- Politik
- Staatsumbau in den USA
Der ideelle Gesamtkaputtalist
Die Rechte imaginiert Bürokratie als Feindin der Freiheit – dabei braucht der Kapitalismus den Staat, um seine Selbsterhaltung zu organisieren
Der Kapitalist Elon Musk schien der perfekte Anführer des neu gegründeten Departement of Government Efficiency (DOGE) zu sein. Aber seit die Behörde durch die Trump-Regierung vor einem halben Jahr eingerichtet wurde, hagelt es auch Kritik: Die angestrebte Schrumpfung des US-amerikanischen Verwaltungsapparats und die damit verbundenen Budgetkürzungen wurden als antidemokratisch, als Angriff auf den Rechtsstaat und als Korruption im ganz großen Maßstab zum Schaden der Verletzlichsten in aller Welt beschrieben.
Nachdem der Männerbund zwischen Musk und Trump nun zerbrochen ist und der reichste Mann der Welt sich zunächst wieder ganz der Vermehrung seines Reichtums widmen wollte, nur um dann die Gründung einer neuen Partei anzukündigen, verfolgt das DOGE weiter sein Programm. Was lässt sich daran über das Intimverhältnis von Staat und Kapital lernen?
Kahlschlag und kleine Proteste
Kurzer Blick zurück: Am 29. Mai hatte die Protestbewegung »Tesla-Takedown« zu einem internationalen Protesttag gegen den Elektroautokonzern aufgerufen. Durch öffentlichen Druck, Boykott und Verkauf von Tesla-Fahrzeugen und Aktien sollte Elon Musk, der den mächtigsten Staat der Welt nach seinen Vorstellungen umbauen will, dort getroffen werden, wo es ihm am meisten wehtut: bei seinem Geld. Tatsächlich musste Tesla im ersten Quartal 2025 massive Einbrüche verkraften. Die weltweiten Auslieferungen sanken um 13 Prozent auf 336 681 Fahrzeuge, und der Nettogewinn brach gegenüber dem Vorjahr um 71 Prozent auf 409 Millionen US-Dollar ein. Analyst*innen sehen die Ursachen einerseits in Produktionsproblemen, aber auch im Imageverlust durch Musks politische Verstrickungen. Nun ist Musk zurückgetreten, aber die Tesla-Aktie fällt weiter – und auch DOGE bleibt erhalten.
Um die ersten sozialen Folgen der Kahlschlagpolitik der »Abteilung für Regierungseffizienz« abzufedern, organisiert die Bewegung »50501« (50 Staaten – 50 Proteste – 1 Bewegung) Demonstrationen und konkrete Nachbarschaftshilfe, etwa durch Lebensmittelsammlungen. Von den staatlichen Sparmaßnahmen sind zunehmend auch Trump-Anhänger*innen betroffen, die sich nun unerwartet ohne Job und damit Einkommensquelle wiederfinden. Aber während sich gegen die rigorose Einwanderungspolitik Trumps Proteste entfalten, scheint die Protestbereitschaft gegen die Kürzungen von DOGE gesamtgesellschaftlich (noch?) gering zu sein, obwohl sich nach Einrichtung der Behörde ein Skandal an den nächsten reiht.
Das DOGE hatte unmittelbar nach Musks Übernahme im Mai 2025 Kündigungen an Tausende Mitarbeiter von Bundesbehörden verschickt, von denen einige allerdings wieder zurückgenommen werden mussten, etwa weil man doch nicht auf eine funktionierende Atomschutzbehörde verzichten wollte. Nicht zu erwarten sind solche Bedenken allerdings bezüglich der Streichung von Finanzmitteln für die Entwicklungshilfebehörde USAID oder des Bildungsministeriums, dessen Hauptzweck immerhin in der Förderung von Bildungschancen für arme oder anders beeinträchtigte Bevölkerungsgruppen besteht. Auch ein Angriff der Trump-Administration auf die staatliche Rentenversicherung zeichnet sich ab.
