Werbung

Unmut in CDU und SPD über Vorgehen der Koalitionsspitzen

Auch am eigenen Fraktionschef Jens Spahn gibt es zur Nichtwahl dreier Verfassungsrichter Kritik aus der Union

  • Lesedauer: 3 Min.
Frauke Brosius-Gersdorf sollte am Freitag zur Richterin des Bundesverfassungsgerichts gewählt werden. Der Routinevorgang endete nach einer rechten Kampagne aber im Chaos.
Frauke Brosius-Gersdorf sollte am Freitag zur Richterin des Bundesverfassungsgerichts gewählt werden. Der Routinevorgang endete nach einer rechten Kampagne aber im Chaos.

Berlin. Angesichts des Streits um die Wahl der Verfassungsrichter wächst auch in der Union die Kritik an den Koalitionsspitzen. Was die Regierungsparteien in den vergangenen zwei Wochen geboten hätten, sei »ein Autounfall in Zeitlupe«, sagte der Chef des CDU-Sozialflügels, Dennis Radtke, der »Welt am Sonntag«. Kritik gab es in den Reihen der Unionsfraktion auch am eigenen Fraktionschef Jens Spahn, der die Absetzung der für Freitag im Bundestag geplanten Wahl der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin mit Zweifeln an ihrer wissenschaftlichen Integrität begründet hatte.

»Die plötzlich auftauchenden Plagiatsvorwürfe lösten bei mir ein ganz ungutes Störgefühl aus«, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß dem »Tagesspiegel« vom Sonntag. Plötzlich lancierte fragwürdige Plagiatsvorwürfe hätten besser geprüft werden müssen. »Gerade an uns Christdemokraten habe ich in solchen Fragen einen hohen Anspruch.« Bareiß kritisierte neben der eigenen Partei auch den Koalitionspartner SPD: »Beide Seiten haben sich in den letzten Wochen nicht gerade mit Ruhm bekleckert.« Dies gelte insbesondere für die Ankündigung der Sozialdemokraten noch am Freitag, an der von ihnen nominierten Kandidatin festzuhalten.

Der Bundestag hatte am Freitag eigentlich über die Neubesetzung von drei Richterposten beim Bundesverfassungsgericht befinden sollen. Die Unionsfraktion forderte aber kurzfristig die Absetzung der Wahl der SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf und verwies auf Plagiatsvorwürfe, die danach als konstruiert kritisiert wurden. Für Ablehnung in der Union sorgten zudem Äußerungen der Juristin zum Abtreibungsrecht, die als zu liberal kritisiert wurden.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) äußerte sich am Sonntag im »Sommerinterview« des ZDF zum Thema und sagte, die Koalition habe sich durch den Streit um die Richterwahl »selbst beschädigt«. Er drängte darauf, rasch eine Entscheidung über die Verfassungsrichter zu treffen. Es sei »keine Kleinigkeit«, um die es gehe, sagte Steinmeier. »Es geht um die Autorität und Funktionsfähigkeit eines Verfassungsorgans, das zugleich unser höchstes Gericht ist«.

Die Linke-Fraktionschefin Heidi Reichinnek warf der Union vor, sich »an einer rechten Hetzkampagne gegen eine angesehene Juristin beteiligt« zu haben. »Sie hat auch für ihren eigenen Kandidaten keine demokratischen Mehrheiten gesucht, sondern war bereit, ihn mit den Stimmen der gesichert rechtsextremen AfD wählen zu lassen.« Damit bezog sich Reichinnek auf den vom Verfassungsgericht empfohlenen Unionskandidaten Günter Spinner. In seinem Fall hatte die Linke Unterstützung in Aussicht gestellt, falls sie ein eigenes Nominierungsrecht für Kandidaten bekäme. Die Union war auf dieses Ansinnen nicht eingegangen und hoffte, dass bei einer relevanten Zahl abwesender Abgeordneter eine Zweidrittelmehrheit der Koalition zusammen mit den Grünen hätte erreicht werden können. Allerdings hatte auch die AfD Zustimmung signalisiert – ihr Anteil wäre bei der geheimen Wahl schwer identifizierbar gewesen.

Die SPD bot der Unionsfraktion nun zur Klärung des Vorgehens eine persönliche Vorstellung der Kandidatin Brosius-Gersdorf an. Ein solches direktes Gespräch sei ein »Vorschlag, den man schlecht ausschlagen kann«, sagte SPD-Fraktionsvize Sonja Eichwede zu Welt TV. Eine offizielle Reaktion der Unionsfraktion auf die Einladung stand am Sonntag allerdings noch aus. Agenturen/nd

- Anzeige -

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.