Neuer Gesetzentwurf: Pistorius bereitet Wehrpflicht vor

Die Musterung für einen Wehrdienst nach schwedischem Modell soll laut einem Gesetzentwurf 2027 starten

Die ersten deutschen Wehrpflichtigen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden am 19. Mai 1957 verpflichtet. 70 Jahre später soll die Musterung für den »neuen Wehrdienst« beginnen.
Die ersten deutschen Wehrpflichtigen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden am 19. Mai 1957 verpflichtet. 70 Jahre später soll die Musterung für den »neuen Wehrdienst« beginnen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hebt stets hervor, dass ein neuer Wehrdienst »zunächst« auf Freiwilligkeit beruhen werde. Nun stehen laut einem Bericht des »Spiegel« die Kriterien fest, nach denen aus einer freien Entscheidung eine Verpflichtung werden soll. Das Magazin berichtet von einem entsprechenden Gesetzentwurf, der ihm vorliege.

Demnach soll die Bundesregierung künftig in der Lage sein, »mit Zustimmung des Deutschen Bundestages die verpflichtende Heranziehung von Wehrpflichtigen zu veranlassen, wenn die verteidigungspolitische Lage dies erfordert«. Laut dem »Spiegel«-Bericht hinge die Einziehung also nicht davon ab, ob der Spannungs- oder Konfliktfall ausgerufen wird – sondern von der Einschätzung der verteidigungspolitischen Lage durch Bundesregierung und Bundestag.

Yannick Kiesel, Referent für Friedenspolitik bei der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen (DFG-VK) sieht darin einen Abbau von rechtsstaatlichen Hürden und demokratischer Kontrolle: »Sobald es der Regierung passt, kann sie die Freiwilligkeit aufheben. Wann das sein wird und welche ›Lage‹ hier gemeint ist, kann niemand wissen und wird auch nicht konkretisiert«, so Kiesel zu »nd«. Damit werde die Schwelle zur Einziehung massiv gesenkt und ein Türöffner für willkürliche Zwangsmaßnahmen geschaffen. Der Friedensaktivist sagt: »Das ist keine echte Freiwilligkeit, sondern eine schrittweise Remilitarisierung der Gesellschaft.«

Ähnlich sieht es Desiree Becker, friedens- und abrüstungspolitische Sprecherin der Linke-Bundestagsfraktion: »Im Kern geht es Verteidigungsminister Pistorius bei diesem Gesetzentwurf vor allem darum, eine neue gesetzliche Grundlage für die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu schaffen.« Alles andere an dem Gesetzentwurf sei »Blend- und Beiwerk«.

»Das ist keine echte Freiwilligkeit, sondern eine schrittweise Remilitarisierung der Gesellschaft.«

Yannick Kiesel Referent bei der DFG-VK

Dazu gehört ein freiwilliger Wehrdienst nach »schwedischem Modell«: An alle jungen Menschen ab Jahrgang 2008 soll ein Fragebogen versandt werden, der das Interesse am Dienst in der Bundeswehr abfragt. Männer müssen ihn ausfüllen, für Frauen ist das freiwillig. Damit enthalte der neue Wehrdienst »von vorneherein aber auch verpflichtende Elemente«, zitiert der »Spiegel« aus dem Entwurf.

Die Musterung soll im Laufe des Jahres 2027 eingeführt werden und bis zu einem Alter von 25 Jahren gelten. Anders als bis zur Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 2011 soll sie nicht mehr zwingend in jedem Fall eine ärztliche Untersuchung beinhalten. Das allerdings sei »nur eine kosmetische Änderung«, die das »neue Wehrpflichtmodell harmloser wirken lassen« soll, meint Kiesel.

Der Dienst soll unter anderem mit einem höheren Sold attraktiver werden. Wehrdienstleistende würden dem »Spiegel«-Bericht zufolge als Zeitsoldaten bezahlt werden und somit mehr als 2000 Euro netto monatlich erhalten. Kiesel schätzt die Erfolgsaussichten solcher Maßnahmen als gering ein: »Pistorius weiß selbst, dass er seine Zielzahlen rein freiwillig kaum erreichen wird – sonst bräuchte es keine Meldepflicht für alle 18-jährigen Männer und kein Auswahlverfahren durch die Bundeswehr.« Diese Einschätzung teilt Linke-Politikerin Becker: »Einer ganzen Generation junger Menschen wird die Pistole auf die Brust gesetzt nach dem Motto ›Meldet euch jetzt freiwillig, sonst zwingen wir euch später!‹«

Zurzeit sind rund 181 000 aktive Soldat*innen bei der Bundeswehr. Pistorius will bis 2021 eine aktive Truppenstärke von 203 000 erreichen. Nach den neuen Nato-Zielen muss die Bundeswehr sogar eine Personalstärke von mindestens 60 000 zusätzlichen Männern und Frauen erreichen.

Bei dem mehr als 50 Seiten umfassenden Dokument, aus dem der »Spiegel« zitiert, handelt es sich um einen Referentenentwurf. Ende August soll das Kabinett darüber beschließen. Dann könnte sich nach der Sommerpause der Bundestag mit den geplanten Änderungen befassen, sodass der neue Wehrdienst Anfang 2026 umgesetzt werden könnte.

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