Alle diese Maßnahmen, aber auch der willkürliche Zugriff der Behörde auf die sensiblen persönlichen Daten aller Steuerzahler werden von Beginn an vor mehreren Gerichten verhandelt. Den Datenzugriff segnete der mehrheitlich ultrarechte Supreme Court kürzlich ab. Ohnehin scheint aber die Bereitschaft der US-Administration, Richter*innensprüche einzuhalten, eher eingeschränkt, zumindest wird wohl von Fall zu Fall entschieden. Auch die Rechte des Parlaments, über den Staatshaushalt zu bestimmen und vieles Weitere nur per ordentlichem Gesetz zu regeln, werden durch Exekutivverordnungen des Präsidenten umgangen. Eine Verfassungskrise und das Ende der »Rule of Law« scheinen nicht ausgeschlossen zu sein.
Begründet wird all das vonseiten der Trump-Administration mit der Notwendigkeit, die Staatsausgaben zu senken, Korruption und Steuerverschwendung zu verhindern und die Macht ungewählter Bürokraten zu brechen, um »Amerika« (gemeint sind die USA) wieder groß werden zu lassen – und vor allem: dem Volk, selbstverständlich vertreten durch den vom ihm gewählten Präsidenten, die Macht »zurückzugeben«. Zwar sind Trumps Zustimmungswerte binnen kürzester Zeit auf ein Rekordtief von 44 Prozent gesunken, aber doch knapp die Hälfte der Amerikaner*innen steht weiter hinter »ihrem« Präsidenten. Wie kommt es zu der absurden Situation, dass so viele Amerikaner*innen bereit sind, die Willkürmaßnahmen von Multimilliardären als gerechten Kampf einfacher Leute gegen die Eliten aufzufassen?
Propagandahit Bürokratieabbau
Die Forderung nach Entbürokratisierung ist eigentlich immer und überall populär. Wer würde sich nicht wünschen, nicht monatelang auf Termine beim Bürgerservice warten oder stapelweise unverständliche Anträge für die schäbigsten Sozialleistungen ausfüllen zu müssen? Zurzeit versprechen auch in Deutschland die meisten Bundestagsparteien eine effizientere Verwaltung und damit verbundene Steuerersparnisse; die EU möchte den Aufwand für Unternehmen zur Einhaltung ihrer Vorschriften um mindestens 30 Prozent kürzen.
Staatliche Bürokratie erscheint in dieser öffentlichen Debatte als reiner Kropf und Überbau: eine Abteilung des Staates, die mit ihren Regelungen, Antragsverfahren, Ge- und Verboten dem freien Bürger als pure Drangsal und als Hindernis gegenübertritt – vor allem aber der »freien Wirtschaft.« Dabei ist es gerade die kapitalistische, freie Wirtschaftsordnung selbst, die durch ihre absolute Rücksichtslosigkeit gegen ihre eigenen Grundlagen, sprich: Mensch und Natur, eine staatliche Betreuung durch einschränkende Regelungen nötig macht, sei es beim Arbeits- oder Umweltschutz, durch Schadstoffgrenzen oder Produktnormierungen, den Sozialstaat oder das Gesundheitswesen.
Unbegrenzte Ausbeutung würde die Funktionsfähigkeit der Arbeitskraft insgesamt, also der gesamten Bevölkerung, gefährden. So braucht es Verbraucher- und Umweltschutzgesetze, um die Verwertung natürlicher und menschlicher Ressourcen nicht in unproduktive Zerstörung umschlagen zu lassen. Ebenso bedarf es der Regulierung der Finanzmärkte, damit die geballte Kraft des Finanzkapitals nicht in die Verwüstung der produktiven Sphäre – und damit seiner eigenen Grundlage – mündet. Und auch die Steuerbürokratie, die sich mit der kleinteiligen Erhebung und Unterscheidung verschiedener Einkommensarten und -höhen befasst, entsteht schlicht aus der Tatsache, dass praktisch niemand freiwillig Steuern zahlen würde und weil so die Verteilung von Geld in der Bevölkerung besser kontrolliert werden kann. Die sozialen Verheerungen, die der Kapitalismus im In- und Ausland produziert, schaffen schließlich das Bedürfnis nach Sozialversicherungen, Bürgergeld oder Entwicklungshilfe, deren Inanspruchnahme dann wiederum bürokratisch kontrolliert werden muss.
