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Besuch bei den Portland Timbers: Nicht Fußball, sondern Soccer
Ein Spiel der US-Profiliga MLS kann zum Kulturschock führen, selbst bei einem Team mit offen antifaschistischer Fanszene
Old Trapper heißt das offizielle Beef Jerky der Portland Timbers. Das lassen mich zumindest die Werbebanden im Providence Park wissen, als ich mit meinem 13-Dollar-Bier aus den Katakomben auf die Tribüne stolpere. Hohe Bierpreise können mich nach den Erfahrungen, die ich in den vergangenen Wochen schon beim Baseball gemacht habe, nicht mehr beeindrucken. Schon anders sieht das bei dem in der Sonne glitzernden Kunstrasen aus, den Mitarbeiter vor Spielbeginn noch einmal mit Wasser bespritzen. Es dauert ein bisschen, bis ich begreifen kann, was ich aus deutschen Stadien schlichtweg nicht kenne.
Während im deutschen Männerfußball die letzten Entscheidungen schon vor einigen Wochen gefallen sind, läuft für die Teams der Major League Soccer (MLS) noch die Saison. Die Timbers befinden sich zurzeit auf Playoff-Kurs in der Western Conference, einer von zwei Divisionen der MLS. Die Gäste aus Colorado, die Colorado Rapids, wollen ebenfalls in die K.-o.-Runde.
Gute Voraussetzungen also für ein spannendes Spiel – und Portland gilt in den USA nicht nur als liberale Hipster-Hochburg, sondern auch als besonders fußballverrückt. Neben den Timbers sorgen die Frauen der Portland Thornes regelmäßig für gefüllte Ränge im rund 25 000 Plätze starken Providence Park. Der Sport profitiert dabei auch von der Abwesenheit der üblichen Konkurrenz. Für seine mehr als 630 000 Einwohnerinnen und Einwohner hat Portland noch ein Basketball-Team in der NBA zu bieten. In den Top-Ligen für Eishockey, Baseball und American Football ist die Stadt nicht vertreten.
Preiswerte Tickets und große Begeisterung
Für preiswerte zehn Dollar habe ich ein Ticket auf der Westtribüne gekauft. Die grünen Holzbänke, auf denen wir sitzen, passen gut ins Konzept der Timbers, die ganz im Zeichen des Holzfäller-Kults steht. Das lässt sich auch über das Erscheinungsbild meines Sitznachbarn mit stilechtem Hipster-Vollbart sagen, der von Anpfiff an absolute Begeisterung versprüht. Ich fremdle mit diesem überbordenden Enthusiasmus, frage mich, warum, und finde die Erklärung in meiner toxischen Beziehung zum 1. FC Kaiserslautern. »Great save!«, ruft der junge Portlander, als der kanadische Timbers-Keeper Maxime Crépeau einen Schuss im Stehen fängt.
Die eigentliche Stimmung kommt von der Nordtribüne, Heimat der Timber Army. Die Portlander Ultras positionieren sich offen gegen Faschismus und für LGBTQ-Rechte. 2019 geriet die Gruppe deshalb mit der MLS aneinander. Die Liga verbot der Timber Army zwischenzeitig, das Symbol der Eisernen Front zu zeigen, eines sozialdemokratischen Bündnisses in Deutschland, das Widerstand gegen die Nationalsozialisten leistete. Nach Protesten der Fanszene gab die MLS schließlich klein bei. Heute, gegen die Colorado Rapids, hängen die drei Pfeile der Eisernen Front zusammen mit LGBTQ- und Black-Lives-Matter-Bannern wieder vor der Fankurve. Direkte Attacken auf Donald Trump sind in der Kurve nicht zu sehen. Trotzdem wirkt das North End, wie die Portlander ihre Nordtribüne nennen, schon an sich wie ein Statement gegen den US-Präsidenten.
