- Wirtschaft und Umwelt
- Kommunen in Deutschland
Inklusion: Dicke Bretter in regionalen Werkstätten
Kommunen planen kurzfristig inklusiv, es fehlt jedoch vielerorts an nachhaltigen Strategien
Der Bau des Stadtforums in Dresden führte zu hitzigen Diskussionen – über Kosten und Ästhetik, Naturstein und Aluminiumelemente. Bezüglich Barrierefreiheit sei hier jedoch einiges richtig gemacht worden, freut sich Manuela Scharf, Beauftragte für Menschen mit Behinderungen Dresden, als sie am Montag im neuen Verwaltungsgebäude sitzt.
Heute ist das Gebäude mit taktilen Lageplänen für Menschen mit Sehbehinderungen ausgestattet, mit Bodenindikatoren und Türschildern mit Piktogrammen. Keine Selbstverständlichkeit, meint Scharf. »Manchmal gelingt die Umsetzung so wie beim Stadtforum gut, manchmal eben schlecht.« Das liege daran, dass es in Dresdens Aktionsplan keine langfristige Strategie zur Entwicklung von Barrierefreiheit gebe.
Laut einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) und der Universität Siegen betreiben 41 Prozent der 619 deutschen Kommunen mit über 50 000 Einwohner*innen »systematische Planungsaktivitäten« zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Systematische Planungsaktivitäten bedeuten, dass eine Kommune nicht zum Beispiel mittels Einzelmaßnahmen städtische Museen für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen barrierefrei umbaut. Stattdessen beschäftigt sie sich langfristig mit kultureller Teilhabe in diversen Bereichen. Dazu gehört beispielsweise, mehr Menschen mit Behinderungen in Museen anzustellen oder den Nahverkehr barrierefrei zu gestalten.
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Den Studienergebnissen zufolge setzen Kommunen Aktionspläne am ehesten zu den Themen Arbeit, Wohnen sowie Erziehung und Bildung um. In Sachsen-Anhalt gibt es den höchsten Anteil systematischer Planung, den geringsten im Saarland. Die Prozesse sind erfolgreicher, wenn Menschen mit Behinderung an der Initiierung beteiligt sind.
Generell sei die Aufmerksamkeit, die Inklusion auf kommunaler Ebene gewidmet werde, beeindruckend, sagt Albrecht Rohrmann, Leiter der empirischen Projektforschung von der Universität Siegen. Maßnahmen blieben jedoch häufig ungenau definiert und selten würden längerfristige Strategien entwickelt. »Anstelle systematischer Planung wird die Umsetzung jedes Projekts zu einem neuen Kampf.«
Bereits 2015 kritisierte der UN-Fachausschuss für Menschen mit Behinderungen, dass die Entwicklung von Aktionsplänen zur Stärkung ihrer Rechte uneinheitlich vorangehe. Juristisch gesehen sind Kommunen durch ein Zusammenspiel aus Völkerrecht, Europarecht und deutschem Recht zur Umsetzung der UN-BRK verpflichtet, sagt Leander Palleit von der Monitoring-Stelle der UN-BRK des DIMR.
»Anstelle systematischer Planung wird die Umsetzung jedes Projekts zu einem neuen Kampf.«
Albrecht Rohrmann Universität Siegen
In Dresden sei nach der Einführung der UN-Behindertenrechtskonvention und des Nationalen Aktionsplans zu ihrer Umsetzung schnell »Feuer dagewesen«, erinnert sich Scharf an das Jahr 2013, als in ihrer Heimatstadt der erste Planungszyklus zur Inklusion startete. »Menschen mit Behinderung haben das damals laut genug eingefordert.«
Der Inklusionsplan für Kitas sei in Dresden sogar schneller als der Sachsens vorangeschritten. Mittlerweile liegt der Anteil von inklusiven Kitas in der Stadt bei 75 Prozent. Nicht nur wurden Einrichtungen inklusiver gestaltet, sondern auch ehemalige Sondereinrichtungen für alle Kinder geöffnet.
Prinzipiell, stellt Scharf fest, gebe es Bereiche, um die sich die Kommune Dresden aber nicht alleine kümmern könne. »Die Stadtverwaltung kann Menschen als Arbeitgeber anstellen, das dicke Brett Werkstattinstitutionalisierung kann die Kommune aber nicht lösen.« Werkstätten für Menschen mit Behinderungen stehen in der Kritik, weil sie die Integration ins klassische Arbeitsleben erschweren. Bei derlei großen Themen sei eine Zusammenarbeit von Kommune, Land und Bund wichtig, so Scharf.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.