Wenn also die Aufgaben des Staates und seiner Verwaltung tendenziell immer weiter zunehmen, so geschieht das, um dem Zweck als »ideeller Gesamtkapitalist« gerecht zu werden, sprich: zu verhindern, dass das Profitinteresse des gesellschaftlichen Gesamtkapitals durch das Einzelinteresse seiner Bestandteile, also der großen und kleinen Einzelkapitale, untergraben wird. Dabei zielen diese staatlichen Aktionen keineswegs darauf ab, die (grundsätzlich schädlichen) kapitalistischen Umtriebe zu beseitigen, sondern darauf, die nationale Wirtschaft in eine Verlaufsform zu bringen, die diese dauerhaft erhält – und zur nie versiegenden Quelle einerseits der Staatseinnahmen, andererseits des gesellschaftlichen Reichtums überhaupt zu machen.
Die staatlichen Einschränkungen des Kapitals sind insofern keine Kampfansage an dasselbe, sondern Dienst an ihm oder wenigstens so gemeint. Jede Lockerung staatlicher Regulierungen oder Einschränkungen – sei es beim Abbau natürlicher Ressourcen (Drill, Baby, Drill!) oder eben auch die Abschaffung einer Verbraucherschutzbehörde – befreit das Kapital allerdings von Beschränkungen und Zusatzkosten und macht sich so unmittelbar als profitsteigernd für einzelne Kapitale geltend. Ob dies auch auf längere Zeit und insgesamt so bleibt, in den USA und global, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Der Erfolg dieser Politik wird nicht zuletzt davon abhängen, wie viel die Menschen an Entbehrungen und Schädigungen hinzunehmen bereit sind und wie viel sie davon ertragen können.
Klar ist jedenfalls: Staatliche Bürokratie ist nicht das Gegenteil oder gar die Feindin der freien Wirtschaft, sondern sie ist deren Bedingung und ständige Begleiterin. Dennoch entsteht aus dem Widerspruch zwischen der grundsätzlichen Notwendigkeit der staatlichen Beaufsichtigung des Verkehrs und deren Kosten für die Kapitalistenklasse immer wieder die Forderung nach Entbürokratisierung – ohne dass diese jemals wirklich erfolgreich gewesen wäre, auch weil der Kapitalismus mit seinen Lebensmittel-, Abgasmessungs- und anderen Skandalen gesichert den Bedarf und die Forderung nach neuen Regulierungen produziert.
Eine Ausnahme kennen die lautesten Verfechter eines »schlanken Staates« übrigens schon: Stichwort Law and Order. Das staatliche Gewaltmonopol, das mit Polizei und Justiz im Innern über die Einhaltung der Gesetze wacht und mit seinem unbesiegbaren Militär seine äußeren Interessen absichert, wird explizit vom Spargebot ausgenommen. Diese zumal in den USA sehr umfangreiche Staatsgewalt schafft überhaupt erst die Verhältnisse, in denen sich die Besitzer*innen von Waren, Kapital und Arbeitskraft mit gegensätzlichen Interessen gegenüberstehen. Und sie soll in den Augen Trumps tatsächlich auch einzig (und kräftig!) dafür eingesetzt werden, eine freie Konkurrenz zu ermöglichen – und sich ansonsten jeder weiteren Einmischung, beispielsweise hoher rechtsstaatlicher Hürden bei Abschiebungen, enthalten.
