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Großbritannien und Frankreich: Einig bei Abschreckung
Großbritannien und Frankreich einigen sich auf Migrationspakt
Der Staatsbesuch Emmanuel Macrons in Großbritannien endete für Keir Starmer mit einem Erfolg. Die beiden Länder haben sich auf ein Migrationsabkommen geeinigt, das die Bootsüberfahrten über den Ärmelkanal reduzieren soll. Dies war das wichtigste Ziel, das sich der Premierminister für den Besuch des französischen Präsidenten gesteckt hatte – Starmer hofft, dass er damit innenpolitisch punkten kann.
Auf einer Pressekonferenz am späten Nachmittag des Donnerstags, mit dem die dreitägige Visite Macrons endete, sprach Starmer von einem »bahnbrechenden Rückführungs-Pilotprojekt«. Es funktioniere nach dem Prinzip »einer raus, einer rein«, das heißt: Migranten, die im Boot nach Großbritannien kommen, sollen »sofort nach Frankreich zurückgeschafft werden«. Im Gegenzug wird Großbritannien für jede Person, die abgeschoben wird, einen Flüchtling über eine reguläre und sichere Asylroute aufnehmen. Das Abkommen soll in erster Linie als Abschreckung dienen: Die drohende Rückführung nach Frankreich soll Flüchtlinge davon überzeugen, dass jeder Versuch, Großbritannien auf irreguläre Weise zu erreichen, »vergeblich ist«, wie Starmer sagte. Das Pilotprojekt – die Rede ist von anfänglich 50 Abschiebungen pro Woche – soll schon in den kommenden Wochen beginnen.
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Eigentlich würde Frankreich ein europaweites Migrationsabkommen bevorzugen. Auch in Südeuropa herrscht Skepsis: Hier befürchtet man, dass die nach Frankreich zurückgeführten Migranten in den Ländern, in denen sie zuerst Fuß auf EU-Land gesetzt haben, Asyl beantragen werden – also etwa in Griechenland, Italien oder Spanien. Dennoch hat sich Macron bereit erklärt, den bilateralen Deal auszuprobieren.
Die Zahl der Migranten, die per Boot nach Großbritannien gelangen, hat in den vergangenen fünf Jahren stark zugenommen. Das liegt unter anderem daran, dass andere Migrationsrouten, etwa durch den Eurotunnel, stärker kontrolliert werden. Auch ist die Zahl der legalen Asylrouten nach Großbritannien sehr beschränkt. 2024 kamen etwa 37 000 Menschen über den Ärmelkanal nach Großbritannien; in den ersten sechs Monaten 2025 zählten die Behörden rund 21 000 Bootsmigranten. Die aufstrebende Rechtspartei Reform UK hat die Einwanderung zu einer großen Krise erklärt und schlägt daraus politisches Kapital. Starmer hofft, dass er ihren Vormarsch durch eine harte Migrationspolitik stoppen kann.
Der Premierminister wird denn auch erleichtert sein, dass der Deal am Ende noch zustande gekommen ist. Es ist ein rarer Erfolg für den Politiker, der mit schweren innenpolitischen Problemen kämpft. Sein Sparkurs ist zuletzt auf heftigen Widerstand gestoßen. Er sah sich zu mehreren Kehrtwenden gezwungen und hat an Autorität eingebüßt. Seit dem Wahlsieg vor einem Jahr ist die Labour-Partei in Umfragen stark abgefallen, auch Starmer bewegt sich auf der Beliebtheitsskala am unteren Ende. Jetzt kann er zumindest sagen, dass er bei einem seiner zentralen Vorhaben – der Reduktion der irregulären Migration – einen Schritt weitergekommen ist.
Eine andere Frage ist jedoch, ob der Plan funktionieren wird. Entscheidend sei, wie viele Menschen zurückgeschafft werden, sagte Madeleine Sumption, die Direktorin des Migration Observatory an der Universität Oxford. »Wenn eine Mehrheit der Menschen zurück nach Frankreich geschafft werden, wäre es wahrscheinlicher, dass sich die Leute darüber im Klaren sind und davon ausgehen, dass es auch sie treffen kann«, äußerte Sumption gegenüber der BBC. Sie fügte hinzu, dass die Gründe, warum jemand nach Großbritannien kommen will – darunter Familienangehörige, die bereits im Land sind –, durch politische Maßnahmen kaum geändert werden können.
Neben der Migration sprachen Macron und Starmer auch über die Sicherheitskooperation, insbesondere was die Ukraine anbelangt. Sie kündigten an, dass die Koalition der Willigen – also jener europäischen Länder, die sich an der Verteidigung der Ukraine beteiligen – in Paris ein permanentes Hauptquartier haben wird. Zudem sind Frankreich und Großbritannien eine nukleare Partnerschaft eingegangen: Sie werden bei der nuklearen Abschreckung stärker zusammenarbeiten.
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