»Realistische Alternative zu Waffenlieferungen«

In seinem neuen Buch erinnert Lou Marin an den Widerstand gegen den Vietnamkrieg

  • Interview: Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.
Demonstration der Berliner Antikriegskoordination zum Antikriegstag 2023
Demonstration der Berliner Antikriegskoordination zum Antikriegstag 2023

Wo gibt es zurzeit Beispiele für erfolgreichen gewaltfreien Widerstand?

Mut machen sollte uns der erfolgreiche spontane Widerstand fast der gesamten Bevölkerung Südkoreas gegen das vom neofaschistischen Diktator und Trump-Freund Yoon Suk-yeol eingeführte Kriegsrecht in dem Land im Dezember 2024, der in der Folge immerhin zur Wahl eines demokratischen Präsidentschaftskandidaten geführt hat. Und das trotz der südkoreanischen Geschichte mehrerer Diktaturen und des Massakers von Gwangju im Jahr 1980, was vor allem zeigt, dass der gewaltfreie Widerstand selbst nach einem historischen Blutbad durch Militärs mittelfristig erneut greifen und die Armee spalten und dadurch auch wieder von dessen mörderischen Einsatz abhalten kann.

Es wird oft argumentiert, dass ein angriffsbereiter Gegner mit gewaltfreien Mitteln nicht abgeschreckt werden kann. Was antworten Sie?

Die auf einer militaristischen Denkweise – inklusive der jetzt vorgebrachten angeblich notwendigen Wiedereinführung des Kriegsdienstzwangs – basierende Abschreckungsphilosophie wurde schon von der damaligen Friedensbewegung der 80er Jahre in den Mittelpunkt der Kritik gestellt. Die atomare Abschreckung hat ja auch die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki nicht verhindert, gerade obwohl sie rein militärisch vielleicht nicht mehr nötig waren. Die Bewegung in den 80er Jahren hat trotz gewichtiger Stimmen wie der von Franz Josef Strauß den damals möglichen Bau einer bundesdeutschen Atombombe verhindert. Und sie hat in der Folge, in den 90er Jahren, zur Abschaffung der Kriegsdienstpflicht mit beigetragen.

Interview
Lou Marin

Lou Marin ist unter anderem Journalist und lebt in Marseille. Er ist Teil des Buch­verlags­kollektivs der »Gras­wurzel­revolution«. Kürzlich hat er das Buch »Hell no, we won’t go!« über anti­milita­ris­tischen Wider­stand in der US-Armee und der US-Zivil­gesell­schaft während des Vietnam­krieges herausgegeben.

Wo sehen Sie den Grund für den derzeitigen Ruf nach Aufrüstung?

Der erneute Ruf nach »Kriegsfähigkeit«, Kriegsdienstpflicht und Wiederaufrüstung wird vor allem von der kapitalistischen Lobby der Rüstungskonzerne wie des Unternehmens Krauss-Maffei, das seit 2018 an der chinesischen Börse notiert ist, sowie vom größten deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall vorangetrieben, dessen Börsengewinne explodieren. Dagegen sollten wir daran erinnern, dass in den 80er Jahren trotz der Kriegsfähigkeit der Armeen des Warschauer Pakts die antimilitaristische und gegen die Nato gerichtete Tendenz der friedenspolitischen Massenbewegung in Westeuropa von Gorbatschow als Vertrauenserweis registriert worden ist und seine auf diesem Eindruck basierende Politik der Öffnung erst den Weg zum Fall der Mauer von 1989 und damit zur Zersetzung der osteuropäischen Armeen geebnet hat.

Was beinhaltet die zivile Verteidigung?

Das Konzept des »zivilen Widerstands«, dessen wichtigster historischer Forscher der Franzose Jacques Semelin ist, setzt dagegen in der Analyse eher auch auf spontane Entwicklungen, die bei historisch erfolgreichen Beispielen des zivilen Widerstands eine wichtige Rolle gespielt haben. Etwa beim erfolgreichen zivilen Widerstand gegen die Deportationen jüdischer Menschen aus dem mit den Nazis kollaborierenden Bulgarien, aus dem besetzten Dänemark, von den mit jüdischen Männern verheirateten Frauen der Berliner Rosenstraße 1943.

Kann zivile Verteidigung auch gegen den russischen Angriff in der Ukraine erfolgreich sein?

Der »zivile Widerstand« bedingt auch reziproken Widerstand, das heißt von den Bewohner*innen der angreifenden Militärmacht beziehungsweise der Besatzungsmacht, als auch den Widerstand der angegriffenen Bevölkerung. Wir erinnern uns ja an den Anfang des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine mit dem Panzerkonvoi nach Kiew, der schon aufgrund der Sabotageaktionen russischer Soldaten in den Panzern und Transportern in Verbindung mit dem unbewaffneten Widerstand der ukrainischen Bevölkerung scheiterte, woraus dann erst der von Putin eingeleitete militärstrategische Umweg mit dem Angriff über die Ostukraine entstand. Eine Propagierung und Verwirklichung solcher Konzepte des reziproken zivilen Widerstands wäre eine realistische Alternative für die immer wieder nur kriegsverlängernden Waffenlieferungen an die Ukraine. Und abschließend: Der Militarismus beider Seiten – und nicht etwa der zivile Widerstand – ist allein schuld an den inzwischen über eine Million Toten dieses Krieges.

Gibt es historische Beispiele, dass durch zivilen Widerstand ein Krieg beendet wurde?

Wie bedeutsam der innere Widerstand in der Armee und der Bevölkerung der militärisch angreifenden Macht beziehungsweise des Besatzungslandes sein kann, können wir heute, 50 Jahre nach Ende des US-Krieges gegen Vietnam, begreifen. In Vietnam verweigerten, sabotierten und desertierten Soldaten der US-Armee in großer Zahl. In den USA entstand gleichzeitig eine Massenbewegung gegen den Krieg. Das Zusammenspiel beider Tendenzen führte zu einem wachsenden Druck auf Nixon, der genauso reaktionär-faschistisch wie Trump war, worauf er mit seiner Strategie der »Vietnamisierung des Vietnamkrieges« reagieren musste, das heißt zum schrittweisen Abzug der US-Truppen in Vietnam. Der militärische Anteil der Kämpfe des Vietcong und Nord-Vietnams war dabei vorhanden, aber vergleichsweise gering. Wir erhoffen uns eine gleichermaßen sich entwickelnde Massenbewegung des »anderen Amerika« heute gegen Trump.

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