Steuern und Demokratie
Was will die Trump-Administration nun mit ihrem »Bürokratieabbau« erreichen? Vorgeblich dienen die vom DOGE angeleiteten Reformen einem ganz bestimmten Ziel: dem Abbau des Staatsdefizits und damit der sparsameren Verwendung der öffentlichen Mittel, also der Steuern, die von den hart arbeitenden Amerikaner*innen erwirtschaftet werden. In einer Demokratie – so die allgemeine Vorstellung – ist der Staat schließlich für seine Bürger da und nicht andersherum.
Ebenso populär wie Bürokratieabbau ist in der bürgerlichen Öffentlichkeit daher stets die Forderung nach Steuerentlastungen. Steuern sind in einer Ökonomie, deren Zweck die Vermehrung von Geld durch die Ausbeutung fremder Arbeit ist, immer ein Abzug von diesem Profit, egal ob sie als Mehrwertsteuer, Lohnsteuer oder auf Unternehmensgewinne erhoben werden. Kein erfolgreicher kapitalistischer Staat begnügt sich zudem mit dem Geld, das er über Steuern einnimmt, sondern finanziert seine Ausgaben ganz selbstverständlich durch Schulden. Dass dieser Staat dabei systematisch in die Zukunft greift, stört die herrschende Vorstellung nicht, wonach Steuerzahlung eine Art Eintrittskarte zur Mitbestimmung sei – oder wenigstens zur moralischen Forderung nach staatlicher Gegenleistung. Faktisch gelten Steuern allen – quer durch die Klassen – als individueller Abzug vom »eigenen« Einkommen, sichtbar auf der Lohnabrechnung oder dem Steuerbescheid.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Warum sollten sich die Lohnabhängigen also keine Steuerentlastungen wünschen, wenn sie dadurch mehr Geld pro Monat zur Verfügung haben? Wer hierfür, statt an realpolitische Patentrezepte zu glauben, nach wirklichen Erklärungen sucht und aus Ratlosigkeit über die politische Weltlage in den blauen Bänden der Marx-Engels-Werke blättert, stellt fest: Karl Marx und Friedrich Engels verfassten schon in den 1840er Jahren Artikel über Bürokratie, Steuern und die Forderungen nach deren Reform. Dort ist dann eben auch zu erfahren, dass Steuererleichterungen im Kapitalismus keineswegs denjenigen zugutekommen, die sich als Steuerzahler*innen missverstehen – und sich in dieser Rolle auch noch als eigentliche Subjekte des Staatshaushalts imaginieren: »Würden sämtliche Steuern, die auf der Arbeiterklasse ruhen, radikal abgeschafft, so wäre die notwendige Folge, daß der Arbeitslohn um den ganzen Steuerbetrag, der heutzutage in ihn eingeht, vermindert würde. Entweder würde dadurch der Profit der Arbeitgeber unmittelbar in demselben Maß steigen, oder es hätte nur eine Veränderung in der Form der Steuererhebung stattgefunden.« (K. Marx, MEW 4, S. 348)
Mit anderen Worten: Würde der Bürokratieabbau gelingen und würden daraus Steuersenkungen resultieren, käme das den Lohnabhängigen also entgegen aller frommen Wünsche kaum zugute. Denn ihre dauerhafte Geldknappheit ist keine Folge einzelner Abgaben oder Zuschläge, sondern ergibt sich aus ihrer grundlegenden Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess. Sie verkaufen ihre Arbeitskraft, um leben zu können, und erhalten dafür in der Regel nur gerade so viel, wie zum Überleben nötig ist. Ob ein Solidaritätszuschlag eingeführt oder abgeschafft wird, ändert daran grundlegend nichts, auch wenn die Beantwortung der Frage, was zur kapitalproduktiven Reproduktion nötig ist, flexibel gehandhabt wird – weshalb die Zahl prekärer Existenzen (»Working Poor«) auf beiden Seiten des Atlantiks stetig zunimmt.
