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Der stumpfe »119er«: Strafverfahren gegen Foot Locker eingestellt
Führungskräfte der Sportschuh-Kette Foot Locker sollen den Betriebsrat behindert haben. Ein Strafverfahren wurde jetzt eingestellt
Kolleg*innen, die sich im Betrieb organisieren, die Gewerkschaftsstrukturen aufbauen und einen Betriebsrat gründen wollen, begeben sich in Gefahr. Zwar gibt es endlos schöne Geschichten, in denen Beschäftigte gemeinsam ihre Arbeitsbedingungen erfolgreich verbessern können. Doch zur Realität gehört auch das Risiko, das gewerkschaftlich aktive Beschäftigte und engagierte Betriebsräte eingehen, und wie wenig das deutsche Recht sie vor Angriffen der Arbeitgeber schützt. Im Gegenteil: Der Rechtsweg ist lang und beschwerlich. Er endet selten mit einem Urteil – selbst wenn die Betroffenen auf dem Papier recht haben. Diejenigen, die diesen Weg auf sich nehmen, scheiden häufig zermürbt aus dem Unternehmen aus und fehlen dann als engagierte Kolleg*innen. Jüngste Entwicklungen in einem Fall bei der Sportschuh-Kette Foot Locker legen insbesondere nahe, dass das Strafrecht den Betriebsräten kaum zur (Selbst-)Verteidigung taugt.
»Ich habe 25 Jahre lang für dieses Unternehmen gearbeitet, habe meine Kolleg*innen unterstützt, mich für andere reingeworfen und richtig investiert. Mit dem Ergebnis nun frage ich mich, ob dieser Preis es wert war.« Das sagt Murat Atas. Er war Betriebsrat in einer Berliner Filiale von Foot Locker und Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats. Mit »dem Ergebnis« meint er die Vorgänge am Berliner Amtsgericht der vergangenen Wochen.
Nachdem Atas Kolleg*innen 2016 in Berlin den ersten Betriebsrat in der Filiale in der Tauentzienstraße gebildet hatten, mussten sie ihn erst davon überzeugen, auch aktiv zu werden. Von Beginn an war die Zusammenarbeit zwischen den Betriebsräten und der Unternehmensführung angespannt. Als der Betriebsrat die Zustimmung zu den Dienstplänen verweigerte, weil Foot Locker die Mitarbeiter*innen-Toilette nicht reinigen ließ, drohte das Unternehmen damit, Gehälter einzubehalten. Im Juni 2021 wurde die Betriebsratshochburg in der Tauentzienstraße geschlossen. Die Begründung damals: Der Laden sei nicht mehr rentabel. Im September 2022 eröffnete zwei Häuser weiter eine neue Filiale.
Die Beschäftigten machten gegen die Schließung mobil. Auch Murat Atas war als Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates mit der Sache befasst. In dieser Zeit laufen vor dem Berliner Arbeitsgericht mehrere Verfahren, in denen sich die Foot-Locker-Betriebsräte gegen ihre Kündigungen wehren. Doch die Verfahren enden in der Regel ohne ein Urteil. Die Betroffenen stimmen den Kündigungen zu, weil Foot Locker bereit ist, Abfindungen zu zahlen – und weil Entscheidungen vor dem Arbeitsgericht auf sich warten lassen. Wer eine Entscheidung bekommen will, muss zunächst durch das Güteverfahren mit dem Arbeitgeber. Kommt es zu keiner Einigung, werden Stand heute Kammertermine für Mai 2026 vergeben. Viele wählen dann lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Im Mai/Juni 2022 sollte auch Atas Foot Locker verlassen. Ihm wird gekündigt und Teile seines Gehalts werden einbehalten. Er bekommt Probleme, seine Miete zu zahlen. »Und so kommen auch schon mal so Gedanken wie Suizid jemandem durch den Kopf«, sagt Atas in einem Beitrag des Deutschlandfunks. Das weiterhin abrufbare Radio-Feature aus dem Jahr 2023 dokumentiert die Wesensveränderungen von Atas und einem seiner Kollegen im Laufe ihrer Gerichtsverfahren. Im Februar 2023 stimmte Atas der Kündigung zu. Er erhält 1,3 Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr.
Nach der Veröffentlichung des Hörspiel-Features habe er eigentlich »mit der Sache« abgeschlossen, sagt Atas mittlerweile. Doch wie »nd«-Recherchen ergaben, hat der Fall zuletzt noch mal eine unerwartete Wendung genommen. Da Atas und seine Kolleg*innen im Betriebsrat das Vorgehen der Unternehmensführung gegen sie als so gravierend erachten, stellten sie Strafanzeige. »Tagelang haben wir die Vorgänge mit meinem Anwalt dokumentiert, drei, vier Stunden haben wir bei einer engagierten Kriminalpolizistin ausgesagt«, erinnert sich Atas. Bis dahin war in Berlin noch nie Anklage erhoben worden.
Das änderte sich Anfang dieses Jahres: Zwei Führungskräften von Foot Locker wirft die Staatsanwaltschaft Behinderung und Störung der Tätigkeit des Betriebsrats in Tateinheit mit Nötigung vor, wie eine Sprecherin des Amtsgerichts mitteilte. Der Tatzeitraum liege im Mai 2022. Der Paragraf 119 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) stellt die Behinderung von Betriebsratsarbeit und Störung von Betriebsratsgründung unter Strafe. Das Höchststrafmaß beträgt ein Jahr Haft.
