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Berliner Unis: Widerstand gegen Sparhammer
Studierende und Mitarbeiter protestieren gegen Kürzungen an Hochschulen
»Gerade erlebe ich die stressvollsten Momente meiner Uni-Karriere«, sagt Maria Angela. Nach kurzem Überlegen fügt sie hinzu: »Zumindest seit ich unbefristet beschäftigt bin.« Die Wirtschaftsprofessorin heißt eigentlich anders, ihren echten Namen möchte sie lieber nicht in der Zeitung lesen. Seit Monaten reihe sich eine Sitzung an die nächste. Immer wieder zu der gleichen Frage: Wo soll gekürzt werden? »Wir sind mit nichts anderem mehr beschäftigt«, sagt Angela.
Maria Angela steht an diesem Montagvormittag vor der Senatswissenschaftsverwaltung in der Oranienstraße. 3000 Menschen haben sich laut Veranstalterangaben hier versammelt, um gegen die drohenden Kürzungen an den Hochschulen zu protestieren. Auf der Bühne spielt ein aus Studierenden der Hanns-Eisler-Musikhochschule gebildeter Posaunenchor, davor drängen sich Studierende und Mitarbeiter der Unis. Zwischen den Redebeiträgen erklingt immer wieder ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert.
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Im Gebäude verhandeln parallel Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) und die Hochschulleitungen über die neugefassten Hochschulverträge, die die Finanzierung der Unis regeln. Eigentlich waren die Verträge schon im vergangenen Jahr unterzeichnet worden. Doch das war vor der Haushaltskrise, die die Berliner Landespolitik seitdem bestimmt. Die Verträge wurden von Senatsseite ausgesetzt, sie seien in dieser Form nicht finanzierbar.
Den »Tiefpunkt« der Entwicklung nennt die HU-Präsidentin Julia von Blumenthal den Bruch der Hochschulverträge in einem kurzen Redebeitrag von der Bühne. Seitdem sehe sie, dass man sich zumindest wieder etwas hocharbeite. Sie freue sich darüber, mit dem »Rückenwind« der Demonstranten in die Verhandlungen gehen zu können. »Die Hochschulen brauchen im Landeshaushalt die Priorität, die sie verdienen«, sagt sie.
140 Millionen Euro sollen im Hochschulbereich im laufenden Jahr eingespart werden, sieht der Nachtragshaushalt vor. Auch in den kommenden Jahren ist es unwahrscheinlich, dass das Budget zu seiner ursprünglichen Höhe zurückkehren wird. Für die Hochschulen bedeutet das: sparen statt wachsen. In den ursprünglich abgeschlossenen Hochschulverträgen war ihnen noch ein jährlicher Mittelaufwuchs von fünf Prozent versprochen worden. Davon bleibt nun wenig. Ein gleichbleibendes Ausgabenniveau und Zuschüsse für Tarifsteigerungen sei alles, was der Senat den Hochschulen anbieten könne, sagte Wissenschaftssenatorin Czyborra in der vergangenen Woche vor dem Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses.
Weil zugleich die Kosten weiter steigen, bedeutet das für die Hochschulen massive Einschnitte. Dutzende Professuren und zehn Prozent der Studienplätze in Berlin könnten in den kommenden drei Jahren wegfallen – das entspricht 25 000 Studierenden. Ganze Studiengänge werden am Ende gestrichen werden müssen, zeichnet sich bereits ab.
»Die Hochschulen brauchen im Landeshaushalt die Priorität, die sie verdienen.«
Julia von Blumenthal HU-Präsidentin
»Wir können uns nicht strategisch aufstellen«, warnt Wirtschaftsprofessorin Maria Angela. Denn wirklich frei entscheiden könnten die Hochschulen kaum über die Kürzungen. Weil verbeamtete Professoren nicht entlassen werden können, kämen nur frei werdende Lehrstühle als Kürzungskandidaten infrage. Daher drohten nun willkürliche Einschnitte. Dabei seien die strategischen Schwerpunktentscheidungen, die die Berliner Unis in den vergangenen Jahren getroffen haben, eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg im bundesweiten Wettbewerb um Drittmittel.
Müssen die Hochschulen nun die Kröte schlucken? »Wir hoffen, dass die Hochschulen mit einer Klage ein Zeichen setzen«, sagt Eske Woldmer von der Landeskonferenz der Studierendenvertretungen. Die Hochschulen bereiten schon seit Monaten eine Klage vor, mit der erreicht werden soll, dass die ursprünglich beschlossenen Hochschulverträge ihre Gültigkeit behalten.
Zuletzt stärkte ein Gutachten des wissenschaftlichen Diensts des Abgeordnetenhauses den Hochschulen in dieser Frage den Rücken. Die bereits abgeschlossenen Hochschulverträge seien rechtsgültig, urteilten die Parlamentsjuristen in der vergangenen Woche. Dass das Land einseitig seine finanziellen Verpflichtungen aufkündige, sei rechtswidrig. Die Hochschulen hätten also gute Chancen, ihre Ansprüche auf dem Weg einer Klage einzufordern.
Ob eine solche Klage am Ende aber auch eingereicht wird, ist noch unklar. Zuletzt hatten die Hochschulen signalisiert, dass sie unter bestimmten Bedingungen bereit seien, den neuverhandelten Verträgen zuzustimmen. Grund dürfte auch sein, dass die Gerichte Jahre brauchen könnten, um über die Klage zu entscheiden. Bis dahin in finanzieller Unsicherheit zu leben, scheint für die Hochschulleitungen ein größeres Risiko darzustellen, als jetzt Einsparungen hinzunehmen.
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