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- Alan Sparhawk und Trampled by Turtles
Der Himmel reißt auf
Low-Frontmann Alan Sparhawk hat gemeinsam mit Trampled by Turtles ein neues Album vorgelegt
Im November 2022 ist Mimi Parker gestorben, die mit einer der schönsten Stimmen im Indie-Rock gesegnet war. Low, die Band, in der Parker zusammen mit ihrem Ehemann Alan Sparhawk in fast dreißig Jahren rund 15 Alben eingespielt hat, klang immer auch wie ein sanfter Einspruch gegen die Dominanzästhetik von Rock in all seinen Spielformen. Egal, ob Low wie in den Anfangstagen der Band experimentell austarierte, wie sehr man das Tempo runterfahren und die Mittel reduzieren konnte, ohne dass der Song bricht oder die eigene Musik in Rauschen und Flächen auflöste: Immer war diese Musik eine von zwei Stimmen, die sich abwechselten, durchdrangen und ergänzten.
Mit dem Tod von Parker und ihrer Stimme entstand eine Leerstelle, die zu füllen Alan Sparhawk auf seinem ersten Soloalbum »White Roses, My God« (2024) gar nicht erst versuchte und stattdessen einen befremdlichen, der gesamten Low-Ästhetik widersprechenden Autotune-Effekt auf seine Stimme legte, bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. »White Roses, My God« war – weil die bis dahin immer tröstenden Stimmen von Low nun gleich beide fehlten, die eine tot, die andere nicht mehr wiederzuerkennen – eine Art bedrückender Fremdkörper, der nichts löste. Aber es stellte die großen Fragen an die Toten: »Heaven / It’s a lonely place if you’re alone / I wanna be there with the people that I love / Maybe someone that you’re waiting / Oh, who who’s gonna be there / Yeah you / Are you gonna be there«.
Für sein zweites Soloalbum nach dem Tod seiner Frau hat Sparhawk sich mit der Bluegrass-/Indie-Folk-Band Trampled by Turtles zusammengetan, und der Himmel reißt auf. Die Stimme von Alan Sparhawk klingt so klar und präsent wie seit »Drums & Guns« nicht mehr. Das hat im Verbund mit der Musik, die hier sehr betont etwas Altes und Unverwüstliches aufruft, eine ziemliche Kraft. Nacheinander gehört wirken »White Roses, My God« und »Alan Sparhawk With Trampled by Turtles« wie zwei in kurzen Abständen unternommene Versuche, der Trauer eine Stimme zu geben. Beim ersten war klar, dass die Stimme verschwunden und erst eine andere sein muss. Die Gefühle finden ihren elektronisch verfremdeten Ausdruck, indem sich die Nicht-Prozessierbarkeit des Erfahrenen manifestiert.
Beim zweiten Album ist nun zu hören, dass jemand Zugang gefunden hat und wieder aus seiner Mitte heraus singen kann. Und das mit aller Kraft. Geistermusik, auch – nicht im Sinne des Unheimlichen, sondern in dem, dass die geliebte Verstorbene präsent ist. Hollis, die Tochter von Alan Sparhawk und Mimi Parker, singt »Not Broken« im Duett mit ihrem Vater und klingt sehr nach ihrer Mutter und doch eigen: »It’s not broken / I’m not angry«. Ein unfassbares Lied eigentlich.
Zwei Stücke vom Vorgängeralbum wurden mit Trampled by Turtles noch einmal neu eingespielt – mit Banjo, Gitarren, Geigen und Chören. Darunter auch das zitierte »Heaven«, das nun nicht mehr festgezurrt und fragend klingt, sondern so, als wäre der Sänger sich im Herzen sicher, dass er die »people that I love«, wiedersehen wird, wenn es an der Zeit ist. Das muss nicht stimmen – man weiß ja nicht, was kommt, wenn es vorbei ist. Aber die Musik von Low ist auch posthum nicht dazu da, Wahrheiten zu verkünden, sondern um – wenn schon nicht Hoffnung, dann doch zumindest – Trost zu bringen.
Alan Sparhawk: »Alan Sparhawk With Trampled By Turtles« (Sub Pop/Cargo)
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