Krieg nach außen, fragile Ruhe im Inland

Nach Jahren der Annäherung flammt der Bürgerkrieg im Jemen wieder auf

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.
Dieses von der Huthi-Bewegung veröffentlichte Foto zeigt Explosionen auf dem unter liberianischer Flagge fahrenden Massengutfrachter »Magic Seas«, der von Huthi-nahen Kämpfern auf See angegriffen wurde.
Dieses von der Huthi-Bewegung veröffentlichte Foto zeigt Explosionen auf dem unter liberianischer Flagge fahrenden Massengutfrachter »Magic Seas«, der von Huthi-nahen Kämpfern auf See angegriffen wurde.

Vor den großen Kriegen zwischen Israel und dem Iran sowie dem Konflikt im Gazastreifen spielte der Jemen eine untergeordnete Rolle. 2022 herrschte in den großen Hotels in Sanaa reger Betrieb: Diplomaten westlicher Staaten, Mitarbeiter der Vereinten Nationen und von Hilfsorganisationen trafen sich zu Konferenzen und Gesprächen mit Vertretern der Huthi-Bewegung, die den Norden des Landes und damit auch die Hauptstadt Sanaa kontrolliert.

Man spürte die Aufbruchstimmung: Nach Jahren langer Kleinarbeit und vielen Gesprächen hatte die Uno etwas geschafft, was nahezu unmöglich schien: Zunächst hatten die Huthi und die international anerkannte Regierung eine Waffenruhe vereinbart; Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi übergab die Regierungsgeschäfte an einen siebenköpfigen Präsidialrat unter Führung von Raschad Al-Alimi.

Huthi feiern Versenkung von Schiffen im Roten Meer

Kurz darauf folgte eine auf Dauer angelegte Waffenruhe. Eine Zukunft schien für das Land wieder möglich, in einer wirklich extrem schwierigen Lage: Hunderttausende waren den Kriegshandlungen zum Opfer gefallen oder an Hunger, Mangelernährung oder Krankheiten gestorben. In einem Großteil des Landes ist die Infrastruktur zerstört.

Doch nun, drei Jahre später, herrscht wieder Krieg. In den vergangenen Tagen haben die Huthi zwei Frachter im Roten Meer versenkt; die Zahl der Opfer ist noch unklar. In einem Propaganda-Video wird die Versenkung gefeiert, man habe eine »Botschaft der Abschreckung« an Staaten und Unternehmen gesandt, die mit Israel kooperieren.

Unterstützung für die Hamas

Kurz nach Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober 2023 hatten sich die Huthi an die Seite der Hamas gestellt, mit der sie bis dahin kaum Berührungspunkte gehabt hatten, und Israel den Krieg erklärt. Immer wieder wurden Raketen auf den gut 2500 Kilometer entfernten jüdischen Staat abgefeuert. Die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Israel selbst reagierten mit mehreren Angriffen auf Ziele im Jemen. Wie viele Menschen dabei ums Leben kamen, lässt sich nicht sagen.

Gleichzeitig halten die Huthi und die offizielle Regierung sowie die Staaten auf der arabischen Halbinsel am Friedensprozess im Land fest: Jahrelang hatte eine Militärallianz unter Führung von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) mit logistischer Unterstützung durch die USA versucht, die Huthi mit Bombenangriffen in die Knie zu zwingen – vergeblich. In den vergangenen Jahren setzte man daher auf Deeskalation: Denn mehrfach hatten die Huthi auch Ziele in Saudi-Arabien und den VAE angegriffen.

Was wollen die Huthi erreichen?

Nach der Versenkung der Frachter steht diese Strategie nun auf der Kippe: Die VAE haben vor einigen Jahren diplomatische Beziehungen zu Israel aufgenommen, umfangreiche wirtschaftliche Verbindungen sind entstanden. Offizielle Beziehungen mit Saudi-Arabien scheinen nur noch eine Frage der Zeit zu sein. In beiden Ländern wird deshalb immer die Befürchtung geäußert, dass man selbst ins Fadenkreuz der Huthi geraten könnte.

Gleichzeitig wird darüber gerätselt, warum die Huthi-Führung nun versucht, auf der Weltbühne eine Rolle zu spielen. Bis November 2023 war die Kriegsführung stets darauf ausgerichtet, den Einfluss im Jemen selbst auszuweiten. Die Bewegung ist tief im zaiditischen Islam verwurzelt, einem Zweig des schiitischen Islam, der im Nordjemen viele Anhänger hat. Bis 1962 regierten zaiditische Herrscher den Jemen als Monarchie.

Der Einfluss des Irans bleibt unklar

Doch es gehören eben nicht alle dieser Glaubensrichtung an. Manche Beobachter glauben, dass die Huthi-Regierung versucht, durch den Krieg gegen Israel und seine Unterstützer ihre Legitimation in der jemenitischen Öffentlichkeit auszubauen. Eine andere Deutung zielt indes darauf ab, dass die Bewegung versuche, ihre Verhandlungsgrundlagen zu verbessern, um mehr herauszuschlagen. Vermittler der Uno berichten, dass die Unterhändler der Huthi in den Gesprächen tatsächlich sehr viel fordernder auftreten.

Eine dritte Theorie geht dahin, dass die Bewegung mittlerweile von den iranischen Revolutionsgarden dominiert werde. Teheran hat die Huthi militärisch und finanziell unterstützt. Auch ihre mittlerweile technisch hoch entwickelten Raketen dürften aus iranischer Produktion stammen. Leidtragende sind in jedem Fall die Menschen. Die internationalen Hilfen für den Jemen sind ins Stocken geraten. Es herrschen weiterhin Hunger und Krankheiten.

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