»So zielt das Gesetz bisher nur auf kleine Unternehmen.«
Murat Atas
Ehemaliger Betriebsrat von Foot Locker
Monatelange blieb offen, ob das Gericht die Anklage zulässt und ein Hauptverfahren eröffnet. Erst dann wäre die ganze Anklageschrift der Staatsanwaltschaft einsehbar. Ende Mai dann die enttäuschende Nachricht: »Das Amtsgericht Tiergarten hat das Verfahren gegen beide Angeklagte gegen Geldauflagen von jeweils 5000 Euro vorläufig eingestellt.« Wie das Gericht mitteilte, kann nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung »ein Verfahren eingestellt werden, wenn eine Auflage genügt, um das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen«. Davon sei das Gericht hier ausgegangen, erklärte eine Sprecherin des Gerichts. Für die Angeklagten gilt weiterhin die Unschuldsvermutung. Eine Ermittlung der Schuld findet nicht statt.
Dass das Gericht den Fall nicht weiter verfolgt, versteht er nicht, sagt Atas. »Union Busting ist kein Kavaliersdelikt und das war es in unserem Fall erst recht nicht.« Atas, der sich aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit anderen Betroffenen und Expert*innen austauscht, ist sich sicher, dass die Behinderung von Betriebsräten in Deutschland gang und gäbe sei. Der nun bekanntgewordene Ausgang bestätige seine frühere Einschätzung. »Wir haben schon 2022 festgestellt, dass das Betriebsverfassungsgesetz reformiert werden muss, sodass die Täter am Ende nicht mit 5000 Euro davonkommen, sondern mit 500 000 Euro rechnen müssen. So zielt das Gesetz bisher nur auf kleine Unternehmen.«
Foot Locker selbst teilte bereits zuvor mit, sich nicht zu »Einzelfällen« zu äußern. Man arbeite weiterhin an positiven Beziehungen zu den Betriebsräten in Deutschland und erachte alle Mitarbeiterbeteiligungen immer als äußerst wichtig, erklärte eine Sprecherin. »Beim Aufbau dieser Zusammenarbeit befolgen wir alle Richtlinien und Anforderungen des jeweiligen Landes.«
Für eine Einordnung des Vorgangs hat sich »nd« mit dem Anwalt getroffen, der die Betriebsräte seit der Gründung in der Tauentzienstraße lange begleitet hat. Er war auch dabei, als der Betriebsrat den Strafantrag formulierte. Er möchte anonym bleiben.
Zunächst hätten sich die Konflikte im Rahmen des Üblichen bewegt, sagt er. Doch am Ende »gab es eine Eskalation zwischen den beiden Betriebsparteien, die ich so persönlich noch nie erlebt habe«. Kern des Strafantrags seien seiner Einschätzung nach die vom Betriebsrat nicht genehmigten Dienstpläne gewesen. »Der Arbeitgeber hat die Auszahlung von Vergütungen an bestimmte Bedingungen geknüpft, wie der Betriebsrat sich verhalten soll.«
Eigentlich sei das vorgesehene Verfahren hierfür die Klärung vor der Einigungsstelle. Der Anwalt sagt: Wenn man den Konflikt auf dem regulären Weg geklärt hätte, hätte es den Arbeitgeber wahrscheinlich insgesamt um die 15 000 Euro gekostet. Jetzt zahlt Foot Locker 10 000 Euro. Mit Blick auf Staatsanwaltschaft und Gerichte sagt der Anwalt: »Um die Auswirkungen dieses Agierens auf die Betriebsratsarbeit und damit die Bedeutung für 119 BetrVG zu erkennen, sind vertiefte Kenntnisse im Betriebsverfassungsrecht notwendig.«
Die größte Hürde in der Anwendung des Paragrafen 119 BetrVG sei, den Vorsatz nachzuweisen. »Und dann natürlich, dass es ein Antragsdelikt ist«, sagt der Arbeitsrechtsanwalt. Nur auf Antrag des Betriebsrats selbst oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft darf die Staatsanwaltschaft ein Verfahren einleiten, was insbesondere ein Problem ist, wenn Betriebsräte neu gebildet werden sollen. Die Ampel-Regierung wollte den »119er« zum Offizialdelikt erklären, dann hätten Staatsanwaltschaften von sich aus Ermittlungen einleiten müssen, zum Beispiel wenn sie von Sachverhalten über Medien oder Whistleblower Kenntnis erlangt hätten.
Betriebsräten, die unter Beschuss stehen, empfiehlt der Anwalt, »in jedem Fall erst mal alle ihre Optionen auf den Tisch zu legen«. Ein Fehler sei zu denken, dass man sich zunächst individuell verteidigen müsse, wenn beispielsweise der eigene Lohn einbehalten worden ist oder mehrere Abmahnungen ausgesprochen wurden, weil ein Zettel nicht ausgefüllt worden sei. »Mein Gefühl ist, dass Betriebsräte dazu neigen, wenn sie in die Ecke gedrängt werden, den unmittelbar nächsten Schritt zu gehen, ohne den konkreten Angriff in das Gesamtbild einzusortieren.«
So würden die Angriffe immer schnell als Einzelschicksal begriffen, sagt der Anwalt, obwohl sie eine systematische Sache seien. »Es ist wesentlich, dass man die Angriffe strukturell betrachtet.« Viele Arbeitgeberkanzleien hätten erkannt, dass es das effektivste Mittel sei, einen Keil in die Betriebsräte zu treiben. »Meine Praxiserfahrung zeigt: Das geht total auf«, sagt der Anwalt.
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