Während die Timber Army eher trommelt und singt, machen die Timbers nichts aus ihrer Überlegenheit auf dem Spielfeld und wirken fahrig. Statt den letzten Pass zu spielen, wird überhastet abgeschlossen. »Hier will wohl jeder der große Star sein«, denke ich mir spöttisch – als wäre das in Europa nicht auch der Fall. Die Grundregeln des Fußballs zumindest erweisen sich auf beiden Seiten des Atlantiks als dieselben: Portland macht das Tor nicht und wird von Colorado in der 33. Minute mit dem Gegentreffer dafür bestraft. Kurz kommt auch bei meinem bärtigen Sitznachbarn allmählich schlechte Laune auf. Der für die Timbers kurz vor der Halbzeit gegebene Elfmeter wird daran nur kurz etwas ändern: Der chilenische Stürmer Felipe Mora vergibt mit einem unmotivierten Schuss in die Mitte des Tores, wo eben auch schon Rapids-Keeper Nico Hansen steht.
St.-Pauli-Fans als Vorsänger
In der Pause scrolle ich noch einmal durch die Informationen, die mir beim digitalen Ticketkauf an die Hand gegeben wurden. Ich stoße auf eine Übersicht der Timbers-Fangesänge. Was sich anderswo durch regelmäßige Stadionbesuche hart erarbeitet werden muss, bietet die Timbers Army einfach so an. Ergänzt werden die Texte durch Videos, die den Fangesang oder zumindest dessen Melodie im Einsatz zeigen. Ich klicke auf den ersten Link und sehe plötzlich St.-Pauli-Fans im Auswärtsblock. Die Timbers lassen sich inspirieren: Aus »Die ganze Kurve singt und tanzt für dich« wird »We’re gonna take over the world you see«. Später werde ich herausfinden, dass die Timbers Army immer mal wieder in Schlachtrufen mit dem Deutschen kokettiert. Sogar ihren eigenen Fan-Treffpunkt, der zu Spieltagen gegenüber vom Stadion öffnet und auch einen Shop hat, nennen die Portlander »Fanladen«. Die Aussprache bleibt dann der Fantasie überlassen.
Die zweite Halbzeit beginnt und mir steigen Gerüche aller Art in die Nase. Pizza, Nachos mit Käse, Popcorn – gibt’s auch hier im Stadion! Die Amis greifen fröhlich zu, als ginge es hier nur um Unterhaltung. Wieder muss ich meine Sozialisierung als FCK-Fan reflektieren und bemerke, wie eng mein Fan-Dasein mit purem Leid verknüpft ist. Vergnügt Popcorn naschen, während mein Verein gegen den Rückstand anspielt? Undenkbar. Ich blicke nach rechts und sehe plötzlich, dass es hinter dem Tor auf der Südseite des Stadions zugeht wie beim Food Court im Einkaufszentrum. Fans haben es sich mampfend an Stehtischen gemütlich gemacht und ich fühle mich mehr als Ausländer denn je.
Timber Joeys großer Auftritt
In der 58. Minute dreschen die Rapids den Ball aus fünf Metern gegen die Latte der Timbers. Im direkten Gegenzug kontert Portland und der Brasilianer Antony schiebt zum 1:1 ein. Der Jubel ist groß und ich bilde mir ein, dass Hotdogs durch die Luft fliegen. Was ich tatsächlich sehe, sind grüne Rauchwolken, die aus dem Ultra-Block aufsteigen, ein stämmiger Typ mit Waldarbeiter-Helm und Timbers-Trikot wirft seine Kettensäge an. Timber Joey, eine ganz besondere Art von Maskottchen, hat die ruhmvolle Aufgabe, nach jedem Portland-Treffer eine Scheibe von einem Baumstamm abzusägen. Der liegt, verziert mit Timbers-Schals, vor der Fankurve bereit. Anschließend begibt sich der Mann mit seiner Holzscheibe auf Stadiontour und präsentiert sie der jubelnden Menge. So will es der Brauch.
Ein paar Minuten später müssen die Rapids mit einem Spieler weniger auskommen. Der junge Wayne Frederick aus Trinidad und Tobago hat vollkommen über die Stränge geschlagen. Schließlich darf Timber Joey in der 76. Minute erneut die Kettensäge anwerfen. Die Timbers gewinnen 2:1, mein bärtiger Sitznachbar und ich verlassen zufrieden das Stadion – auch wenn er beim vermeintlichen 3:1 erst zehn Sekunden zu spät bemerkt hat, dass schon längst auf Abseits entschieden wurde. Draußen angekommen notiere ich mir einen letzten Pluspunkt für mein MLS-Erlebnis in Portland: kein Stress, mit den Öffis nach Hause zu kommen. Alle anderen sind eh mit dem Auto da.
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