Wenn allerdings der Kapitalist Elon Musk, dessen Unternehmen unter der neuen Regierung noch mehr subventioniert und beauftragt werden, alle anderen Staatsausgaben als Unkosten und die Bürokratie selbst als Hindernis für seine Unternehmungen begreift, hat er aus seiner Perspektive recht. Das von Musk konsequenterweise verfolgte Programm formulierte Friedrich Engels schon 1847: »Von dem Augenblick an, da die Staatsverwaltung und Gesetzgebung unter die Kontrolle der Bourgeoisie gerät, fällt die Selbständigkeit der Bürokratie zusammen; ja, von diesem Augenblick an verwandeln sich die Plagegeister der Bourgeois in ihre untertänigen Knechte.« (MEW 4, S. 54) In dieser Vorstellung Engels’ bemächtigt sich die Bourgeoisie komplett des Staates, sodass dessen Bürokratie vollständig in reiner Dienstbarkeit fürs Kapital aufgeht.
Ob diese Prognose, die in der Geschichte der bürgerlichen Staaten bislang noch nicht eingetreten ist und mit diesem tatsächlich auch nur schwer vereinbar ist, endlich Wirklichkeit werden sollte, war im letzten halben Jahr Gegenstand offener Auseinandersetzungen in den USA. An der Radikalität ihres Anspruchs lassen die Inquisitoren der DOGE allerdings keinen Zweifel.
Diktatur der Formulare?
Es ist die Eigentümlichkeit des us-amerikanischen Rechtsradikalismus, der sich durch Musks Einfluss über die Social-Media-Plattform X zunehmend global verbreitet, dass diese Ideologie den Widerspruch von Notwendigkeit und Kosten des Verwaltungsapparats vereindeutigt. Die Erzählung lautet folgendermaßen: In einem »zu großen« Staat, der häufig in denunziatorischer Absicht als »Sozialismus« bezeichnet wird, liege die Wurzel allen Übels. Die hieraus resultierende Bürokratie und Regelungswut beschneide die Freiheit der Bürger*in, weil diese sich nur auf dem freien Markt verwirklichen könne, wo sich angeblich die Besten durchsetzen sollen – Stichwort Meritokratie. Auch der Abfederung von allzu gesellschafts- und vor allem geschäftsschädigendem Rassismus und Sexismus durch Förderungsprogramme für Minderheiten und Frauen wird mit paranoid wirkendem Hass auf einen »Woke Mind Virus« begegnet, der die Durchsetzung der Besten angeblich verhindere. Dass im Kampf ums Überleben, der in diesem Konkurrenzverhältnis angelegt ist, die Gewinner ihren Sieg verdienen und die Verlierer selbst schuld sind, ist diesen Rechtsradikalen eine Selbstverständlichkeit.
Der Sozialdarwinismus dieser Akteure wird durch den Ruf nach unbegrenzter politischer Machtentfaltung ergänzt: Während in gewöhnlichen liberalen Staatslehren der staatliche Verwaltungsapparat als Teil der demokratisch legitimierten Exekutive verstanden wird, die – mit der »Macht des Volkes« ausgestattet – den in der Legislative gebildeten Willen durchsetzt, sehen der Trumpismus und verwandte Ideologien in der Bürokratie nicht viel mehr als eine Beschränkung der Volkssouveränität: Diese führe nämlich ein Eigenleben und füge sich nicht dem Willen gewählter Volksvertreter, also dem Präsidenten. Weil das Handeln der Behörden durch bestehende Gesetze und frühere Regelwerke gebunden sein kann, musste selbst Donald Trump in seiner ersten Amtszeit feststellen, dass seine Möglichkeiten zum willkürlichen Durchregieren durch Verwaltungsvorschriften eingeschränkt und institutionell begrenzt blieben. Für diesen Zweck ist DOGE Trumps Mittel – nicht für Haushaltseinsparungen, wie Musk mit Entsetzen angesichts des überhaupt nicht sparsamen Steuergeschenk-Gesetzes feststellen musste, das den grotesk-pompösen Titel »Big Beautiful Bill« trägt.
