Industriestaatenorganisation OECD hat mit ihrem »Wirtschaftsbericht Deutschland« am Donnerstag Mut gemacht. Die deutsche Wirtschaft habe sich als widerstandsfähig erwiesen, heißt es darin. Würden die Bürokratielasten der Unternehmen sowie die regulatorischen Wettbewerbshindernisse verringert und der Fachkräftemangel behoben, dürfte dies helfen, das Wirtschaftswachstum zu beleben und »deutschlandweit einen hohen Lebensstandard zu sichern«.

Die Tagesordnung reicht von Frieden und Sicherheit über globale wirtschaftliche Stabilität und Wachstum bis hin zum digitalen Wandel.

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Derweil hoffen Umweltverbände noch auf mutige Beschlüsse beim G7-Gipfel. So fordert die Organisation Germanwatch in Bonn konkrete glaubwürdige Vereinbarungen gegen die Klimakrise. Der G7-Gipfel solle die globale Klimapolitik »als Sicherheitsfrage« auf die Agenda setzen. Falls – wie zu erwarten – wegen Donald Trump kein gemeinsamer Nenner aller Teilnehmer möglich sei, sollte Bundeskanzler Merz ein abgestimmtes Statement einer G6 vorantreiben. Umweltverbände sehen Deutschland als klimapolitisches Schwergewicht in einer besonderen Verantwortung.

Bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt, aber sie stirbt. Seit Langem kritisieren Beobachter eine gewisse Beliebigkeit solcher Gipfeltreffen. Dies sei eben eine Reaktion auf die vielfältigen Krisen in aller Welt und bleibe den unterschiedlichen nationalen Interessen geschuldet, die auch die Reaktionen der Regierungen westlicher Industrieländer bestimmen.

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