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Schikanen gegen Anti-Veteranentag-Bündnis
Auch Veteranen der Bundeswehr werden sich in Berlin an den Protesten gegen das Event zu Ehren der Truppe beteiligen
Am Sonntag lädt die Bundeswehr das erste Mal bundesweit zu Veranstaltungen anlässlich des Veteranentags ein. Die zentrale Party soll rund um das Reichstagsgebäude mit dem Plenarsaal des Bundestages steigen. Auf großen Plakaten wird von einem Familienfest unter dem Motto »Wir halten zusammen – Schulter an Schulter« gesprochen. Darauf sind Personen in Uniform zu sehen. Eine trägt eine Beinprothese.
Verschiedene Gruppen mobilisieren schon seit Wochen gegen den Veteranentag am 15. Juni, weil sie ihn als einen weiteren Schritt zur Militarisierung der Gesellschaft begreifen. Zu einer Demo ab 14 Uhr mit anschließender Kundgebung lädt das linke Bündnis »No Veteranentag« ein. Der Provisorische Anarchistische Antikriegsrat will schon um 13 Uhr eine Kundgebung auf dem Festgelände abhalten. Beiden Gruppen wurde aber von der Polizei signalisiert, dass sie wegen einer »Allgemeinverfügung« ihre Kundgebungen nur in größerer Entfernung abhalten dürfen.
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Das Bündnis und der Antikriegsrat haben von Anfang an auch die Veteranen selbst angesprochen. »Wir fordern sie auf, sich gegen eine Bundeswehr und eine Gesellschaft zu stellen, die wieder kriegsfähig gemacht werden soll«, sagt Samira, die sich im Antikriegsrat engagiert. Sie erinnert an die wichtige Rolle der US-Veteranen bei den Protesten gegen den Vietnamkrieg Ende der 60er Jahre.
So weit ist es in Deutschland noch nicht. Doch die Kundgebung des Antikriegsrats solle ein Baustein für eine neue antimilitaristische Bewegung in Deutschland werden, hofft Samira: »Sie soll eine Anlaufstelle und ein Sprungbrett zu antimilitaristischen Interventionen zum Veteranentag bieten.« Zu jeder vollen Stunde sollen mit Lärm und Transparenten die Forderungen der Kriegsgegner deutlich gemacht werden, auch innerhalb des abgesperrten Geländes rund um das Reichstagsgebäude.
Am Donnerstag berichtete der Antikriegsrat über ein Gespräch mit Vertretern der Polizei, die darauf verwiesen hätten, dass es »wahrscheinlich« eine »Allgemeinverfügung« gegen Demonstrationen auf dem Festareal geben werde. Offenbar habe die Bundeswehr Angst vor Protesten, schlussfolgert die Gruppe. »Nichts fürchten sie gerade mehr als antimilitaristische Sichtbarkeit und Gegenbilder«, schreibt sie in einer Presseerklärung. Der Antikriegsrat mobilisiert angedrohten Verboten zum Trotz weiter zur Protestkundgebung am angemeldeten Ort Ebertstraße/Ecke Scheidemannstraße/Dorotheenstr.
Das Bündnis »No Veteranentag« hat seine Abschlusskundgebung derweil an die Marschballbrücke verlegt, weil die Polizei die in der Nähe des Reichstagsgebäudes angemeldete untersagt hat. Eine Demo des Bündnisses startet am Sonntag um 14 Uhr vom S-Bahnhof Friedrichstraße. »Wir sehen dies als eine Einschränkung unseres Demonstrationsrechts. Dazu gehört nicht nur die Hör- und Sichtweite, sondern auch die Öffentlichkeit – und die wäre am Reichstag definitiv größer als an der Marschallbrücke«, erklärte das Bündnis, zu dem neben antifaschistischen und antimilitaristischen Gruppen auch Bezirksverbände der Linken und die Linksjugend Solid gehören. Unter dem Motto »Wir feiern Eure Kriege nicht« wird es den Veteranentag als Teil der Militarisierung in Deutschland kritisieren. Zu den Redner*innen gehören der Bundeswehrveteran und nd-Autor Daniel Lücking sowie Ingar Solty, Buchautor und Experte für Friedens- und Sicherheitspolitik in der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Samira vom Anarchistischen Antikriegsrat sieht eine Strategie der Bundeswehr, traumatisierte oder verletzte Ehemalige an sich zu binden. »Ich bin auch eine Veteranin, denn das sind laut den Veranstaltern des Veteranentags alle ehemaligen Wehrpflichtigen.« Samira sieht darin eine unzulässige Vereinnahmung. Sie absolvierte 1985 den damals 15-monatigen Grundwehrdienst in der bis heute nach dem hochdekorierten Generalfeldmarschall der Wehrmacht Erwin Rommel benannten Kaserne in Augustdorf zwischen Bielefeld und Paderborn.
»Ich landete in einer Kampfeinheit, entsprechend hart waren der Druck und der Drill«, erinnert sich Samira. »Wir wurden gezwungen, verbotene Nazilieder zu singen.« Es habe aber Soldaten gegeben, die sich dagegen organisierten. »Und plötzlich gab es diese illegale anarchistische Soldatenzeitung ›Rührt Euch!‹, die über einzelne Offiziere und Kompanien wenig Schmeichelhaftes berichtete«, erzählt die Aktivist*in. Samira wurde damals verdächtigt, etwas mit der monatlich erscheinenden Zeitung zu tun zu haben, die Autonome an den Kasernentoren verteilten. »Sie war sehr zum Ärger des Militärischen Abschirmdienstes und der militärischen Führung der Renner unter den Wehrpflichtigen.«
Doch auch in der Kaserne gab es Widerstand, sagt Samira. Sie wurde in einer Einheit für Panzerspähsoldaten ausgebildet, die im Ernstfall hinter den feindlichen Linien operieren sollte. »Innerhalb meiner Kompanie erklärten etwa 30 Soldaten schriftlich, dass sie im Ernstfall nicht marschieren würden«, erinnert sie sich. Doch sie erlebte auch individuelle Akte der Verzweiflung: »Ich erlebte, wie sich Soldaten selbst verstümmelten, nur um den Militärübungen zu entgehen.« Insbesondere solche Veteranen will der Antikriegsrat ansprechen und mobilisieren.
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