Das verschwörungstheoretische Geraune der MAGA-Bewegung über einen Deep State, der angeblich die Interessen der Amerikaner untergräbt, speist sich ebenfalls aus der relativen Autonomie des Staatsapparats – jener Eigenständigkeit, die notwendig ist, um das bürgerliche Leben überhaupt regelhaft zu organisieren. Entsprechend erklärt das DOGE, es sei »verfassungswidrig« (und liefert auf seiner Website direkt den passenden »Unconstitutionality Index«), wenn Bundesbehörden eine Vielzahl von Verwaltungsvorschriften pro verabschiedetem Gesetz erlassen – obwohl ebendiese Gesetze ihnen genau dazu die Befugnis erteilen.
Dem in der Geschichte des Kapitalismus andauernden Widerspruch, dass nämlich die staatliche Bürokratie eine Notwendigkeit für den dauerhaften Erfolg der kapitalistischen Geldvermehrung ist und zugleich ein Hindernis für die einzelnen Unternehmungen darstellt, lösen der Trumpismus im Allgemeinen und die DOGE-Politik im Besonderen, indem sie diesen praktisch leugnen. Die unbeschränkte Durchsetzung einiger weniger in der Konkurrenz wird nicht nur auf dem »freien Markt«, sondern auch in der Politik ideologisch als Anliegen aller verklärt und rücksichtslos verfolgt. Tatsächlich bleibt dabei jedoch die relative Unabhängigkeit des Staates vom einzelkapitalistischen Interesse bestehen, und so musste Musk seinen Hut nehmen, und Trump drohte in der anschließenden Schlammschlacht schon mit der Beendigung der Beauftragung und Bezuschussung seines Raumfahrtunternehmens SpaceX. Wie weit diese Auseinandersetzung noch getrieben wird, hängt sicher auch davon ab, wie ernst es Musk mit seiner Ankündigung meint, eine eigene Partei zu gründen.
Die falsche Vorstellung, der Wille des Volkes bestimme – vermittelt durch Wahlen – die Politik, ist staatsbürgerliche Grundlage ihrer späteren Radikalisierung: Wird einmal festgestellt, dass es damit nicht weit her ist, liegt die Forderung nach politischer Dezision durch einen Volkstribun nicht mehr fern. Zugleich gilt die Idee, die Marktwirtschaft sei der geeignete Weg zur Sicherung der allgemeinen Wohlfahrt, in fast allen Teilen der Gesellschaft als unhinterfragbare Wahrheit. Dass weder Markt noch staatliche Einrichtungen zum Nutzen der größten Teile der amerikanischen Wählerschaft eingerichtet sind, konnten und mussten diese nicht nur in den letzten Jahren verstärkt erfahren. Doch wer den guten Glauben an die Marktwirtschaft nicht aufgeben will, lässt sich lieber von einem Trump regieren.
Und so darf es nicht verwundern, wenn sich in den USA und möglicherweise bald auch hierzulande eine entsprechende Staatspolitik durchsetzt. Deutschland ist laut Koalitionsvertrag noch nicht »great again«, aber zumindest »zurück« – das will man auch hierzulande durch »Bürokratierückbau« unter Beweis stellen. Zwar wird das Entwicklungsministerium entgegen den Forderungen der Unionsparteien nicht abgeschafft; der Vorsatz, das »soziale Schutzniveau« zu bewahren, steht allerdings unter allgemeinem Finanzierungsvorbehalt. Ob die Deutschen bald Steuern nicht nur für ihre Kriegstüchtigkeit sparen werden, sondern auch, um den Mars zu besiedeln, steht noch in den Sternen.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.